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BGH, Urteil vom 17.06.2015 – XII ZR 98/13 – “Juristische Hochseilakrobatik zur Schriftform


Abstraktes juristisches Denken in Vollendung demonstriert der Bundesgerichtshof in einem Urteil vom 17.06.2015, mit dem er nicht nur für den juristischen Laien schwer verständlich darlegt, wie die gesetzliche Schriftform des § 550 S. 1 BGB gewahrt werden kann, ohne dass ein Vertragsschluss in Schriftform erfolgt.

Im entschiedenen Fall existierte eine von beiden Parteien unterzeichnete Mietvertragsurkunde. Ein Mietvertrag in Schriftform war aber aus sogleich darzulegenden Gründen nicht zustandegekommen. Es gab also eine schriftliche Vertragsurkunde, aber keinen wirksamen Vertragsabschluss in Schriftform. Später wurde dann aber ohne Wahrung der Schriftform ein Mietvertrag abgeschlossen, der der Mietvertragsurkunde vollständig entsprach. Dies reicht zur Wahrung der Schriftform nach § 550 S. 1 BGB.

Wer das nicht gleich versteht, braucht nicht an seiner Intelligenz zweifeln. Es handelt sich in der Tat um juristische Hochseilakrobatik, die alles andere als leicht verständlich ist.

Zu entscheiden war über eine Klage auf Räumung und Herausgabe von Geschäftsräumen. Der Beklagte mietete im Jahre 2000 Büroräume in einem Anwesen in Düsseldorf. Eigentümer des Grundstücks waren zu diesem Zeitpunkt je zur Hälfte G. und eine Erbengemeinschaft nach der verstorbenen Ehefrau des G. Der Beklagte übersandte einen auf den 10.11.2000 datierenden und von ihm unterzeichneten Mietvertragsentwurf an G., in dem dieser als alleiniger Vermieter bezeichnet war. Der Vertragsentwurf sah eine zunächst auf 5 Jahre befristete Mietdauer vor. Nach einer ebenfalls vom Beklagten unterschriebenen Anlage zum Mietvertrag sollte der Mieter das Recht haben, mehrmals eine Option von jeweils maximal 5 Jahren zur Fortsetzung des Mietverhältnisses auszuüben. Eine in dem Vertragsentwurf zunächst vorgesehene Regelung zur Mietanpassung hatte der Beklagte gestrichen. G. unterzeichnete die Vertragsurkunde und die beigefügte Anlage jeweils ohne Vertretungszusatz und ergänzte seinerseits die Vertragsurkunde um eine weitere Anlage, die eine Mietanpassungsklausel enthielt. Da der Beklagte die Mietanpassungsklausel nicht akzeptieren wollte, unterzeichnete er die weitere Anlage nicht. In der Folgezeit wurde das Mietverhältnis mit dem vom Beklagten eingefügten Optionsrecht, aber ohne die von G. gewünschte Regelung zur Mietanpassung durchgeführt. Mit notariellem Vertrag vom 21.09.2006 veräußerten die Eigentümer das Grundstück an die Klägerin. In dem Kaufvertrag hierzu war geregelt, dass die Käuferin das Mietverhältnis mit dem Beklagten übernimmt. Die Käuferin solle mit Besitzübergang in alle Rechte und Pflichten aus dem bestehenden Mietvertrag mit dem Beklagten, einschließlich der Zahlung des Mietzinses, eintreten. Die Klägerin wurde am 24.01.2007 als Eigentümerin im Grundbuch eingetragen. Mit Schreiben vom 01.12.2006 teilte sie dem Beklagten mit, dass sie das Mietverhältnis mit ihm übernommen habe. Die in dem Mietvertrag enthaltene Verlängerungsoption wurde vom Beklagten mehrfach – auch noch gegenüber der Klägerin – ausgeübt. Mit Schreiben vom 01.12.2011 erklärte die Klägerin unter Berufung auf einen Schriftformmangel die Kündigung des Mietvertrags zum 30.06.2012, hilfsweise zum 31.12.2012. Mit ihrer Klage verlangt die Klägerin von dem Beklagten Räumung und Herausgabe der Mieträume. Das Landgericht Düsseldorf hat die Räumungsklage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Oberlandesgericht Düsseldorf der Klage stattgegeben und gemeint, der Mietvertrag habe an einem Schriftformmangel gelitten, so dass die Klägerin zur ordentlichen Kündigung berechtigt war. Der Bundesgerichtshof teilt diese Auffassung nicht und hebt das Urteil des Oberlandesgerichts Düsseldorf auf. Der Mietvertrag wahre die Schriftform, die Räumungsklage sei deshalb unbegründet.

Zunächst führt der Bundesgerichtshof aus, dass die materiellrechtlichen Anforderungen des § 126 Abs. 2 BGB (wonach die Schriftform bei einem Vertrag erfordert, dass die Unterzeichnung der Parteien auf derselben Urkunde erfolgt, wobei die es genügt, wenn jede Partei die für die andere Partei bestimmte Urkunde unterzeichnet, wenn über den Vertrag mehrere gleichlautende Urkunden aufgenommen werden) für das Zustandekommen eines Vertrags, der einer gesetzlich vorgesehenen Schriftform genügen muss, nicht erfüllt wären. Ein Vertrag unter Abwesenden, für den wie bei einem Mietvertrag für eine längere Dauer als einem Jahr die gesetzliche Schriftform vorgeschrieben ist, kommt grundsätzlich nur dann rechtswirksam zu Stande, wenn sowohl der Antrag als auch die Annahme in der Form des § 126 BGB erklärt werden und in dieser Form dem anderen Vertragspartner zugegangen sind. Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Denn G. als Vermieter hat das ihm vom Beklagten durch die Übersendung des unterzeichneten Vertragsentwurfs übersandte Angebot auf Abschluss eines Mietvertrags nicht angenommen, sondern um eine Preisanpassungsklausel ergänzt und an diesen zurückgesandt. Damit hat er gemäß § 150 Abs. 2 BGB ein neues Angebot abgegeben. Dieses hat der Beklagte wiederum nicht angenommen, weil er den Nachtrag, der eine Preisanpassungsklausel enthielt, nicht unterzeichnet hat. Auch eine solche Annahme unter Einschränkungen gilt nach § 150 Abs. 2 BGB als Ablehnung des Angebots verbunden mit einem neuen Antrag. Ein Vertragsschluss, der den sich aus § 126 Abs. 2 BGB ergebenden Anforderungen an die Schriftform genügt, liegt daher nicht vor. Der Mietvertrag ist vielmehr nur mündlich oder konkludent durch den Vollzug des Mietverhältnisses zustandegekommen.

Das Oberlandesgericht Düsseldorf hat jedoch nicht erkannt, dass trotz der fehlenden Einhaltung der materiell-rechtlichen Anforderungen des § 126 Abs. 2 BGB im vorliegenden Fall das Schriftformerfordernis des § 550 S. 1 BGB für Mietverträge mit einer Laufzeit von mehr als einem Jahr erfüllt ist. Der Bundesgerichtshof hat bereits für einen ähnlich gelagerten Fall der verspäteten Annahme eines Angebots auf Abschluss eines Mietvertrags für die Einhaltung der Schriftform des § 550 S. 1 BGB entschieden, dass die Einhaltung der bloßen Schriftlichkeit der Erklärungen („äußere Form“) zur Wahrung der Schriftform des § 550 BGB ausreicht (BGH NJW 2010, 1518 Rn. 23 ff.). Ein Mietvertrag genügt danach auch dann der Schriftform des § 550 BGB, wenn er inhaltsgleich mit den in der äußeren Form des § 126 BGB niedergelegten Vertragsbedingungen nur mündlich oder konkludent abgeschlossen worden ist. Die Auslegung von § 550 BGB führt unter Berücksichtigung seines Schutzzwecks und seiner Rechtsfolge zu dem Ergebnis, dass § 550 BGB über die Einhaltung der äußeren Form hinaus nicht voraussetzt, dass der Vertrag durch die schriftlich abgegebenen Erklärungen auch zustande gekommen ist (BGH NJW 2010, 1518 Rn. 24). § 550 BGB dient in erster Linie dem Informationsbedürfnis des Erwerbers, dem durch die Schriftform die Möglichkeit eingeräumt werden soll, sich von Umfang und Inhalt der auf ihn übergehenden Rechte und Pflichten zuverlässig zu unterrichten. Diesen Schutzzweck erfüllt eine nur der äußeren Form genügende Mietvertragsurkunde, in der die von beiden Parteien unterzeichneten Bedingungen des später konkludent abgeschlossenen Vertrages enthalten sind. Eine solche Urkunde informiert den Erwerber über die Bedingungen des Mietvertrages, in die er, wenn der Mietvertrag mit diesem Inhalt zustandegekommen ist und noch besteht, eintritt. Auch die zusätzlichen mit der Schriftform des § 550 BGB verfolgten Zwecke, die Beweisbarkeit langfristiger Abreden sicherzustellen und die Vertragsparteien vor der unbedachten Eingehung langfristiger Bindungen zu warnen, werden durch die bloße Einhaltung der äußeren Form gewahrt.

Diese Erwägungen gelten auch im vorliegenden Fall. Die von beiden Mietvertragsparteien unterzeichnete Vertragsurkunde vom 10.11.2000 entspricht in vollem Umfang den Bedingungen des von den Parteien später mündlich oder jedenfalls konkludent durch Invollzugsetzung des Mietverhältnisses abgeschlossenen Mietvertrags. Ein Erwerber des Grundstücks könnte aus der Vertragsurkunde alle für ihn notwendigen Informationen über das Mietverhältnis entnehmen. Die für die Einhaltung des Schriftformerfordernisses genügende äußere Form des Mietvertrags ist daher gewahrt.

Ein Mangel der Schriftform ergibt sich auch nicht daraus, dass die Mietvertragsurkunde allein von G. unterzeichnet worden ist. Für die Einhaltung der Schriftform ist es erforderlich, dass alle Vertragsparteien die Vertragsurkunde unterzeichnen. Unterzeichnet für eine Vertragspartei ein Vertreter den Mietvertrag, muss dies aus der Urkunde hinreichend deutlich zum Ausdruck kommen. Dies gilt aber nur, wenn nach dem Erscheinungsbild der Urkunde die Unterschrift des Unterzeichners in seiner Eigenschaft als Mitglied des mehrgliedrigen Organs abgegeben ist. Nur dann erweckt die Urkunde den Anschein, es könnten noch weitere Unterschriften, nämlich diejenigen der übrigen Organmitglieder, fehlen (BGH NJW 2010, 1453 Rn. 14 und BGH NJW 2003, 3053, 3054). Im vorliegenden Fall ist der Mietvertrag dahingehend auszulegen, dass der Vertrag von G. nicht als Vertreter der Miteigentümergemeinschaft, sondern in eigenem Namen abgeschlossen worden ist. Nach dem äußeren Anschein der Vertragsurkunde war demnach ein Vertretungszusatz neben der Unterschriftsleistung von G. nicht erforderlich. Die Einhaltung der Schriftform des Mietvertrags wird auch nicht durch den in dem notariellen Grundstückskaufvertrag vom 21.09.2006 erklärten Vermieterwechsel in Frage gestellt. Diese Vereinbarung wahrt die Schriftform, weil der neue Vermieter seine Vermieterstellung durch eine notarielle Urkunde nachweisen kann, die nach den getroffenen Feststellungen ausreichend deutlich auf den Ursprungsmietvertrag Bezug nimmt und durch die Bezeichnung des veräußerten Grundstücks zugleich die Lage des Mietobjekts kennzeichnet. Allerdings ist der Vermieterwechsel hier nicht durch dreiseitigen Vertrag, sondern durch zweiseitigen Vertrag zwischen altem und neuem Vermieter mit notwendiger Zustimmung der Mieterin zustandegekommen, wobei jedoch die Zustimmung des Mieters zu einem zwischen früherem und neuem Vermieter vereinbarten Vermieterwechsel nicht der Schriftform bedarf (BGH NJW 2003, 2158, 2160) und hier jedenfalls konkludent in der Zahlung der Miete an die Klägerin zu sehen ist.

Schließlich ergibt sich ein Mangel der Schriftform auch nicht aus der mietvertraglichen Regelung, mit der dem Mieter das Recht eingeräumt wird, mehrmals eine Option von jeweils maximal 5 Jahren zur Fortsetzung des Mietverhältnisses auszuüben. Der Auffassung der Klägerin, diese Regelung sei zu unbestimmt, weil dem Adverb „mehrmals“ nicht entnommen werden könne, wie oft der Mieter das Optionsrecht ausüben könne, folgt der Bundesgerichtshof nicht. Zwar ist es zur Wahrung der Schriftform des § 550 BGB grundsätzlich erforderlich, dass sich die wesentlichen Vertragsbedingungen – insbesondere Mietgegenstand, Mietzins sowie Dauer und Parteien des Mietverhältnisses – aus der Vertragsurkunde ergeben. Regelungen zur Dauer der Mietzeit wahren nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs dann die Schriftform, wenn sich Beginn und Ende der Mietzeit im Zeitpunkt des Vertragsschlusses in hinreichend bestimmter Weise aus der Vertragsurkunde ergeben (BGH NJW 2010, 1518 Rn. 11 m.w.N.). Die Einhaltung der Schriftform wird dabei nicht dadurch in Frage gestellt, dass die Vereinbarung über die Mietzeit auslegungsbedürftige Begriffe enthält oder die Feststellung, ob die Umstände, an die die Parteien eine Verlängerung der Vertragslaufzeit geknüpft haben, tatsächlich auch eingetreten sind (BGH NJW 2013, 3161 Rn. 24). Ausreichend ist, dass für einen möglichen Erwerber der Mietsache aus der schriftlich niedergelegten Vereinbarung die für die Mietzeit maßgeblichen Umstände so genau zu entnehmen sind, dass er beim Vermieter oder Mieter entsprechende Nachforschungen anstellen kann. So liegt der Fall hier. Mit der in der Vertragsurkunde enthaltenen Optionsregelung haben die Vertragsparteien das, was sie zur zeitlichen Befristung des Mietverhältnisses vereinbart haben, vollständig und richtig niedergelegt. Für einen möglichen Erwerber des Mietobjekts ist ersichtlich, dass dem Mieter das Recht eingeräumt ist, das Mietverhältnis durch einseitige Erklärung mehrfach zu verlängern. Der Erwerber weiß daher, dass das Mietverhältnis möglicherweise nicht bereits nach der zunächst vereinbarten Laufzeit von 5 Jahren enden wird, sondern erst zu einem späteren Zeitpunkt, über den er sich noch auf andere Weise Gewissheit verschaffen muss und regelmäßig auch kann (BGH NJW 2013, 3361 Rn. 26). Die hinreichende Bestimmtheit der Mietzeit im Sinne von § 550 S. 1 BGB wird auch nicht dadurch in Frage gestellt, dass sich der Regelung wegen der Verwendung des Begriffs „mehrfach“ nur durch Auslegung entnehmen lässt, wie oft der Mieter von dem Optionsrecht Gebrauch machen kann. Aufgrund der Vorschrift des § 544 S. 1 BGB, die auch auf Verträge anwendbar ist, bei denen eine Verlängerung der Mietzeit auf über 30 Jahre durch vertraglich vereinbarte Optionsrechte erzwungen werden kann, weiß der Erwerber jedenfalls, dass er das Mietverhältnis nach Ablauf von 30 Jahren durch eine außerordentliche Kündigung mit der gesetzlichen Frist beenden kann. Dem von § 550 S. 1 BGB bezweckten Schutz des Grundstückserwerbers ist damit ausreichend Genüge getan.