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KG Berlin, Urteil vom 15.08.2019 – 8 U 209/16 – “Umlageschlüssel im gewerblichen Mietrecht“


Häufig versuchen Vermieter, Großmieter bei der Nebenkostenumlage dadurch zu bevorzugen, dass sie Flächen gewichten. Einen derartigen Fall, der im Einkaufszentrum Mall of Berlin spielt, hatte das Kammergericht Berlin mit Urteil vom 15.08.2019 – 8 U 209/16 zu beurteilen. Im formularmäßigen Mietvertrag war folgende Klausel enthalten:

„Die Verteilung und Abrechnung der allgemeinen Nebenkosten (nicht verbrauchsabhängige) erfolgt im Verhältnis der angemieteten Flächen zur Gesamtmietfläche. Die Gesamtmietfläche wird wie folgt berechnet: Alle Laden- und Gastronomieflächen werden zusammengezählt und dabei werden Ladenflächen größer als 1.000 m² mit max. 1.000 m² bei der Berechnung berücksichtigt. Des Weiteren werden Ladenflächen, welches sich über zwei Geschosse erstrecken, nur mit 50 % der Mietfläche in der Nebenkostenabrechnung berücksichtigt. Der Vermieter behält sich Änderungen des Umlageschlüssels nach billigem Ermessen vor.“

Der Vermieter verteidigt die Sachgerechtigkeit der Klausel und die damit zwangsläufig verbundene Privilegierung großflächiger Mieter damit, dass dem Mietvertrag ein nicht zu beanstandendes Umlagekonzept zugrunde liege. Die Meinung des Mieters, das Umlagekonzept weiche von wesentlichen Grundlagen der gesetzlichen Regelung ab, sei nicht überzeugend, denn es werde übersehen, dass es im Gewerberaummietrecht für die Umlage von Nebenkosten kein gesetzliches Leitbild und keine wesentlichen Grundgedanken gibt. § 556a BGB, der eine flächenanteilige Umlage vorsieht, betreffe nur die Wohnungsmiete. Und auch dort seien abweichende Vereinbarungen gestattet. Die Umlageregelung sei auch sachgerecht. Denn die Kleinmieter profitieren in unverhältnismäßiger Art und Weise davon, dass es Großmieter gibt. Gäbe es in einem Einkaufszentrum keinen Großmieter, würde das Einkaufszentrum niemand besuchen und niemand würde bei den kleinen Mietern einkaufen. Nur durch die Großmieter könnten die Mieter kleinerer Flächen also überhaupt einen bestimmten Umsatz und Gewinn erarbeiten und erwirtschaften. Letztendlich dürfe nicht übersehen werden, dass es auch vollkommen egal sei, wie die Belastung der Kleinmieter erfolgt. Es mache keinen Unterschied, ob diese kleinen Mieter eine höhere Grundmiete oder höhere Nebenkosten zahlen. Da die Umverteilung innerhalb des Einkaufszentrums über die Grundmiete unzweifelhaft zulässig sei, muss dies auch für die Nebenkosten gelten.

Das Kammergericht Berlin folgt der Argumentation des Vermieters nicht und entscheidet, dass eine formularmäßige, vom Vermieter gestellte Betriebskostenumlageklausel, welche die Flächen von Mietern nur bis zur Größe von 1.000 m² und der zweigeschossigen Mietflächen mit 50 % der tatsächlichen Fläche berücksichtigt, den flächenbezogenen Abrechnungsmaßstab zugunsten dieser Mieter verzerrt und wegen unangemessener Benachteiligung der kleinen Mieter nach § 307 BGB unwirksam ist. Folge der Unwirksamkeit ist eine Umlage nach dem Verhältnis der tatsächlichen Gesamtmietfläche des Einkaufszentrums zu den tatsächlichen einzelnen Mietflächen. Die Umlageklausel ist wegen unangemessener Benachteiligung der Mieter geringer Flächen nach § 307 Abs. 1 BGB unwirksam. Es gehört zu den wesentlichen Grundgedanken des Betriebskostenrechts, dass der Mieter nicht in erheblichem Umfang mit Kosten belastet wird, die er nicht verursacht hat und die auch nicht seinen Mieträumen zugeordnet werden können (vergleiche etwa zur Unzulässigkeit der Abwälzung von Kosten, die auf Leerstandsflächen entfallen, BGH NJW 2010, 3645 Tz 13, 23; ferner BGH NJW 2009, 2058 Tz 16 zur Überschreitung der Grenze zumutbarer generalisierender Betrachtungsweise, wenn der Mieter mit Kosten eines Aufzugs belastet wird, der sich in einem anderen Bauteil befindet und ihm daher keinen auch nur theoretischen Nutzungsvorteil bietet). Nicht anders liegt es bei der vorliegenden Klausel, der ein (so bezeichnetes) „Umlagekonzept“ zugrunde liegt, das zu einer erheblichen Mehrbelastung kleinerer Mietflächen mit den gesamten (verbrauchsunabhängigen) Betriebskosten führt, während sie im Gegenzug Großmieter ohne sachlichen Grund durch einen fiktiven Ansatz ihrer Mietfläche nur bis zu 1.000 m² bzw. bei zweigeschossigen Mietflächen mit 50 % der tatsächlichen Fläche bevorzugt und entlastet. Der Flächenmaßstab, der nach der gesetzgeberischen Entscheidung (§ 556a BGB) ein ohne Rücksicht auf einzelne Verursachungsbeiträge grundsätzlich angemessener Maßstab zur Nebenkostenumlage ist (vergleiche BGH NJW 2006, 3557 Tz 20; NJW 2006, 2771 Tz 14; Palandt, BGB, § 556a Rn. 5) wird damit bewusst verzerrt, um einzelne Mieter zu entlasten. Die stellt eine unangemessene Benachteiligung der anderen Mieter dar (ebenso Schmidt-Futterer/Langenberg, Mietrecht, § 556a Rn. 28; siehe auch Rn. 69: grundsätzlich keine Umlage nach der Zahl der Mietobjekte anstatt ihrer Größe). Die hiergegen vorgebrachten Ausführungen des Vermieters überzeugen nicht. Dass § 556a BGB für Gewerbemietverträge nicht gilt, ist unerheblich, da dies nichts daran ändert, dass die Umlage nach dem Anteil der tatsächlichen Mietflächen ein Gebot der Kostengerechtigkeit ist. Dass nicht „der gerechteste“ Maßstab gewählt werden muss, rechtfertigt nicht, einen unbilligen und ungerechten Maßstab zu wählen. Dass eine AGB-Kontrolle nicht möglich sei, weil es für den Umlageschlüssel kein gesetzliches Leitbild gebe, von dem abgewichen werden könne, ist unzutreffend. Das gesetzliche Leitbild des § 535 BGB besagt, dass der Vermieter die Betriebskosten zu tragen hat (Palandt, § 535 Rn. 87). Wenn er diese auf den Mieter abwälzt, setzt dies einen billigen und sachgerechten Maßstab voraus. Es gehört zu den „wesentlichen Grundgedanken des Betriebskostenrechts“, dass der Vermieter die auf einen Leerstand entfallenden Kosten zu tragen hat (vergleiche BGH NJW 2010, 3645 Tz 13, 17, 43, 28; NJW 2006, 2771 Tz 13). Der Bundesgerichtshof hat dementsprechend entschieden, dass es zwar keine absolute Verteilungsgerechtigkeit geben kann, jedoch ein objektiver Abrechnungsmaßstab für alle zur Wirtschaftseinheit zählenden Nutzer gelten muss. Die Beschaffenheitsvereinbarung zur Fläche, die mit einzelnen Mietern getroffen wird, scheidet als tauglicher Abrechnungsmaßstab daher aus (BGH NJW 2018, 2317 Tz 22, zur Maßgeblichkeit der tatsächlichen und nicht der im Mietvertrag vereinbarten Wohnungsgröße). Die Klausel ist auch nicht deshalb angemessen, weil die „kleinen Mieter“ in besonderer Weise davon profitieren, dass es „Großmieter“ gibt. Sollte der Erfolg des Centers (der Mall of Berlin) von dieser Mieter-Struktur abhängen, wäre es in gleicher Weise das Interesse des Vermieters, das hiermit verfolgt und gewahrt wird. Es besteht dann jedoch kein Grund, die übrigen Mieter mit den Kosten der Sonderzusage zu belasten. Es liegt somit kein besonderer Vorteil gerade der Mieterschaft vor, welcher die AGB-rechtliche Durchbrechung allgemeiner Grundsätze der Verteilungsgerechtigkeit als angemessen erscheinen lassen könnte. Der Überlegung, dass es keinen Unterschied machen könne, ob die kleinen Mieter eine höhere Grundmiete oder höhere Nebenkosten zahlen, ist ebenfalls nicht zu folgen. Die Grundmiete ist in jedem Fall – sowohl für Klein- als auch für Großmieter – Vereinbarungssache, sie kann sich somit im Laufe der Zeit auch ändern, und muss für die Großmieter ohnehin nicht die gleiche Höhe haben wie für Kleinmieter. Dass der Vermieter ohne die Kappungsklausel gegenüber kleinen Mietern eine höhere Grundmiete hätte durchsetzen können, ist nicht feststellbar, sodass dieser Aspekt einer Unangemessenheit im Sinne von § 307 BGB nicht entgegensteht.

Folge der Unwirksamkeit der mietvertraglichen Umlageklausel ist, dass eine Umlage nach der tatsächlichen Gesamtmietfläche des Einkaufscenters zu erfolgen hat. Entweder man kann die mietvertragliche Umlageregelung insoweit aufrechterhalten, als diese eine flächenanteilige Umlage vorsieht oder man nimmt die Gesamtunwirksamkeit der Umlageregelung an und schließt die dann bestehende Vertragslücke gemäß §§ 133, 157 BGB im Wege ergänzender Vertragsauslegung durch den angemessenen Maßstab der Umlage nach der Gesamtmietfläche. Die Begründung ist juristische Hochseilakrobatik. Entscheidend ist aber das Ergebnis. Ist eine formularmäßige Umlageregelung unangemessen benachteiligend, dann tritt an deren Stelle eine Umlage der verbrauchsunabhängigen Kosten nach Flächenanteilen.