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OLG Braunschweig, Urteil vom 17.09.2015 – 9 U 196/14 – “Neues (oder Falsches?) zu Schriftformheilungsklauseln


Mit Urteilen vom 22.01.2014 – XII ZR 68/10 – und vom 30.04.2014 – XII ZR 146/12 – hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass so genannte mietvertragliche Schriftformheilungsklauseln einen Grundstückserwerber und einen Nießbrauchsberechtigten, die kraft Gesetzes in den Mietvertrag eintreten, nicht hindern, den Mietvertrag unter Berufung auf einen Schriftformmangel zu kündigen, weil entsprechende mietvertragliche Vereinbarungen zur Heilung der Schriftform, die auch einen Erwerber oder einen Nießbrauchsberechtigten binden, gegen § 550 BGB verstoßen. Dies wurde allgemein so verstanden, dass entsprechende Regelungen unabhängig davon, ob es sich um Formularklauseln oder Individualvereinbarungen handelt, unwirksam sind. Das Oberlandesgericht Braunschweig hat diese Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs meines Erachtens höchst eigenwillig und wohl falsch so interpretiert, dass der Bundesgerichtshof die Frage der Wirksamkeit einer formularvertraglichen Schriftformheilungsklausel offen gelassen und nur festgestellt habe, dass eine solche den Grundstückserwerber und den Nießbrauchsberechtigten nicht binde.

Das Urteil des Oberlandesgerichts Braunschweig vom 17.09.2015 – 9 U 196/14 – betrifft einen Sachverhalt, bei dem die Parteien eines Gewerberaummietverhältnisses über eine Ladenfläche in einer von der ECE verwalteten Einkaufspassage in Braunschweig einen langjährigen Mietvertrag schlossen. Der Mieter macht geltend, es käme zu erheblichen Gesundheitsgefährdungen seiner Mitarbeiter, weil die Temperaturen in der Mietsache in den Wintermonaten wegen einer leistungsschwachen Heizung zu niedrig seien. Der Mieter fordert den Vermieter mit Schreiben vom 13.02.2012 unter Fristsetzung zum 01.03.2012 auf, den Mangel der Mietsache „zu niedrige Temperaturen wegen leistungsschwacher Heizung“ zu beseitigen. Erst knapp ein Jahr später, nämlich mit Schreiben vom 05.02.2013, kündigt der Mieter fristlos. Hilfsweise kündigt er ordentlich unter Einhaltung der ordentlichen gesetzlichen Kündigungsfrist mit der Begründung, die gesetzliche Schriftform des Mietvertrages sei nicht eingehalten, weil statt der vereinbarten leistungsstarken Torluftschleieranlage eine leistungsschwächere Anlage eingebaut worden sei.

Zunächst befasst sich das Oberlandesgericht Braunschweig mit der Frage der Wirksamkeit der außerordentlichen fristlosen Kündigung wegen erheblicher Gesundheitsgefährdung durch zu niedrige Temperaturen in der Mietsache. Das Oberlandesgericht entscheidet, dass die außerordentliche fristlose Kündigung unwirksam war, da zwischen Abhilfeverlangen und Erklärung der außerordentlichen Kündigung eine unangemessen lange Zeit lag. Ist zwischen der Mängelrüge und der außerordentlichen Kündigung mehr als ein Jahr vergangen und der Mangel in der Zwischenzeit trotz mehreren Möglichkeiten dazu nicht mehr thematisiert worden, müsse eine erneute Frist zur Nachbesserung gesetzt werden. Unterbleibt dies, ist die Kündigung unwirksam.

Das Oberlandesgerichts nimmt an, wenn anstatt einer vereinbarten leistungsstarken Torluftschleieranlage eine leistungsschwächere Anlage eingebaut werde, liege darin eine dauerhafte Änderung der baulichen Gestaltung der Mietsache und somit eine wesentliche und formbedürftige Änderung des Mietvertrages. Über diese Prämisse ließe sich aber trefflich streiten. Meines Erachtens wäre die Rechtsansicht richtig, dass die Parteien den Mietvertrag nicht einvernehmlich abänderten, sondern dass eine Vertragspflichtverletzung des Vermieters vorliegt, weil einem Schweigen grundsätzlich kein Erklärungsinhalt zukommt und das Schweigen deshalb abgesehen von Ausnahmefällen auch nicht als Zustimmungserklärung interpretiert werden kann.

Das Oberlandesgericht Braunschweig meint, der Mieter könne trotz des von ihm angenommenen Schriftformmangels nicht ordentlich kündigen, weil dies treuwidrig wäre. Aufgrund der Schriftformheilungsklausel sei es dem Mieter verwehrt, sich auf den Mangel der gesetzlichen Schriftform zu berufen. Die Klausel sei auch wirksam, denn der Bundesgerichtshof habe in den beiden genannten Entscheidungen die Frage der Wirksamkeit einer formularvertraglichen Schriftformheilungsklausel offen gelassen und lediglich festgestellt, dass eine solche den Grundstückserwerber bzw. den Nießbrauchsberechtigten, die kraft Gesetzes auf Vermieterseite in den Mietvertrag eingetreten sind, für sich genommen nicht hindere, unter Berufung auf den Schriftformmangel zu kündigen. Zwar sei es in der bisherigen Rechtsprechung der Oberlandesgerichte heftigst umstritten gewesen, ob Schriftformheilungsklauseln wirksam seien. Richtig sei jedoch die Rechtsmeinung, die von der Wirksamkeit derartiger Formularklauseln ausgehe, weil keine der beiden Vertragsparteien hierdurch benachteiligt sei.

Das Oberlandesgericht Braunschweig hat die Revision natürlich zugelassen. Ich wage die Prognose, dass der Bundesgerichtshof anderer Auffassung als das Oberlandesgericht Braunschweig ist und darlegen wird, dass Schriftformheilungsklauseln, die auch einen Erwerber bzw. einen Nießbrauchsberechtigten binden, wegen eines Verstoßes gegen die unabdingbare Vorschrift des § 550 BGB (Verträge mit einer längeren Laufzeit als ein Jahr müssen schriftlich abgeschlossen werden) insgesamt unwirksam sind.