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BGH, Beschluss vom 28.06.2023 – XII ZB 537/22 – „Kostenrisiko bei Klagen auf künftige Räumung“
Der Bundesgerichtshof befasste sich mit Beschluss vom 28.06.2023 – XII ZB 537/22 – mit einem in der Praxis häufig vorkommenden Sachverhalt im Zusammenhang mit der Beendigung eines gewerblichen Mietverhältnisses. Mietsache ist eine Arztpraxis. Der Mietvertrag wurde auf unbestimmte Dauer abgeschlossen. Mit Schreiben vom 16.03.2022 erklärte der Vermieter fristgerecht die ordentliche Kündigung zum 30.09.2022. Der Mieter wurde unter Fristsetzung aufgefordert, die fristgerechte Räumung der Mieträume zu bestätigen. Der Mieter reagierte hierauf nicht, sodass der Vermieter im Juli 2022 Klage auf künftige Räumung erhob. Im Rechtsstreit hat der Mieter die Klage unter Protest gegen die Kostenlast anerkannt. Der Mieter hat geltend gemacht, dem Vermieter keinen Anlass zur Klageerhebung gegeben zu haben und angekündigt, die Mieträume pünktlich zum Vertragsende geräumt herauszugeben. Das Landgericht hat den Mieter seinem Anerkenntnis gemäß verurteilt und ihm die Kosten des Rechtsstreits auferlegt. Auf die gegen die Kostenentscheidung gerichtete sofortige Beschwerde des Mieters hat das Oberlandesgericht das landgerichtliche Anerkenntnisurteil im Kostenpunkt dahin geändert, dass der Vermieter die Kosten des Rechtsstreits zu tragen habe. Die hiergegen gerichtete Rechtsbeschwerde des Vermieters hatte vor dem Bundesgerichtshof keinen Erfolg.
Abweichend von der allgemeinen Kostenregelung in § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO, wonach die unterlegene Partei die Kosten des Rechtsstreits zu tragen hat, trifft den erfolgreichen Kläger gemäß § 93 ZPO die Kostenlast, wenn der Beklagte den klageweise geltend gemachten Anspruch sofort anerkennt und er durch sein Verhalten keine Veranlassung zur Klage gegeben hat. Das Oberlandesgericht hat die Voraussetzungen des § 93 ZPO nach Auffassung des Bundesgerichtshofs ohne Rechtsfehler bejaht. Es ist beanstandungsfrei davon ausgegangen, dass der Mieter das innerhalb der zweiwöchigen Notfrist zur Abgabe der Verteidigungsanzeige abgegebene Anerkenntnis sofort im Sinne des § 93 ZPO erklärt hat. Auch die Würdigung, der Mieter habe durch sein Schweigen auf die Aufforderung des Vermieters, seine Bereitschaft zur Herausgabe der Mieträume bei Ende der Mietzeit zu bestätigen, keine Veranlassung zur Klageerhebung gegeben, begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Veranlassung zur Klageerhebung im Sinne von § 93 ZPO gibt der Beklagte dann, wenn sein Verhalten vor dem Prozess aus Sicht des Klägers bei vernünftiger Betrachtung hinreichenden Anlass für die Annahme bietet, er werde ohne Inanspruchnahme der Gerichte nicht zu seinem Recht kommen. Diese Beurteilung bedarf einer Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und ist allgemeiner Beurteilung nicht zugänglich. Unter Berücksichtigung dieser Maßgaben gab der Mieter im konkreten Fall keine Veranlassung zur Klageerhebung. Ein Schuldner und somit der Mieter, der zur Rückgabe der Mietsache verpflichtet ist, ist im Allgemeinen vor Fälligkeit des Anspruchs grundsätzlich nicht verpflichtet sich zu seiner Leistungsbereitschaft zu erklären. Allerdings wird in Rechtsprechung und Literatur teilweise die Auffassung vertreten, der Mieter gebe bei erkennbar begründeter Kündigung Veranlassung zur Klage, wenn er seine Bereitschaft, das Mietobjekt bei Ablauf der Mietzeit geräumt an den Vermieter herauszugeben, auf Aufforderung des Vermieters nicht erklärt (so etwa OLG Nürnberg MietRB 2004, 2003 und OLG Stuttgart WuM 1999, 414 sowie Guhling/Günter/Geldmacher, Gewerberaummiete, 16. Teil Kap. 3 Rn. 27). Zur Begründung wird angeführt, der Vermieter habe ein berechtigtes Interesse, frühzeitig zu wissen, ob die Mieträume sofort nach Ende der Mietzeit für eine Weitervermietung oder Bau- oder Sanierungsmaßnahmen zur Verfügung stünden. Nach anderer Meinung gibt der Mieter nicht allein deshalb Veranlassung zur Klageerhebung, weil er sich auf Nachfrage des Vermieters vor Fälligkeit des Räumungs- und Herausgabeanspruchs nicht zu seiner Erfüllungsbereitschaft erklärt. Vielmehr bedürfe es insoweit eines aktiven Verhaltens des Mieters, aus dem der Vermieter den Schluss ziehen könne, dass der Mieter seiner Verpflichtung zur Räumung und Herausgabe des Mietobjekts bei Ende der Mietzeit nicht nachkommen werde. Der zuletzt genannten Auffassung schließt sich der Bundesgerichtshof an. Zur Begründung führt er aus, dass die gemäß § 257 ZPO zulässige Klage auf künftige Leistung dem Gläubiger des Räumungsanspruchs zwar eine frühzeitige Möglichkeit zur gerichtlichen Durchsetzung seines erst künftig fällig werdenden Anspruchs eröffnet. Ihm soll aber das Kostenrisiko, das sich nach § 93 ZPO aus einem vom als Räumungsschuldner in Anspruch genommenen Besitzer gegebenenfalls erklärten sofortigen Anerkenntnisses ergibt, nicht abgenommen werden. Gerade für Verfahren nach § 257 ZPO, mit denen über die allgemeinen Rechtsschutzmöglichkeiten hinaus Ansprüche auf künftige Räumung von nicht zu Wohnzwecken dienenden Räumlichkeiten und Grundstücken schon vor Fälligkeit gerichtlich geltend gemacht werden können, stellt die Regelung in § 93 ZPO ein wichtiges gesetzliches Korrektiv zur Wahrung der schutzwürdigen Belange des Schuldners dar. Da der Räumungsschuldner bei einem Vorgehen des Gläubigers nach § 257 ZPO schon vor Fälligkeit einem Rechtsstreit über seine Räumungsverpflichtung ausgesetzt ist, ohne dass er hierzu Anlass gegeben haben müsste und ohne, dass er einen solchen Rechtsstreit effektiv hätte vermeiden können, kommt der durch § 93 ZPO eröffneten Möglichkeit des Beklagten, durch ein sofortiges Anerkenntnis eine nachteilige Kostenfolge abzuwenden, besondere Bedeutung zu. Insbesondere ist nur durch die Kostenregelung in § 93 ZPO, die dem Räumungsgläubiger das Kostenrisiko eines anlasslosen Rechtsstreits zuweist, den Interessen beider Parteien angemessen Rechnung getragen.
Bei der Frage, ob ein Mieter Veranlassung zur Klageerhebung im Sinne von § 93 ZPO gegeben hat, kann es dabei im Verfahren nach § 257 ZPO von vornherein nur auf das Verhalten des Mieters vor Fälligkeit des Anspruchs ankommen. Da aber erst der Fälligkeitszeitpunkt entscheidend für die Leistungserbringung durch den Schuldner ist und es sich bei § 257 ZPO um eine Ausnahmeregelung zugunsten des Gläubigers handelt, die jedoch die Bedeutung des Fälligkeitszeitpunktes nicht außer Kraft setzt, dürfen zur Wahrung der schutzwürdigen Interessen des Räumungsschuldners an dessen Verhalten in der Zeit vor Fälligkeit keine überhöhten Anforderungen gestellt werden. Weil der Schuldner Veranlassung zur Klageerhebung im Sinne von § 93 ZPO nur dann gegeben hat, wenn aus seinem Verhalten darauf zu schließen war, dass er seine Verpflichtungen bei Fälligkeit nicht erfüllen wird, bedarf es konkreter, aus dem Verhalten des Schuldners abzuleitender Anhaltspunkte dafür, dass dieser bei Fälligkeit nicht leisten werde. Ohne derartige Anhaltspunkte besteht dagegen – gerade vor Fälligkeit des Anspruchs – regelmäßig kein Grund für Misstrauen an einem pflichtgemäßen Verhalten des Schuldners und damit für eine Klage zur vorsorglichen Durchsetzung des Anspruchs. Allein aus dem Schweigen des Mieters auf eine Aufforderung des Vermieters, sich über seine künftige Vertragstreue und Leistungsbereitschaft zu erklären, ergeben sich derartige Anhaltspunkte grundsätzlich nicht. Zwar liegt bei einem ungestörten Vertragsverhältnis nach allgemeinen Gepflogenheiten nahe, dass die Vertragspartner auf Fragen des anderen Vertragsteils in irgendeiner Weise reagieren, und sei es nur mit der Mitteilung, dass die Frage (derzeit) nicht beantwortet werden könne. Aus dem Ausbleiben einer Reaktion kann dennoch ohne Hinzutreten weiterer Umstände nicht auf die fehlende Erfüllungsbereitschaft geschlossen werden, weil dieses auf vielfältigen Gründen beruhen kann. Mangels einer Verpflichtung des Schuldners, sich zu seiner Erfüllungsbereitschaft zum Fälligkeitszeitpunkt zu erklären, ist das bloße Schweigen auf eine derartige Anfrage mithin im Regelfall nicht als Ausdruck des Fehlens der Erfüllungsbereitschaft zu deuten. Auch ist ein Interesse des Mieters anzuerkennen, die Berechtigung der Kündigung des Vermieters und die Möglichkeit der Beschaffung von Ersatzräumlichkeiten gründlich zu prüfen und sich nicht frühzeitig zur Berechtigung des Herausgabeverlangens des Vermieters und der eigenen Räumungsbereitschaft äußern zu müssen. Dem Interesse des Vermieters, pünktlich zum Mietzeitende wieder in den Besitz der Räumlichkeiten zu kommen, ist vor diesem Hintergrund mit der durch § 257 ZPO eröffneten Möglichkeit, vor Fälligkeit des Herausgabeanspruchs mit eigenem Kostenrisiko Klage auf Räumung und Herausgabe des Mietobjekts zu erheben, hinreichend Rechnung getragen.