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BGH, Urteil vom 09.10.2014 – IX ZR 69/14 – „Vermieterpfandrecht in der Insolvenz


Wird ein Mieter insolvent, stellt dies keinen den Vermieter zur fristlosen Kündigung berechtigenden Grund dar. Nach dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens kann der Vermieter auch nicht wegen der Zahlungsrückstände fristlos kündigen, die vor dem Eröffnungsantrag eingetreten sind (§ 112 InsO). Gleichsam als Ausgleich für diese Kündigungssperre sind die Mietzinsansprüche für die Zeit ab Eröffnung des Insolvenzverfahrens Masseansprüche, die vorweg aus der Insolvenzmasse zu berichtigen sind (§ 53 InsO). Die Mietzinsrückstände bis zur Verfahrenseröffnung sind hingegen Insolvenzforderungen, die zur Insolvenztabelle angemeldet werden müssen. Auf Insolvenzforderungen wird in aller Regel nur eine geringe Quote bezahlt.

Besondere Bedeutung in der Insolvenz hat das Sicherungsmittel des Vermieterpfandrechts. Aufgrund insolvenzrechtlicher Sonderbestimmungen kann aber nicht der Vermieter, sondern nur der Insolvenzverwalter die dem Vermieterpfandrecht unterliegenden Sachen verwerten (§ 165 InsO). Nach der Verwertung darf der Insolvenzverwalter seine Kosten aus dem Verwertungserlös einbehalten, der verbleibende Betrag ist an den Vermieter auszuzahlen.

Grundsätzlich hat der Schuldner einer Geldleistung ein Leistungsbestimmungsrecht, er kann also auch gegen den Willen des Gläubigers festlegen, auf welche Forderungen die Zahlung anzurechnen ist. Bestünde diese Möglichkeit auch in der Insolvenz, wäre es für die Insolvenzmasse am günstigsten, wenn die Zahlung auf die Masseansprüche und nicht auf die Insolvenzforderungen angerechnet würde, da die Insolvenzforderungen in der Regel nicht oder nicht sonderlich werthaltig sind, weil auf sie im „Normalfall“ keine oder nur eine geringe Quote entfällt.

Mit Urteil vom 09.10.2014 – IX ZR 69/14 – musste sich der Bundesgerichtshof mit einem Fall befassen, in dem der Insolvenzverwalter eine derartige Zahlungsbestimmung traf. Der Entscheidung lag ein Mietvertrag vom 04.11.2013 zu Grunde, mit dem der Vermieter Gewerbeflächen zu einer monatlichen Miete von EUR 61.626,53 zuzüglich Nebenkosten an den Mieter vermietete. Die Mietrückstände beliefen sich im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens auf EUR 793.575,21. Danach nutzte der Mieter die Mietsache bis einschließlich April 2012 weiter. Für diesen Zeitraum ab Eröffnung des Insolvenzverfahrens sind Mieten und Nebenkosten in Höhe von EUR 559.709,06 angefallen, auf welche der Insolvenzverwalter Zahlung in Höhe von EUR 165.506,70 leistete. Es waren also noch Masseansprüche in Höhe von EUR 394.202,36 offen. Aus der Verwertung des dem Vermieterpfandrecht des Vermieters unterliegenden Anlage- und Umlaufvermögens der Mieterin zahlte der Insolvenzverwalter einen Betrag von EUR 898.526 an den Vermieter mit der Bestimmung aus, dass die Zahlung vorrangig auf die noch offenen Masseverbindlichkeiten von EUR 394.202,36 und sodann auf die Insolvenzforderungen von EUR 793.575,21 anzurechnen sei. Der Vermieter, der diese Tilgungsbestimmung für unwirksam erachtet und die erhaltenen Zahlungen zuvörderst den vor Verfahrenseröffnung begründeten Mietrückständen gutbringt, verlangt mit seiner Klage Zahlung der im Zeitraum nach Verfahrenseröffnung angefallenen Mieten in Höhe von insgesamt noch offenen EUR 289.251,57. Der Bundesgerichtshof gibt dem Vermieter recht und entscheidet, dass die Klageforderung in Höhe von EUR 289.251,57, die nach Verfahrenseröffnung entstandene Mietforderungen zum Gegenstand hat, nicht durch die vornehmlich auf die offenen Insolvenzforderungen anzurechnende Zahlung des Insolvenzverwalters über EUR 898.526 erfüllt wurde. Das Mietverhältnis zwischen dem Vermieter und dem Mieter dauerte über die Verfahrenseröffnung hinaus vereinbarungsgemäß bis zum 30.04.2012. Darum schuldet der Insolvenzverwalter als Masseverbindlichkeit Zahlung der ausbedungenen Miete bis Vertragsende. Miet- und Pachtverhältnisse des Mieters über unbewegliche Gegenstände oder Räume bestehen gemäß § 108 Abs. 1 S. 1 InsO mit Wirkung für die Insolvenzmasse fort. Das Mietverhältnis wird folglich nicht durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens beendet. Ansprüche aus einem gemäß § 108 Abs. 1 S. 1 InsO nach Insolvenzeröffnung fortbestehenden Mietverhältnis sind Masseverbindlichkeiten, wenn ihre Erfüllung für die Zeit nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfolgen muss (§ 55 Abs. 1 Nr. 2 Fall 2 InsO; BGH, Urteil vom 13.12.2012 – IX ZR 9/12, WM 2013, 138 Rn. 10). Da das Mietverhältnis fortwirkt, kann der Vermieter von dem Insolvenzverwalter die Begleichung der nach Verfahrenseröffnung entstandenen Mietforderungen beanspruchen.

Diese Verbindlichkeiten über noch offene EUR 289.251,57 sind nicht durch die Zahlungen von insgesamt EUR 898.526 erfüllt worden. Der Insolvenzverwalter kann sich nicht darauf berufen, im Wege einer Tilgungsbestimmung (§ 366 Abs. 1 BGB) die nach Verfahrenseröffnung begründeten, mit der Klage verfolgten Mietforderungen berichtigt zu haben. Dem Schuldner steht das Tilgungsbestimmungsrecht des § 366 Abs. 1 BGB nicht zu, wenn der Gläubiger entweder im Wege der Zwangsvollstreckung oder durch Verwertung einer von dem Schuldner bestellten Sicherung befriedigt wird. Die Befugnis zur Tilgungsbestimmung stellt eine Vergünstigung für den Schuldner dar, deren Grund seine freiwillige Leistung bildet. Zugleich zieht § 366 Abs. 1 BGB die praktische Konsequenz daraus, dass die Zahlung vom Schuldner ausgeht. Bereits der Wortlaut des §§ 366 Abs. 1 BGB lässt erkennen, dass die Befugnis zur Tilgungsbestimmung nur dem Schuldner zustehen soll, der zur Erfüllung seiner Pflichten tätig wird, wobei der Zeitpunkt der Ausübung grundsätzlich mit dem Zeitpunkt dieser Tätigkeit („bei der Leistung“) übereinstimmen muss. Diese Auslegung der Vorschrift erscheint auch unter Gerechtigkeitsgesichtspunkten angemessen. Es wäre schwer verständlich, wenn die in dem Tilgungsbestimmungsrecht liegende Vergünstigung nicht nur dem Schuldner zugute käme, der wenigstens einen Teil der geschuldeten Leistung erbringt, sondern auch demjenigen, der pflichtwidrig nicht leistet und daher im Wege der Zwangsvollstreckung in Anspruch genommen werden muss. Das Tilgungsbestimmungsrecht steht deshalb nur dem Schuldner zu, der zur Erfüllung seiner Pflichten tätig wird, nicht aber dem, gegen den die Zwangsvollstreckung betrieben werden muss (BGHZ 140, 391, 394; Palandt, BGB, § 366 Rn. 3). Der Bundesgerichtshof hat es deshalb auch bereits mit Urteil vom 23.02.1999 (BGHZ 140, 391) und mit Urteil vom 28.06.2000 – XII ZR 55/98 – abgelehnt, dem Schuldner das Recht zuzubilligen, gegenüber dem vollstreckenden Grundschuldgläubiger zu bestimmen, welche von mehreren durch die Grundschuld gesicherten Forderungen des Gläubigers mit dem Erlös aus der Zwangsversteigerung des Grundstücks befriedigt werden sollen.

Mangels einer freiwilligen Zahlung gilt in Fällen der Verwertung einer Sicherung grundsätzlich nichts anderes als für die Beitreibung im Wege der Zwangsvollstreckung (BGH, WM 2011, 561 Rn. 15). Darum ist § 366 Abs. 1 BGB bei einer Befriedigung des Vermieters durch Zugriff auf eine Mietkaution nicht anwendbar (BGH WM 1972, 335, 337). Eine einseitige Tilgungsbestimmung ist mithin im Fall der Auskehr des Erlöses einer Sicherheit an den Sicherungsnehmer nicht zulässig.

Nach diesen Maßstäben ist die vom Insolvenzverwalter getroffene Leistungsbestimmung unbeachtlich, weil die Befriedigung einmal im Rahmen eines der Einzelzwangsvollstreckung insoweit gleichstehenden Insolvenzverfahrens erfolgte und zum anderen aus dem Erlös der Verwertung einer dem Vermieter gewährten Sicherung herrührt. Scheidet bei Betreibung in der Einzelzwangsvollstreckung ein Leistungsbestimmungsrecht des Schuldners aus, hat dies bei Leistungen im Rahmen einer Insolvenz als Gesamtvollstreckungsverfahren ebenfalls zu gelten. Soweit die Rechtsausübung des Schuldners in der Einzelzwangsvollstreckung Beschränkungen unterliegt, gelten diese erst recht auch für das insolvenzrechtliche Gesamtvollstreckungsverfahren, das Ausdruck einer umfassenden Leistungsunfähigkeit des Schuldners ist. Ein Tilgungsbestimmungsrecht nach § 366 Abs. 1 BGB kommt in der Zwangsvollstreckung und dementsprechend in der Insolvenz als Gesamtvollstreckungsverfahren nicht zum Tragen, weil in einem Insolvenzverfahren ebenso wie bei einer Zwangsvollstreckung von einer freiwilligen Leistung des Schuldners keine Rede sein kann. Mit Rücksicht auf den Vollstreckungscharakter der insolvenzrechtlichen Verwertung ist der Insolvenzverwalter darum nicht befugt, bei der Erlösverteilung eine Tilgungsbestimmung nach § 366 Abs. 1 BGB zu treffen (BGH ZIP 1985, 487, 489 f.). Schon allein aus dieser Erwägung geht die von dem Insolvenzverwalter bei seiner Zahlung mit Wirkung für den Mieter verlautbarte Tilgungsbestimmung ins Leere.

Ferner war für eine Tilgungsbestimmung des Insolvenzverwalters kein Raum, weil der Vermieter aus dem Erlös der Verwertung einer ihm zustehenden Sicherung befriedigt wurde. Der Kläger war als Vermieter Inhaber eines Vermieterpfandrechts (§ 562 Abs. 1 BGB), das sich auf die vor und nach Verfahrenseröffnung fällig werdenden Mietforderungen erstreckte (BGHZ 170, 196 Rn. 11). Infolge seines unmittelbaren Besitzes waren die dem Vermieterpfandrecht des Klägers unterliegenden Gegenstände durch den Beklagten als Insolvenzverwalter zu verwerten (§ 166 Abs. 1, § 50 InsO). Auch bei der Verwertung einer Sicherheit in der Insolvenz ist dem Insolvenzverwalter eine Tilgungsbestimmung verwehrt (BGH WM 2011, 561 Rn. 15). Eine andere Beurteilung ist nicht deshalb gerechtfertigt, weil der Insolvenzverwalter gemäß § 166 Abs. 1 InsO ein eigenes Verwertungsrecht wahrnimmt und mit seiner Tilgungsbestimmung die Befriedigungsinteressen der Gläubigergesamtheit verfolgt. Das Verwertungsrecht des Insolvenzverwalters dient dem Zweck, eine Fortführung und Sanierung des Unternehmens zu ermöglichen und durch eine vorteilhafte Gesamtveräußerung die Interessen der gesicherten Gläubiger zu fördern. Nachteile zu Lasten des Absonderungsberechtigten (also des Vermieters) sollen, wie die Pflicht des § 168 InsO zur Wahrnehmung einer günstigen Verwertungsmöglichkeit und die Pflicht des § 169 InsO zur Verzinsung bei einer verzögerten Verwertung belegen, tunlichst vermieden werden. Das Absonderungsrecht erfasst im Interesse des Absonderungsberechtigten nach Insolvenzeröffnung fällig werdende Ansprüche auf Kosten und Zinsen. Die Tilgungsreihenfolge des § 367 Abs. 1 BGB gilt zu seinen Gunsten auch für die seit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens laufenden Zinsen. Findet § 367 BGB in einem Insolvenzverfahren uneingeschränkte Anwendung, verleiht das Gesetz folgerichtig dem Insolvenzverwalter auch kein von dem allgemeinen Verständnis des § 366 Abs. 1 BGB abweichendes Tilgungsbestimmungsrecht.

Die Zahlungen des Insolvenzverwalters über insgesamt EUR 898.526 sind darum gemäß § 366 Abs. 2 BGB zuvörderst auf die bis zur Verfahrenseröffnung entstandenen, ebenfalls offenen älteren Mietrückstände anzurechnen. Mithin ist die Klageforderung begründet. Ist der Schuldner dem Gläubiger aus mehreren Schuldverhältnissen zu gleichartigen Leistungen verpflichtet und reicht das von ihm Geleistete nicht zur Tilgung sämtlicher Schulden aus, so wird gemäß § 366 Abs. 1 BGB diejenige Schuld getilgt, welche er bei der Leistung bestimmt. Trifft der Schuldner keine Bestimmung, so gilt die gesetzliche Tilgungsreihenfolge des § 366 Abs. 2 BGB. Danach wird insbesondere die zunächst fällige Schuld und unter mehreren fälligen Schulden diejenige, welche dem Gläubiger geringere Sicherheit bietet, getilgt. Schuldet der Mieter – wie im Streitfall – mehreren Mietraten, ist § 366 BGB entsprechend anwendbar (BGH NJW 1965, 1373; BGHZ 91, 375 379). Danach wird die älteste Rate, die zuerst verjähren würde und daher dem Vermieter geringere Sicherheit bietet, getilgt (BGHZ 179, 1 Rn. 19). Folglich ist die Zahlung über EUR 898.526 insbesondere auf die älteren, vor Verfahrenseröffnung begründeten Mietforderungen und nicht die später entstandene, weiter offene Klageforderung anzurechnen.