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BGH, Urteil vom 22.04.2015 – XII ZR 55/14 – “Neues zur Schriftform


Mandanten hegen manchmal den (meist unbegründeten) Verdacht, ihr Anwalt sei übervorsichtig, wenn er beim Abschluss eines über die Dauer eines Jahres hinausgehenden Mietvertrages sorgfältig darauf achtet, dass die Schriftform eingehalten wird. Dass aber aller Anlass dafür besteht, gründlich zu prüfen, ob die strengen Anforderungen der Rechtsprechung zur Wahrung der Schriftform erfüllt werden, zeigt die Rechtsprechung zur Problematik der gesetzlichen Schriftform des § 550 BGB bei der Unterzeichnung einer Vertragsurkunde durch nur einen Vorstand einer AG ohne Vertretungszusatz. Die Rechtsfolgen eines Schriftformmangels sind bekanntlich fatal, denn dann ist der Mietvertrag ordentlich kündbar.

  1. Urteil des Bundesgerichtshofs vom 04.11.2009 – XII ZR 86/07

Für große Aufregung im Fachschrifttum hatte das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 04.11.2009 gesorgt. In diesem Falle bestand ein zehnjähriger Mietvertrag zwischen dem Vermieter und der Mieterin, einer Aktiengesellschaft. Nach Abschluss eines die Schriftform wahrenden Mietvertrages für die Dauer von zehn Jahren einigten sich die Mietvertragsparteien auf eine Mieterhöhung und schlossen einen Mietvertragsnachtrag. Nach diesem Mietvertragsnachtrag wurde die Mieterin, eine Aktiengesellschaft, durch die Vorstandsmitglieder G und K vertreten. Unterzeichnet wurde die Vereinbarung nur durch K. Später kündigte die Mieterin den Mietvertrag ordentlich mit der Begründung, der Mietvertragsnachtrag wahre nicht die Schriftform. Der Bundesgerichtshof gab der Mieterin Recht.

Bei einer Aktiengesellschaft sind nach § 78 Abs. 2 S. 1 AktG, wenn der Vorstand aus mehreren Personen besteht, sämtliche Vorstandsmitglieder nur gemeinschaftlich zur Vertretung der Gesellschaft befugt. Die Nachtragsvereinbarung hat aber nur ein Vorstandsmitglied unterzeichnet. Es stellt sich deshalb die Frage, ob die Schriftform gewahrt ist, wenn die Mietvertragspartei zwar nicht aus einer Personenmehrheit, sondern einer Kapitalgesellschaft besteht und diese nicht von einer Einzelperson, sondern einer Personenmehrheit vertreten wird, aber nur ein Mitglied der vertretenden Personenmehrheit unterzeichnet hat. Der Bundesgerichtshof beantwortet diese Frage dahingehend, dass ein Schriftformmangel vorliegt. Er führt aus, wenn nur ein Mitglied des Vorstands unterzeichnet, obwohl das Gesetz die Mitwirkung aller Vorstandsmitglieder verlangt, lasse sich der Urkunde ohne Vertretungszusatz nicht entnehmen, ob die übrigen Vorstandsmitglieder noch unterzeichnen müssen. Ein Rechtsnachfolger, dessen Schutz die Schriftform in erster Linie dient, kann nicht erkennen, ob der Unterzeichnende auch für das weitere Vorstandsmitglied unterzeichnet hat. Für ihn kann deshalb der Eindruck entstehen, dass die Urkunde unvollständig ist und es zur Wirksamkeit des Vertrages noch einer weiteren Unterschrift bedarf. Bei der Unterzeichnung lediglich durch ein Vorstandsmitglied wird auch nicht aus den Umständen deutlich, dass es für die weiteren Vorstandsmitglieder gehandelt hat. Zwar ist es nicht zweifelhaft, dass das Vorstandsmitglied einer AG nicht für sich, sondern für die AG handelt. Darum geht es aber nicht. Die entscheidende Frage ist vielmehr, ob das unterzeichnende Vorstandsmitglied auch für die weiteren Vorstandsmitglieder gehandelt hat, deren Mitwirkung nach der gesetzlichen Regelung des § 78 Abs. 2 S. 1 AktG unerlässlich ist. Das ergibt sich aus den Umständen aber nicht. Um hinreichend deutlich zu machen, dass ein Vorstandsmitglied durch seine Unterschrift für ein weiteres Vorstandsmitglied handeln will, bedarf es deshalb eines Vertretungszusatzes. Dabei ist nötig, aber auch ausreichend, klarzustellen, dass der Unterzeichnende nicht nur für die AG, sondern darüber hinaus für ein weiteres Vorstandsmitglied handeln will, etwa durch den Vermerk „i. V. … „. Ob der Vertrag damit wirksam zu Stande kommt oder – mangels Vollmacht des Unterzeichnenden – noch der Genehmigung der anderen Vorstandsmitglieder bedarf, ist keine Frage der Schriftform, sondern der Wirksamkeit, denn § 550 BGB will den Erwerber lediglich über den wesentlichen Inhalt des Vertrags informieren, wozu auch die erforderlichen Unterschriften zählen, und nicht darüber, ob überhaupt ein wirksamer Vertrag besteht (so bereits BGH NZM 2008, 482). Da das unterzeichnende Vorstandsmitglied nicht klargestellt hat, dass es auch für das andere Vorstandsmitglied handeln wollte, war die Schriftform nicht gewahrt. Gemäß § 550 BGB konnte deshalb der Mietvertrag mit der gesetzlichen Frist gekündigt werden.

  1. Urteil des Bundesgerichtshofs vom 22.04.2015 – XII ZR 55/14

Wie differenziert der Bundesgerichtshof auf den ersten Blick vermeintlich gleich erscheinende Sachverhalte beurteilt, verdeutlicht die aktuelle Entscheidung vom 22.04.2015. Zwischen dem Vermieter und Kläger und der Mieterin und Beklagten, einer AG, wurde ein Mietvertrag über Gewerberäume für die Dauer von zehn Jahren, beginnend mit dem 01.12.1998, geschlossen. Der Mietvertrag, dessen Rubrum keine Angaben über die Vertretung der Aktiengesellschaft enthält, wurde für die Mieterin von dessen Vorstand K. N. und dem Prokuristen K. W. unterzeichnet. Mit Nachtrag vom 15.03.2004 wurde der Mieterin das Recht eingeräumt, das Mietverhältnis nach Ablauf der festen Mietzeit um fünf Jahre zu verlängern. Im Rubrum dieses Nachtrags ist die AG, vertreten durch den Vorstand K. N. und M. T., aufgeführt. Unterzeichnet wurde der Nachtrag durch K. N. und „i. V. M. E.“.  Mit weiterem Nachtrag vom 09.03.2007 wurde zu Gunsten der Mieterin ein Optionsrecht für weitere fünf Jahre vereinbart. Im Rubrum des Nachtrags vom 09.03.2007 ist die AG, vertreten durch den Vorstand, genannt. Unterzeichnet wurde der Nachtrag für die Mieterin durch K. N. Der Vermieter hat das Mietverhältnis ordentlich gekündigt und die Auffassung vertreten, der Mietvertrag sowie die Nachträge wahrten nicht die Schriftform, weshalb ihm das Recht zur ordentlichen Kündigung zustehe. Der Vermieter erhebt Räumungsklage und unterliegt in allen Instanzen.

Der Bundesgerichtshof führt aus, dass der ursprüngliche Mietvertrag die für die wirksame Vereinbarung einer Laufzeit von mehr als einem Jahr erforderliche schriftliche Form (§ 550 i. V. m. § 578 Abs. 1 BGB) wahrt. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist das der Fall, wenn sich die für den Abschluss des Vertrags notwendige Einigung über alle wesentlichen Vertragsbedingungen, insbesondere über den Mietgegenstand, die Miete sowie die Dauer und die Parteien des Mietverhältnisses, aus einer von beiden Parteien unterzeichneten Urkunde ergibt. Von der Schriftform ausgenommen sind nur solche Abreden, die für den Inhalt des Vertrags, auf denen die Parteien sich geeinigt haben, von nur nebensächlicher Bedeutung sind (BGH NJW 2008, 2178 Rn. 18). Dass der Mietvertrag die wesentlichen Vertragsbedingungen enthält, ist nicht zweifelhaft. Unterschrieben worden ist er vom Vermieter sowie – auf Seiten der Mieterin – von dem Vorstandsmitglied K. N. und einem Prokuristen. Damit ist die Schriftform nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gewahrt. Ist die Urkunde im Falle einer Personenmehrheit nicht von allen Vermietern oder Mietern unterzeichnet, müssen die vorhandenen Unterschriften deutlich zum Ausdruck bringen, dass sie auch in Vertretung der nicht unterzeichnenden Vertragsparteien geleistet worden sind. Denn sonst lässt sich der vorliegenden Urkunde nicht eindeutig entnehmen, ob der Vertrag mit den vorhandenen Unterschriften, auch für die und in Vertretung der anderen genannten Vertragsparteien, zustande gekommen ist oder ob die Wirksamkeit des Vertrags so lange hinausgeschoben sein soll, bis auch die weiteren Vertragsparteien diesen unterschrieben haben. Handelt es sich bei einer Mietvertragspartei wie hier dagegen nicht um eine Personenmehrheit, sondern um eine Kapitalgesellschaft (hier also eine Aktiengesellschaft), die von mehreren Personen vertreten wird, kann der Eindruck, die Urkunde sei in Bezug auf die Unterschriften noch unvollständig, nicht entstehen, wenn ein Mitglied des Vorstands und ein Prokurist unterzeichnet haben. Ein Rechtsnachfolger, dessen Schutz die Schriftform in erster Linie dient, kann in diesem Fall erkennen, dass die Unterzeichnung für alle Vorstandsmitglieder erfolgt ist. Denn nach § 78 Abs. 3 AktG kann die Satzung der Gesellschaft unter anderem bestimmen, dass einzelne Vorstandsmitglieder in Gemeinschaft mit einem Prokuristen zur Vertretung der Gesellschaft befugt sind. Deshalb genügt die Unterzeichnung durch ein Vorstandsmitglied und einen – wie hier – mit dem Zusatz „ppa“ unterschreibenden Prokuristen dem Schriftformerfordernis.

Auch der 1. Nachtrag vom 15.03.2004 wahrt die Schriftform. Nach der so genannten Auflockerungsrechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist die gesetzliche Schriftform des gesamten Vertragswerks gewahrt, wenn eine Nachtragsurkunde auf den ursprünglichen Vertrag Bezug nimmt und zum Ausdruck bringt, es solle unter Einbeziehung der Nachträge bei dem verbleiben, was früher formgültig niedergelegt worden sei (BGH NJW-RR 2000, 744, 745 m.w.N.). Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Unterzeichnet wurde der Nachtrag wiederum von dem Vorstandsmitglied K. N. und einem Vertreter. Damit kann insofern nicht der Eindruck entstehen, die Urkunde sei im Hinblick auf die geleisteten Unterschriften unvollständig.

Der Vermieter und Räumungskläger hatte argumentiert, der 2. Nachtrag vom 09.03.2007 wahre nicht die Schriftform, weil dieser Nachtrag nur von dem Vorstandsmitglied K. N. unterzeichnet worden sei, obwohl die Aktiengesellschaft ausweislich des Handelsregisters nur von zwei Vorstandsmitgliedern oder einem Vorstandsmitglied und einem Prokuristen habe vertreten werden können, und ein Vertretungszusatz fehle. Dass sich die Vertretungsregelung nicht aus dem Vertrag ergebe, sei unerheblich, weil sie aus dem Handelsregister ersichtlich sei. Daher sei die Unvollständigkeit der Urkunde erkennbar gewesen. Dieser Rechtsauffassung folgt der Bundesgerichtshof allerdings nicht. Er führt aus, er habe zwar für Fälle, in denen die Vertretungsregelung der Aktiengesellschaft im Rubrum des Mietvertrages angegeben ist entschieden, dass sich der ohne Vertretungszusatz geleisteten einzelnen Unterschrift nicht entnehmen lasse, ob die übrigen Vorstandsmitglieder noch unterzeichnen müssten; deshalb könne der Eindruck entstehen, es bedürfe zur Wirksamkeit der Vereinbarung einer weiteren Unterschrift. Bei einer solchen Gestaltung folgen die Zweifel an der Vollständigkeit der Unterschriftsleistung unmittelbar aus der Urkunde selbst (BGH, Urteil vom 06.10.2009 – VI ZR 314/08 = NJW 2010, 1453 Rn. 2, 18 ff.).

Der Bundesgerichtshof führt aus, dass der von ihm jetzt zu entscheidende vorliegende Fall sich insoweit von dem Sachverhalt unterscheide, der dem Urteil vom 04.11.2009 – XI ZR 86/07 – zugrunde lag, dass das Rubrum des Mietvertrags keine Angaben zur Vertretungsregelung der Aktiengesellschaft enthielt. Im Rubrum des Nachtrags vom 09.03.2007 heißt es hierzu lediglich „……. AG, vertreten durch den Vorstand“. Unter solchen Umständen können Zweifel daran, ob das unterzeichnende Vorstandsmitglied nur für sich oder auch für weitere Vorstandsmitglieder unterschreiben will, nicht auftreten. Gemäß § 76 Abs. 2 AktG kann der Vorstand einer Aktiengesellschaft aus einer oder mehreren Personen bestehen. Selbst wenn der Vorstand aus mehreren Personen besteht, kann die Satzung einer Aktiengesellschaft nach § 78 Abs. 3 AktG bestimmen, dass einzelne Vorstandsmitglieder allein zur Vertretung der Gesellschaft befugt sind. In einem solchen Fall steht der Wahrung der Schriftform das Fehlen eines Vertretungszusatzes nicht entgegen. Denn da K. N. nicht selbst Vertragspartei war, kann seine Unterschrift auf der mit Mieter gekennzeichneten Unterschriftszeile nur bedeuten, dass er die im Rubrum des Vertrags als Mieterin genannte Aktiengesellschaft allein vertreten wollte (BGH NJW 2005, 2225 Rn. 39 und BGH NJW 2007, 3346 Rn. 9 ff. – jeweils für eine GmbH – und BGH NJW 2008, 2178 Rn. 27 f.). Dieser Würdigung steht nicht entgegen, dass im Rubrum des 1. Nachtrags vom 15.03.2004 die AG, vertreten durch den Vorstand K. N. und M. T., genannt ist. Denn diese Vertretungsregelung kann in der Folgezeit eine Änderung dahin erfahren haben, dass ein Vorstandsmitglied allein vertretungsberechtigt ist. Der Bundesgerichtshof führt weiter aus, dass für die Beurteilung, ob die Urkunde den Eindruck der Unvollständigkeit erwecken kann, nicht auf die aus dem Handelsregister ersichtliche Vertretungsregelung abzustellen ist, sondern auf die Angaben im Mietvertrag bzw. dem betreffenden Nachtrag. Allein aus diesen muss sich eindeutig entnehmen lassen, ob der Vertrag mit den vorhandenen Unterschriften zustande gekommen ist oder ob dessen Wirksamkeit so lange hinausgeschoben sein soll, bis weitere Unterschriften geleistet werden (BGH NJW 2013, 1082 Rn. 13 und BGH NJW 2008, 2178 Rn. 27 f.). Entscheidend ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs mithin auf die äußere Form der Vertragsurkunde abzustellen (BGH NJW 2013, 1082 Rn. 14 und BGH NJW 2010, 1518 Rn. 22 ff. m.w.N.). Danach würde auch die Unterzeichnung als Vertreter ohne Vertretungsmacht der Einhaltung der Schriftform nicht entgegenstehen. Ob der Vertrag bereits mit dieser Unterzeichnung wirksam zustande kommt oder mangels Vollmacht des Unterzeichnenden erst noch der Genehmigung der von ihm vertretenen Partei bedarf, ist keine Frage der Schriftform, sondern des Vertragsschlusses. Denn § 550 BGB will den Erwerber lediglich über den Inhalt eines gesetzlich auf ihn übergehenden Vertrages informieren und nicht darüber, ob ein wirksamer Vertrag besteht (BGH NJW 2008, 2178 Rn. 29 m.w.N.). Das Handelsregister gibt demnach Auskunft über die tatsächlichen Vertretungsverhältnisse, auf die es für die Wahrung der Schriftform aber nicht ankommt.

Fraglich war ferner, ob deshalb ein Schriftformmangel vorliegt, weil in dem 2. Nachtrag vom 09.03.2007 nur der Mietvertrag, nicht aber der 1. Nachtrag vom 15.03.2004 genannt wird. Der BGH meint, die Schriftform und die hierzu erforderliche Einheit der Urkunde sei dennoch gewahrt. Werden wesentliche vertragliche Vereinbarungen nicht im Mietvertrag selbst schriftlich niedergelegt, sondern in Anlagen oder Nachträgen ausgelagert, so dass sich der Gesamtinhalt der mietvertraglichen Vereinbarung erst aus dem Zusammenspiel dieser „verstreuten“ Bedingungen ergibt, müssen die Parteien zur Wahrung der Urkundeneinheit die Zusammengehörigkeit dieser Schriftstücke in geeigneter Weise zweifelsfrei kenntlich machen. Dazu bedarf es keiner körperlichen Verbindung dieser Schriftstücke. Vielmehr genügt für die Einheit der Urkunde die bloße gedankliche Verbindung, die in einer zweifelsfreien Bezugnahme zum Ausdruck kommen muss (BGH NJW 2008, 2181 Rn. 24 m.w.N.). Diesen Anforderungen ist hier genügt. Aus der Bezeichnung des Nachtrags vom 09.03.2007 als „2. Nachtrag zum Mietvertrag …“ ergibt sich, dass es einen 1. Nachtrag geben muss. Das konnte im vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall auch dem Text des 2. Nachtrags entnommen werden, der gedanklich auf den 1. Nachtrag Bezug nahm. Deshalb sah der Bundesgerichtshof keinen Schriftformmangel.

Die ordentliche Kündigung des Vermieters war folglich unbegründet, denn der Mietvertrag und seine Nachträge wahrten die Schriftform.