Project Description

OLG Hamburg, Urteil vom 05.10.2015 – 4 U 54/15 – “Mündlicher Kündigungsverzicht hindert ordentliche Kündigung nicht


Das Oberlandesgericht Hamburg behandelte mit Urteil vom 05.10.2015 – 4 U 54/15 – eine weitere Facette der Schriftformproblematik. Mietgegenstand war eine Gaststätte. Vereinbart war zunächst eine zeitliche Befristung des Mietverhältnisses vom 14.01.2000 bis 01.07.2004. Danach wurde das Mietverhältnis auf unbestimmte Zeit abgeschlossen. Der Vermieter kündigt ordentlich unter Einhaltung der gesetzlichen Kündigungsfrist zum 30.09.2014. Der Mieter ist der Auffassung, die Kündigung sei unwirksam, denn er habe im April 2012 mit dem Vermieter mündlich vereinbart, dass er, der Mieter, auf eigene Kosten Verbesserungs- und Sanierungsmaßnahmen am Mietgegenstand durchführt und der Vermieter gleichsam als Gegenleistung für die Dauer von fünf Jahren, mithin bis zum Ablauf des 30.04.2017, auf eine Kündigung des Mietverhältnisses verzichtet. Der Einwand des Mieters ist erfolglos, er wird zur Räumung und Herausgabe verurteilt.

Die ordentliche Kündigung des Vermieters war nicht durch einen Kündigungsverzicht bis einschließlich 30.04.2017 ausgeschlossen. Die Kündigungsverzichtserklärung vom April 2012 wahrte nicht die Schriftform und ändert deshalb nichts an der ordentlichen Kündbarkeit des Mietvertrags. Auch steht der Kündigung nicht der Einwand des rechtsmissbräuchlichen Verhaltens des Vermieters gemäß § 242 BGB (Grundsatz von Treu und Glauben) entgegen. Der vereinbarte Kündigungsverzicht genügt nicht der gesetzlichen Schriftform nach § 550 S. 1 BGB. § 550 S. 1 BGB bestimmt, dass ein Mietvertrag, der für längere Zeit als ein Jahr geschlossen wird, für seine Wirksamkeit der schriftlichen Form bedarf. Andernfalls gilt der Mietvertrag als auf unbestimmte Zeit geschlossen. Die Bestimmung des § 550 BGB, die gemäß § 578 Abs. 2 S. 1 BGB auch auf Gewerberaummietverhältnisse anwendbar ist, findet nicht nur auf befristete Mietverträge mit einer Laufzeit von mehr als einem Jahr Anwendung, sondern auch auf Mietverhältnisse, die zwar auf unbestimmte Zeit geschlossen werden, für die die Parteien aber die ordentliche Kündigung für länger als ein Jahr ausgeschlossen haben (BGH, Beschluss vom 09.07.2008 – XII ZR 117/06 -, Rn. 5). Das Erfordernis der Schriftform des § 550 BGB gilt grundsätzlich für sämtliche wesentlichen, auch nachträgliche Abreden zwischen Mieter und Vermieter und somit für den gesamten Vertragsinhalt einschließlich Nebenabreden. Lediglich geringfügige Änderungen, die auf das langfristige Mietverhältnis ohne Einfluss bleiben oder nur anlässlich des langfristigen Mietvertrags geschlossen werden, ohne wesentlicher Bestandteil des Mietvertrages zu sein, sind nicht formbedürftig. Der Einhaltung der Schriftform bedarf es demnach stets dann, wenn das Mietverhältnis durch die getroffene Vereinbarung in seinem Kern betroffen ist (OLG Düsseldorf, Urteil vom 05.11.2002 – 24 U 21/02 -, Rn. 15). Ohne Erfolg war das Argument des Mieters, der Kündigungsverzicht habe nicht der Einhaltung der Schriftform bedurft. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bedarf es der Einhaltung der Schriftform des § 550 S. 1 BGB bereits dann, wenn lediglich bestimmte Kündigungsgründe, etwa wegen Eigenbedarfs, ausgeschlossen werden (BGH, Urteil vom 04.04.2007 – VIII ZR 223/06 -, Rn. 16). Im Hinblick auf den Sinn und Zweck der Regelung des § 550 BGB ist die Schriftform auch für den eingeschränkten, einseitigen Kündigungsverzicht erforderlich (BGH, Urteil vom 04.04.2007 – VIII ZR 223/06 -, Rn. 16). Das Schriftformerfordernis des § 550 BGB dient nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in erster Linie dazu, das Informationsinteresse eines künftigen potentiellen Grundstückserwerbers, der nach § 566 BGB kraft Gesetzes in ein auf mehr als ein Jahr abgeschlossenes Mietverhältnis eintritt, hinsichtlich des Umfangs und Inhalts der auf ihn übergehenden Rechte und Pflichten zu schützen und zu sichern (BGHZ 200, 98-110, Rn. 26). Außerdem verfolgte es den Zweck, die Vertragspartner vor einer langfristigen Vertragsbindung zu warnen und grundsätzlich eine zuverlässige Beweislage hinsichtlich langfristiger Absprachen, auch zwischen den ursprünglichen Vertragsparteien, herzustellen (BGHZ 200, 98-110, Rn. 26). Aus diesem Grunde bedürfen gerade solche Vereinbarungen, durch die die Dauer des Mietverhältnisses auf mehr als ein Jahr erstreckt werden soll und die den potentiellen Grundstückserwerber infolgedessen länger als ein Jahr binden können, stets der Wahrung der Schriftform (BGHZ 163, 27-32). Dies gilt insbesondere auch in Ansehung der Tatsache, dass dem Erwerber ohne Einhaltung der Schriftform die Beschränkung des Kündigungsrechts anhand des Vertragswerkes nicht zur Kenntnis gelangen könnte. Unter Berücksichtigung dieser Ausführungen gilt das Schriftformerfordernis des § 550 BGB auch für den eingeschränkten einseitigen Kündigungsverzicht. Mit diesem wurde das Mietverhältnis in seinem Kern betroffen, da es noch länger als ein Jahr, nämlich fünf Jahre, laufen sollte. Ein potentieller Grundstückserwerber hat keine Möglichkeit, sich anhand des bestehenden Mietvertrages über die gemäß § 566 BGB übergehende Bindung zu informieren. Eine bloß mündlich getroffene Vereinbarung reicht daher nicht aus, um den von § 550 BGB bezweckten Schutz des Erwerbers zu erzielen. Eine formunwirksame Kündigungsausschlussvereinbarung führt dazu, dass das Mietverhältnis wegen des Schriftformmangels gemäß § 550 S. 2 BGB frühestens zum Ablauf eines Jahres nach der vermeintlichen Änderung ordentlich kündbar ist. Denn die Missachtung des Formerfordernisses gemäß §§ 550 S. 1, 578 Abs. 1 BGB führt dazu, dass ein vereinbarter Kündigungsverzicht nur für die Dauer von einem Jahr seit der Vereinbarung des Nachtrages Wirkung entfaltet.

Trotz der von ihm getätigten Investitionen in Höhe von etwa EUR 20.000,00 kann der Mieter der Kündigung auch nicht den Einwand der Treuwidrigkeit bzw. einer unzulässigen Rechtsausübung entgegenhalten. Der Vermieter verstößt nicht gegen die Grundsätze von Treu und Glauben gemäß § 242 BGB, wenn er sich darauf beruft, der Mietvertrag sei trotz der mündlichen Kündigungsverzichtserklärung ordentlich kündbar. Grundsätzlich verstößt die Berufung auf einen Formmangel nicht gegen § 242 BGB. Jede Partei darf sich darauf berufen, dass die für einen Vertrag vorgeschriebene Schriftform nicht eingehalten worden ist (BGHZ 200, 98-110, Rn. 16). Der Bundesgerichtshof hält dies nur ausnahmsweise dann für treuwidrig im Sinne des § 242 BGB, wenn die vorzeitige Beendigung des Vertrages zu einem schlechthin untragbaren Ergebnis führen würde. Das kann insbesondere dann der Fall sein, wenn der eine Vertragspartner den anderen schuldhaft von der Einhaltung der Schriftform abgehalten oder sich sonst einer besonders schweren Treuepflichtverletzung schuldig gemacht hat oder wenn bei Formnichtigkeit die Existenz der anderen Vertragspartei bedroht wäre. Ein treuwidriges und rechtsmissbräuchliches Verhalten des Vermieters ist aber nicht ersichtlich. Ein bewusstes Herbeiführen des Formmangels durch den Vermieter ist nicht zu erkennen. Trotz der vom Mieter getätigten Investitionen führt die Beendigung des Mietverhältnisses nicht zu einem schlechterdings unerträglichen Ergebnis. Rechtlich ohne Bedeutung war das Argument des Mieters, die Vertragsparteien seien Ehrenleute gewesen, bei denen auch Vereinbarungen per Handschlag gegolten hätten. Das reicht nicht aus, um aus der ordentlichen Kündigung ein besonders treuwidriges Verhalten des Vermieters herzuleiten. Andernfalls könnte ein Vertragspartner einer eigentlich formunwirksamen Vereinbarung unter Berufung auf einen Verstoß gegen die Gebote von Treu und Glauben stets Geltung verleihen. Dies würde dem Schutzzweck des § 550 BGB zuwiderlaufen. Ein solches Verständnis hätte zur Folge, dass der potentielle Grundstückserwerber schutzlos in einen Mietvertrag eintreten würde, an dessen Abschluss er nicht mitgewirkt hat und dessen wirtschaftliche Bedingungen sich später anders als erwartet darstellen. Der Grundstückserwerber müsste immer damit rechnen, dass auf ihn noch zusätzliche gewichtige Bindungen übergehen, die er dem Vertragswerk nicht entnehmen und daher finanziell auch nicht einkalkulieren konnte (BGHZ 200, 98-110, Rn. 27).

Auch die vom Mieter vorgenommenen Investitionen in Höhe von ca. EUR 20.000,00 in das Mietobjekt führen nicht dazu, dass die Kündigung treuwidrig wäre. Der Mieter hätte, um für den Schutz seiner Interessen zu sorgen, vor den Investitionen in das Mietobjekt den Ausschluss der ordentlichen Kündigung schriftlich fixieren können und müssen. Eine bloß mündliche Vereinbarung kann nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, selbst im Falle einer aufwändigen Sanierung des Mietobjektes, eine Kündigung nicht verhindern (BGH, Urteil vom 05.11.2003 – XII ZR 134/02 -, Rn. 16). Dadurch, dass die mündliche Kündigungsverzichtsvereinbarung nicht schriftlich festgehalten wurde, ist der Mieter das Risiko, dass sich finanzielle Investitionen in die Gaststättenräumlichkeiten im Falle einer Kündigung nicht angemessen amortisieren, bewusst eingegangen (BGH, Urteil vom 20.03.2013 – VIII ZR 233/12 -, Rn. 16). Dies kann jedoch nicht zulasten des Vermieters gehen. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes stellen erhebliche finanzielle Aufwendungen keinen hinreichenden Grund dar, um von dem Grundsatz der besonderen Kündigungsmöglichkeit abzuweichen (BGH, Urteil vom 05.11.2003 – XII ZR 134/2 -, Rn. 16).