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OLG Dresden, Beschluss vom 15.07.2015 – 5 U 157/15 – “Fristlose Kündigung wegen Verletzung der von der Offenhaltungspflicht abzugrenzenden Betriebspflicht


Die Kunst juristischen Denkens besteht unter anderem in der Fähigkeit zur differenzierten Betrachtung. Dies zeigt ein Beschluss des Oberlandesgerichts Dresden, in dem scharf und zutreffend zwischen der Betriebspflicht und der Offenhaltungspflicht unterschieden wird.

Der für die Dauer von 16 Jahren, nämlich bis 15.09.2019 abgeschlossene Mietvertrag enthält zwei gesonderte formularmäßige (es liegen also Allgemeine Geschäftsbedingungen vor, die einer Inhaltskontrolle zu unterziehen sind) Regelungen zur Betriebspflicht und zur Verpflichtung zur Offenhaltung der Apotheke. Die Betriebspflicht ist in Ziff. 1.2 des Mietvertrages geregelt, Ziff. 11.1 enthält eine Regelung zur Offenhaltungspflicht. Der Mieter stellt den Betrieb der Apotheke ein und nimmt diesen trotz Abmahnung mit Fristsetzung nicht wieder auf. Der Vermieter kündigt deshalb wirksam fristlos. Der Einwand des Mieters, die Vereinbarung der Betriebspflicht sei unwirksam, hat keinen Erfolg. Der unstrittig als Formularvertrag gestellte Mietvertrag enthält in Ziff. 1.2 eine Betriebspflicht bezogen auf den Betrieb einer Apotheke in den angemieteten Geschäftsräumen, denn es heißt dort auszugsweise: „Der Mieter ist berechtigt und verpflichtet, auf dem Mietgegenstand und im Besitz der dafür etwa notwendigen mietergebundenen behördlichen Genehmigungen eine Apotheke zu betreiben oder betreiben zu lassen“. Die formularmäßige Vereinbarung einer Betriebspflicht in einem Gewerberaummietvertrag hält der Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 1 BGB stand (BGH NZM 2010, 361). Entgegen der Auffassung des Mieters ist die Vereinbarung zur Betriebspflicht in Ziff. 1.2 nicht deswegen unwirksam, weil sie eine untrennbare Einheit mit der in Ziff. 11.1 des Mietvertrages vereinbarten Offenhaltungspflicht bildet, die ihrerseits einer Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 1 BGB nicht standhält. Nach Auffassung des Oberlandesgerichts Dresden ist es bereits zweifelhaft, ob die Offenhaltungspflicht den Mieter unangemessen benachteiligt hat, weil sie keine Ausnahmeregelung enthält und damit zeitweise Schließungen der Geschäftsräume vollständig ausschließt. Der Beklagte kann sich insoweit auf das Urteil des Kammergerichts vom 05.03.2009 (8 U 107 70/08) berufen, welches in einer vergleichbaren Regelung zur Offenhaltungspflicht in einem Geschäftsraummietvertrag eine unangemessene Benachteiligung des Mieters unter dem Gesichtspunkt erblickt hat, dass dieser mangels Erlaubnis zur vorübergehenden Schließung der Geschäftsräume jedenfalls seine Verpflichtung zur Ausführung von Schönheitsreparaturen nicht ausführen könnte. Das Oberlandesgericht Dresden hegt zwar Zweifel daran, ob der Mieter durch ein generelles Schließungsverbot an der Ausführung der Schönheitsreparaturen gehindert gewesen wäre, zu denen er sich in Ziff. 8 des Mietvertrags verpflichtet hat. Angesichts einer überschaubaren Ladenfläche von 185 m² erscheint die Durchführung der Schönheitsreparaturen nach Geschäftsschluss oder am Wochenende bzw. während des laufenden Betriebs möglich. Das Oberlandesgericht Dresden lässt aber die Frage, ob die im Mietvertrag vereinbarte Offenhaltungspflicht einer Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 1 BGB standhält, offen, weil auch eine Unwirksamkeit der Offenhaltungspflicht nicht zur Unwirksamkeit der Betriebspflicht des Mieters führen würde (§ 306 Abs. 1 BGB: Die Unwirksamkeit einer Klausel führt nicht zur Unwirksamkeit der übrigen vertraglichen Bestimmungen). Zwar bewirkt der Verstoß einer Regelung in Allgemeinen Geschäftsbedingungen gegen § 307 Abs. 1 BGB grundsätzlich die Unwirksamkeit der gesamten Klausel. Dies gilt allerdings nicht, wenn die Klausel sprachlich und inhaltlich voneinander trennbare, einzeln aus sich heraus verständliche Regelungen enthält, weil dann der unwirksame Teil der Klausel gestrichen werden kann, ohne dass der andere Teil sprachlich und dem Sinn nach darunter leidet (sogenannter blue-pencil-Test, BGH NJW 2014, 141 und BGH NJW 2015, 928). Im vorliegenden Falle ist eine sprachliche Trennung zwischen der Betriebspflicht in Ziff. 1.2 des Mietvertrags und der Offenhaltungspflicht in Ziff. 11.1 ohne weiteres möglich. Die Betriebspflicht einerseits und die Offenhaltungspflicht andererseits lassen sich auch inhaltlich voneinander abgrenzen, denn mit der Betriebspflicht wird dem Mieter die Verpflichtung auferlegt, die angemieteten Geschäftsräume zu einem bestimmten Zweck tatsächlich zu nutzen, während die Offenhaltungspflicht regelt, dass er die Geschäftsräume zu bestimmten Zeiten nicht schließen darf (ebenso OLG Naumburg, NZM 2008, 772 und Kammergericht NZM 2013, 731). Ohne Erfolg beruft sich der Mieter insoweit auch auf das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 18.03.2015 (NJW 2015, 1874). In dieser Entscheidung hat der BGH ausgeführt, die Pflicht zur Vornahme von Schönheitsreparaturen sei, soweit sie dem Mieter im Mietvertrag auferlegt sei, eine einheitliche, nicht in Einzelmaßnahmen aufspaltbare Rechtspflicht mit der Folge, dass eine Unwirksamkeit der einen Einzelaspekt dieser einheitlichen Pflicht betreffenden Bestimmung in der gebotenen Gesamtschau der Regelung zur Unwirksamkeit der gesamten Vornahmeklausel führe. Für die vorliegend zu beurteilende Frage, inwieweit die Betriebspflicht einerseits und die Offenhaltungspflicht andererseits sprachlich und inhaltlich voneinander getrennt werden könnten, enthält die Entscheidung des Bundesgerichtshofs zu den Schönheitsreparaturen jedoch nach Auffassung des Oberlandesgerichts Dresden keinen Erkenntnisgewinn. Durch den fortgesetzten Verstoß gegen die Verpflichtung zum Betrieb einer Apotheke in den angemieteten Geschäftsräumen hat der Mieter somit einen wichtigen Grund im Sinne von § 543 Abs. 1 S. 1 BGB zur außerordentlichen Kündigung des Mietvertrags geschaffen, denn der fortgesetzt vertragswidrige Nichtgebrauch des Ladengeschäftes steht dem fortgesetzt vertragswidrigen Gebrauch des Ladengeschäftes gleich (BGH NJW-RR 1992, 1032).