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BGH, Urteil vom 19.02.2015 – III ZR 90/14 – “Wann trägt der Anleger eine Mitschuld?


Der Kläger hat eine Beteiligung als atypisch stiller Gesellschafter an einer im Mobilienleasing tätigen Gesellschaft mit einem Nominalbetrag von EUR 150.000,00 zuzüglich EUR 9.000,00 Agio nach einer Beratung durch den Beklagten gezeichnet. Der Kläger behauptet Pflichtverletzung des Beratungsvertrages und verlangt Zahlung sowie Freistellung von allen wirtschaftlichen Nachteilen und Verpflichtungen, die sich aus der Beteiligung ergeben. Das Berufungsgericht hat der Klage nur i.H.v. 50 % aufgrund eines angeblichen Mitverschuldens des klagenden Anlegers stattgegeben. Der Kläger legte Revision beim Bundesgerichtshof ein, die zum Erfolg führte.

Der Bundesgerichtshof bestätigt zunächst die Auffassung des Berufungsgerichtes, dass es sich aufgrund des spekulativen Charakters der Anlage um keine hinreichend sichere Möglichkeit zur Verbesserung der Altersvorsorge gehandelt hat und hätte daher dem Kläger als zur Altersvorsorge geeignete Anlage nicht empfohlen werden dürfen. Dagegen attestiert der Bundesgerichtshof dem Berufungsgericht, die Anforderungen an ein auf Seiten des Anlegers anzurechnendes Mitverschulden bei Zeichnung der Anlage verkannt zu haben. Ein mitwirkendes Verschulden muss sich der Kläger vorliegend nicht entgegenhalten lassen. Ein Mitverschulden liegt nämlich dann vor, wenn der Geschädigte diejenige Sorgfalt außer Acht lässt, die nach Lage der Sache erforderlich erscheint, um sich selbst vor Schaden zu bewahren. Das Vertrauen eines Anlegers, der von einem anderen sich beraten lässt und für sich eine Sachkunde in Anspruch nimmt, verdient besonderen Schutz. Dies hat zur Folge, dass bei Verletzung von Aufklärungs- und Beratungspflichten der Einwand des Mitverschuldens nur unter besonderen Umständen zum Tragen gelangt. Denn der Anleger darf sich auf die Richtigkeit und Vollständigkeit der Aufklärung und Beratung verlassen. Eine Ausnahme ist dann anzunehmen, wenn der Geschädigte über eigene Sachkunde oder über zusätzliche Informationen von dritter Seite verfügt.

Ein derartiger Ausnahmefall lag im vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall aber nicht vor. Insbesondere kann ein solcher Ausnahmefall nicht damit begründet werden, dass der Kläger erhebliche Beträge „aufs Spiel gesetzt hat“, ohne sich zuvor mit der empfohlenen Anlage intensiv zu beschäftigen und deshalb „besonders leichtsinnig“ sich verhalten habe, wie das Berufungsgericht dies gesehen hat. Denn das Verhalten des Klägers, der die bestehenden Risiken nicht realisiert hat, belegt nur, dass er den beschwichtigenden Aussagen des Beklagten Glauben schenkte. Es gilt damit der Erfahrungssatz, dass ein Anleger, der bei seiner Entscheidung die besonderen Erfahrungen und Kenntnisse eines Anlageberaters in Anspruch nimmt, den Ratschlägen, Auskünften und Mitteilungen des Beraters besonderes Gewicht zumisst und zumessen darf.

Auch die Auffassung des Berufungsgerichtes, wonach das Verhalten des Klägers deshalb besonders leichtsinnig sei, weil keine Sicherheiten vorhanden gewesen sind, erteilte der Bundesgerichtshof eine Absage, nachdem damit argumentiert wurde, dass der Kläger als mehrfacher Grundeigentümer gewusst habe, wie aufwändig notarielle Kaufverträge ausgestaltet sind und wie sehr die kreditgebenden Banken auf ausreichende Wertsicherung achten. Denn es handelt sich bei einer atypisch stillen Gesellschaftsbeteiligung um eine völlig anders gelagerte Anlageform, die mit einem Kauf einer Immobilie zu Anlagezwecken nichts gemein hat.

Der Bundesgerichtshof hat damit nochmals seine Rechtsprechung bekräftigt, dass nur in Ausnahmefällen, die regelmäßig nicht vorliegen, der Anleger sich ein etwaiges Mitverschulden anrechnen lassen muss. Im Grundsatz darf er den Aussagen des Beraters ungeprüft Glauben schenken.