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BGH, Urteil vom 02.10.2015 – V ZR 5/15 – “Wann besteht ein Rechtsschutzbedürfnis für eine Anfechtungsklage?”
Der Verwalter einer Wohnungseigentumsanlage vertrat die Auffassung, dass der Kläger für die erforderliche Erneuerung des Bodenbelags auf seiner Terrasse selbst aufzukommen hat. Daraufhin ließ dieser den Bodenbelag auf eigene Kosten austauschen und verlangte von der Wohnungseigentümergemeinschaft gestützt auf § 14 Nr. 4 WEG den Ersatz des verauslagten Betrages von EUR 7.952,94. Durch Beschluss in der Eigentümerversammlung vom 19.04.2013 wurde der Zahlungsanspruch abgelehnt. Unter anderem die Klägerin zu 1 hat sich gegen den Beschluss gewendet und Anfechtungsklage erhoben. Das Amtsgericht hat den Beschluss nach Beweisaufnahme für ungültig erklärt. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landgericht das Urteil geändert und die Klage abgewiesen. Der Bundesgerichtshof hat im Revisionsverfahren unter anderem darüber zu entscheiden, ob für die Anfechtungsklage überhaupt ein Rechtsschutzbedürfnis besteht.
Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist ein Rechtsschutzbedürfnis zu bejahen, so dass die Klage nach Auffassung des Bundesgerichtshofes zulässig ist. Nachdem die Fassung des Beschlusses, die Kosten zu erstatten, abgelehnt worden war, handelt es sich um einen so genannten Negativbeschluss. Auch Negativbeschlüsse können im Wege der gerichtlichen Anfechtung überprüft werden. Das hierfür erforderliche Rechtsschutzbedürfnis ergibt sich im Regelfall daraus, dass der Antragsteller durch die Ablehnung gegebenenfalls in einem Recht auf ordnungsgemäße Verwaltung des Gemeinschaftseigentums verletzt wird. Das Rechtsschutzbedürfnis entfällt nur dann ausnahmsweise, wenn ein Erfolg der Klage den Wohnungseigentümern oder der Gemeinschaft keinen Nutzen mehr bringen kann. Dies ist z.B. dann der Fall, wenn ein inhaltsgleicher Zweitbeschluss in Bestandskraft getreten ist, woran es im vorliegenden Fall fehlte.
Im Fall der Ablehnung eines gegen die Wohnungseigentümergemeinschaft gerichteten Zahlungsbegehrens durch Beschluss der Wohnungseigentümer war umstritten, ob ein Rechtsschutzbedürfnis für eine Anfechtungsklage trotzdem besteht. Teile der Rechtsprechung und Literatur argumentierten damit, dass der anfechtende Kläger sein Ziel durch eine Zahlungsklage erreichen kann. Nach anderer Auffassung sollte das Rechtschutzbedürfnis nur dann bestehen, wenn allein eine positive Beschlussfassung ordnungsgemäßer Verwaltung entsprochen hätte. Diesen Auffassungen erteilte Bundesgerichtshof eine Absage. Denn für eine Anfechtungsklage besteht wie für jede andere Anfechtungsklage regelmäßig ein Rechtsschutzbedürfnis. Auch ein Negativbeschluss muss ordnungsgemäßer Verwaltung entsprechen. Zwar ist es richtig, dass der Negativbeschluss auf das Bestehen des geltend gemachten Anspruches keinen Einfluss hat, sondern sich in der Versagung des freiwilligen Anerkenntnisses erschöpft. Auch haben die Wohnungseigentümer keine Kompetenz, im Beschlusswege Leistungspflichten zu begründen, so dass die Wohnungseigentümer auch im umgekehrten Fall einen bestehenden Anspruch durch Beschluss auch nicht nehmen können. Vielmehr ist die Berechtigung des Anspruches im Rahmen der Zahlungsklage zu prüfen. Einer Entscheidung über die Anfechtung kommt insoweit keine Bindungswirkung zu. Auch ist es richtig, dass den Wohnungseigentümern ein weites Ermessen zusteht und es ihnen infolgedessen im Grundsatz frei steht, es auf ein Gerichtsverfahren ankommen zu lassen.
Trotzdem kann es ordnungsgemäßer Verwaltung widersprechen, eine positive Beschlussfassung im Sinne einer freiwilligen Erfüllung eines Anspruches abzulehnen. Anzunehmen ist dies jedoch nur dann, wenn der Anspruch offenkundig und ohne jeden vernünftigen Zweifel begründet ist, so dass ein unnötiger Rechtsstreit mit entsprechendem Kostenrisiko in Kauf genommen würde. Eine Anfechtungsklage gewährleistet die gerichtliche Überprüfung, ob im Zeitpunkt der Beschlussfassung allein die freiwillige Erfüllung des Anspruches ordnungsgemäßer Verwaltung entsprochen hätte. Diese Frage ist nicht im Rahmen der Zulässigkeit der Klage, sondern im Rahmen der Begründetheit zu klären. Unterstrichen wird dieses Ergebnis auch durch das Anfechtungsrecht derjenigen Eigentümer, die den Zahlungsanspruch nicht selbst geltend machen, sondern es auf einen unnötigen Rechtsstreit mit dem Anspruchsteller nicht ankommen lassen wollen. Denn sie können nicht auf eine Zahlungsklage verwiesen werden. Auch dem Anspruchsteller selbst kann – wie jedem sonstigen Eigentümer auch – eine Entscheidung in der Sache über sein Recht auf ordnungsgemäße Verwaltung nicht verwehrt werden.
Die Klage war demnach zulässig und durfte nicht durch Prozessurteil abgewiesen werden. Die Revision hatte trotzdem keinen Erfolg, da die Klage als unbegründet abzuweisen war. Denn der ablehnende Beschluss entsprach ordnungsgemäßer Verwaltung. Der Bundesgerichtshof hatte nämlich lediglich darüber zu entscheiden, ob das den Wohnungseigentümern zustehende Ermessen derart reduziert war, dass sie sich für ein Anerkenntnis aussprechen mussten. Dies wäre nur dann anzunehmen, wenn der Anspruch im Zeitpunkt der Beschlussfassung offenkundig und ohne jeden vernünftigen Zweifel begründet war. Angesichts der Regelung in der Teilungserklärung, wonach die Klägerin ihre Terrasse auf eigene Kosten instandzusetzen hat, konnte von einer derartigen Offenkundigkeit nicht ausgegangen werden. Die Klärung der Frage, ob daneben eine andere Anspruchsgrundlage (nämlich § 14 Nr. 4 WEG) eingreifen kann, durften die Wohnungseigentümer ohne weiteres dem Gericht überlassen und eine Zahlungsklage in Kauf nehmen.