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BGH, Urteil vom 20.09.2024 – V ZR 235/23 – „Wann sind Zweitbeschlüsse zulässig?“
Wenn im Wohnungseigentumsgesetz oder in einer Vereinbarung eine Beschlusskompetenz geregelt ist, umfasst sie nicht nur die erste Beschlussfassung, sondern auch eine erneute Beschlussfassung über die bereits geregelte Angelegenheit. Prüfungsmaßstab für den zweiten Beschluss sind allein die Grundsätze ordnungsgemäßer Verwaltung und nicht etwa, ob eine Beschlusskompetenz besteht.
Die Klägerin zu 1 ist seit dem 08.02.2016 Mitglied der Wohnungseigentümergemeinschaft, nachdem sie Eigentümerin von 44 Tiefgaragenstellplätzen geworden ist. Im Jahr 2021 hat die Klägerin zu 1 an die Klägerin zu 2 einen Tiefgaragenstellplatz veräußert. In einer Eigentümerversammlung im Jahr 2022 wurden Beschlüsse über Wirtschaftspläne für das Jahr 2016, 2017 und 2018 gefasst, über welche bereits in den vergangenen Jahren Beschlüsse gefasst worden sind. Gegen diese vor dem Jahr 2022 gefassten Beschlüsse wurde jedoch eingewendet, dass diese unter anderem nichtig seien, da die Klägerin seinerzeit nicht zur Versammlung eingeladen worden war.
Beide Klägerinnen fechten die Beschlüsse aus der Versammlung des Jahres 2022 an. Während die Vorinstanzen der Ansicht waren, dass die Beschlüsse des Jahres 2022 aufgrund mangelnder Kompetenz der Eigentümer nichtig seien, meint der Bundesgerichtshof das Gegenteil. Denn die Wohnungseigentümer verfügen über eine Beschlusskompetenz. Denn auch nach der Reform des Wohnungseigentumsgesetzes zum 01.12.2020 kann nach Ablauf des Wirtschaftsjahres ein Zweitbeschluss über die Vorschüsse aufgrund des Wirtschaftsplans gefasst werden. Die Beschlusskompetenz folgt hieraus aus § 28 Abs. 1 WEG. Diese Kompetenz fehlt nicht deshalb, weil das Kalenderjahr, über welches der Wirtschaftsplan beschlossen wurde, bereits abgelaufen gewesen ist. Denn die Jahresabrechnung dient nur der Anpassung der laufend zu erbringenden Vorschüsse an die tatsächlichen Kosten und tritt nicht an die Stelle des Wirtschaftsplans.
Auch ein Eigentumswechsel lässt die Kompetenz nicht entfallen. Denn es geht nicht darum, durch die angefochtenen Zweitbeschlüsse eine Haftung für rückständige Hausgeldzahlungen eines Rechtsvorgängers zu begründen. Vielmehr soll durch den Zweitbeschluss die Vorschusspflicht auf Grundlage der Wirtschaftspläne der Wirtschaftsjahre 2016-2018 insgesamt neu begründet werden, was § 28 Abs. 1 WEG erlaubt. Die Erwerberhaftung (es besteht der Grundsatz, dass derjenige für die Forderungen haftet, der zum Zeitpunkt der Beschlussfassung Eigentümer ist) ist damit nur mittelbare Folge des Zweitbeschlusses. Zu dieser Konstellation kommt es auch, wenn ein Beschluss über die Vorschüsse aufgrund eines Wirtschaftsplanes rechtskräftig für ungültig erklärt wird und deshalb neu gefasst werden muss und zu diesem Zeitpunkt ein Eigentümerwechsel stattgefunden hat.
Die Wohnungseigentümer sind daher grundsätzlich befugt, über eine schon geregelte Angelegenheit erneut zu beschließen. Zu der Autonomie der Wohnungseigentümer gehört es nämlich auch zu entscheiden, ob sie von ihrer gesetzlich zugewiesenen Beschlusskompetenz erneut Gebrauch machen.
Dieser Zweitbeschluss muss aber ordnungsgemäßer Verwaltung entsprechen. Da die Vorinstanzen keine Feststellungen dazu getroffen haben, wurde das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Im Urteil wies der Bundesgerichtshof das Berufungsgericht darauf hin, dass bei Zweitbeschlüssen eine Zurückhaltung geboten ist, da hierdurch die Gefahr einer mittelbaren Erwerberhaftung begründet wird und Vorschriften über Verjährung umgangen werden können. Demnach muss eine sorgfältige Abwägung aller relevanten Umstände des Einzelfalls erfolgen. Ein Zweitbeschluss über Vorschüsse aus dem Wirtschaftsplan wird regelmäßig nur dann ordnungsgemäßer Verwaltung entsprechen, wenn berechtigte Zweifel an der Wirksamkeit des Erstbeschlusses bestehen und schutzwürdige Belange einzelner Wohnungseigentümer hinreichend berücksichtigt worden sind. Diese Unsicherheit darf durch einen Zweitbeschluss behoben werden. Ob berechtigte Zweifel an der Wirksamkeit eines Zweitbeschlusses bestehen, beurteilt sich nicht nach der objektiven Rechtslage, sondern nach den Erkenntnissen der Wohnungseigentümer im Zeitpunkt der Beschlussfassung. Daher bedarf es konkreter Umstände, welche aus Sicht der Wohnungseigentümer bei vernünftiger Betrachtung die Annahme der Unwirksamkeit nahelegen. Diese Umstände liegen etwa vor, wenn ein Gericht den Beschluss über die Vorschüsse aufgrund des Wirtschaftsplans und bei der Entscheidung über die Zahlungsklage inzident als nichtig ansieht oder vor anderweitiger Beendigung des Verfahrens jedenfalls die Ansicht vertreten hat, dass es sich so verhalten könnte. Daher kommt es nicht darauf an, ob der Erstbeschluss tatsächlich nichtig ist.
Wenn nicht rechtskräftig feststeht, dass der Erstbeschluss ungültig ist, darf der Zweitbeschluss zudem nicht mit dem Ziel gefasst werden, Verjährungsvorschriften zu umgehen. Eine erneute Beschlussfassung darf nur der Beseitigung der Mängel des Erstbeschlusses dienen, die die Zweifel an der Wirksamkeit begründen. Damit Verjährungsvorschriften nicht umgangen werden wird es insbesondere nach längerem Zeitablauf der Rücksichtnahme auf die Belange einzelner Wohnungseigentümer in der Regel entsprechen, dass die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer vor erneuter Beschlussfassung zunächst eine Klage auf Zahlung rückständiger Vorschüsse gegen säumige Wohnungseigentümer erhebt. Je mehr Zeit seit der Fassung des Erstbeschlusses vergangen ist, desto höhere Anforderungen sind an die Unzumutbarkeit einer vorherigen Zahlungsklage zu stellen. Denn im Rahmen der Zahlungsklage prüft das Gericht inzident auch, ob die Beschlüsse nichtig sind. Bleibt die Klage wegen dieser Nichtigkeit erfolglos oder wird sie anderweitig z.B. durch Vergleich beendet, nachdem das Gericht eine solche Rechtsansicht vertreten hat, kann ein Zweitbeschluss gefasst werden. Wird dagegen die Zahlungsklage (auch) wegen Verjährung abgewiesen widerspricht es regelmäßig ordnungsgemäßer Verwaltung anschließend zwecks Neubegründung der Rückstände einen Zweitbeschluss zu fassen. In diesem Fall würden nämlich die Verjährungsvorschriften umgangen.
Der Bundesgerichtshof schafft Rechtsklarheit bei der Fassung von Zweitbeschlüssen im Zusammenhang mit Vorschüssen aus Wirtschaftsplänen und gibt dem Rechtsanwender Richtlinien an die Hand, wie sie sich zu verhalten haben.