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Bundesgerichtshof, Urteil vom 26.04.2023 – VIII ZR 420/21 – „Psychische Erkrankung per se verhindert Zutritt zur Wohnung nicht „


Der klagende Vermieter beabsichtigte die vermietete Wohnung zu verkaufen und forderte daher die beklagte Mieterin auf, Zutritt zur Wohnung für Besichtigungen der Erwerber zu gewähren. Die Beklagte lehnte dies unter Verweis auf eine schwerwiegende psychische Erkrankung ab.

Aus diesem Grund hat der Kläger die Beklagte auf Gewährung von Zutritt zur Wohnung in Begleitung von Immobilienmakler und Kaufinteressenten an einem Werktag zwischen 10:00 und 18:00 Uhr nach mindestens 3 Tage vorhergehender Ankündigung gerichtlich in Anspruch genommen. Während das Amtsgericht der Klage mit der Einschränkung stattgab, dass der Zutritt auf die Anwesenheit von max. 2 Personen für die Dauer von max. 45 Minuten beschränkt ist, hat das Berufungsgericht nach Einholung eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens das Urteil I. Instanz abgeändert und die Klage abgewiesen.

Die vor dem Bundesgerichtshof eingelegte Revision hatte Erfolg und führte zur Aufhebung des Urteils und Verweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht. Der Bundesgerichtshof entscheidet, dass es eine jedenfalls aus § 242 BGB (häufig gibt es hierzu auch mietvertragliche Regelungen) abgeleitete Nebenpflicht des Mieters gibt, dem Vermieter den Zutritt zu seiner Wohnung zu gewähren, wenn es hierfür einen konkreten sachlichen Grund gibt. Eine gewünschte Besichtigung der Mietwohnung anlässlich eines beabsichtigten Verkaufs kann so einen sachlichen Grund darstellen. Abzuwägen ist einerseits das Eigentumsrecht des Vermieters (Art. 14 GG) und andererseits das Recht des Mieters in den Räumen „in Ruhe gelassen zu werden“, was grundgesetzlich durch Art. 13 GG geschützt ist. Diese beiden Grundrechtspositionen sind zu einem angemessenen Ausgleich zu bringen.

Regelmäßig muss die Rechtsposition des Mieters aufgrund der geringfügigen Beeinträchtigung hinter das rechtlich geschützte Interesse des Vermieters über sein Eigentum frei zu verfügen, zurücktreten. Ausnahmsweise kann dieses Recht des Vermieters allerdings eine Beschränkung erfahren, wenn der Mieter durch die Besichtigung der Gefahr schwerwiegender Gesundheitsbeeinträchtigungen oder gar einer Lebensgefahr ausgesetzt würde.

Um die Abwägung im Einzelfall vorzunehmen, sind die Gerichte verpflichtet, die Entscheidung auf eine tragfähige Grundlage zu stellen und Beweisangeboten besonders sorgfältig nachzugehen. Das Berufungsgericht hat zwar richtigerweise ein psychiatrisches Sachverständigengutachten eingeholt. Das Berufungsgericht hat allerdings das psychiatrische Gutachten nicht vollständig zur Kenntnis genommen und sich mit den Ausführungen des Sachverständigen zu den gesundheitlichen Auswirkungen einer möglichen Vertretung der Beklagten bei einer Wohnungsbesichtigung nicht auseinandergesetzt. Zwar hat der Gutachter ausgeführt, dass sowohl bei Erlass auch als bei Vollstreckung des Urteils ein hohes Risiko für Handlungen der beklagten Mieterin mit einer erheblichen Gesundheitsgefährdung bis hin zum vollendeten Suizid besteht. Jedoch hat das Berufungsgericht die Ausführungen des Sachverständigen nicht gewürdigt, dass sich die beklagte Mieterin bei der Wohnungsbesichtigung durch eine Vertrauensperson oder einen Rechtsanwalt vertreten lassen kann und hierdurch sich die gesundheitlichen Komplikationen verringern. Die Sache wurde daher zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen, damit dort weitere erforderliche Feststellungen und ggf. eine weitere ergänzende Anhörung des psychiatrischen Sachverständigen erfolgen können, um eine tragfähige Entscheidungsgrundlage herzustellen.

Grundsätzlich besteht ein Anspruch des Vermieters, den Zutritt zur Wohnung bei sachlichen Gründen gewährt zu erhalten. In Ausnahmefällen sind jedoch die Rechtspositionen des Mieters – wie Leben und Gesundheit – derart beeinträchtigt, dass dieser Anspruch des Vermieters zurücktreten muss. Die Gerichte müssen hier im Einzelfall eine sorgfältige Sachaufklärung leisten und das Abwägungsergebnis auf eine tragfähige Grundlage stellen.