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OLG Dresden, Urteil vom 25.01.2023 – 5 U 1239/22 – „Fristlose Kündigung wegen Pflichtverletzung“


Mit Urteil vom 25.01.2023 – 5 U 1239/22 – hat das Oberlandesgericht Dresden entschieden, dass ein wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung des Mietvertrags gemäß § 543 BGB seine Grundlage in jedweder Verletzung einer Pflicht aus dem Mietvertrag haben kann.

Die Parteien schlossen am 09.02.2017 einen bis 31.03.2022 befristeten Mietvertrag. Der Mieter hatte das Recht, den Mietvertrag durch Optionsausübung um weitere fünf Jahre zu verlängern. Der Mieter gewann den Eindruck, dass der Stromverbrauch der Klimaanlage des Tattoo-Studios im Hinterhaus des Gebäudes über seinen Stromanschluss lief und demzufolge dieser Stromverbrauch ihm in Rechnung gestellt wurde. Mit mehreren WhatsApp-Nachrichten, die vom Vermieter nicht beantwortet wurden, bat der Mieter um einen Termin zur Klärung der Angelegenheit. Mit E-Mail vom 28.03.2020 bat der Mieter den Vermieter um Beendigung der Nutzung seines Stromzählers durch das Tatoo-Studio innerhalb der nächsten 14 Tage und um Benennung von drei möglichen Terminen für eine gemeinsame Begutachtung vor Ort. Der Vermieter reagierte mit einem Rechtsanwaltsschreiben, in dem er erklären ließ, der Energieverbrauch des Tattoo-Studios laufe keineswegs über den Stromzähler des Mieters. Der Mieter kündigte daraufhin mit Schreiben vom 14.04.2020 das Mietverhältnis außerordentlich zum 30.04.2020, hilfsweise zum nächstmöglichen Termin. Die hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung begründete der Mieter damit, dass die Betriebskostenabrechnung für das Jahr 2017 ein Guthaben zugunsten des Mieters ergab. Daraufhin übersandte der Vermieter dem Mieter einen ersten Nachtrag zum Mietvertrag, mit welchem ab dem 01.01.2019 die monatliche Vorauszahlung auf die Betriebskosten abgesenkt wurde. Die Parteien hatten sich zumindest konkludent auf den Inhalt des ersten Nachtrags zum Mietvertrag verständigt, indem die Vorauszahlungen ab Januar 2019 herabgesetzt wurden, der schriftliche Text des Nachtrags wurde aber von den Mietvertragsparteien nicht unterschrieben.

Nach Ausspruch der Kündigung beauftragte der Mieter einen Gutachter, der feststellte, dass die Stromversorgung für die Klimaanlage des Tattoo-Studios über seinen Stromzähler läuft.

Das Oberlandesgericht Dresden entscheidet, dass der Mieter zur fristlosen, außerordentlichen Kündigung des Mietvertrages berechtigt war. Es führt ferner aus, dass, wenn das Mietverhältnis nicht durch die fristlose Kündigung beendet worden wäre, die hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung greifen würde.

Der Mieter war zur fristlosen, außerordentlichen Kündigung berechtigt. Ein wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung liegt gemäß § 543 Abs. 1 S. 2 BGB vor, wenn dem Kündigenden die Fortsetzung des Mietverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder einer sonstigen Beendigung des Mietverhältnisses (hier also dem Ablauf der Befristung, nachdem ein Mietvertrag für die Dauer bis 31.03.2022 vereinbart war) nicht zugemutet werden kann, auch wenn alle Umstände des Einzelfalls insbesondere ein Verschulden der Vertragsparteien berücksichtigt und die beiderseitigen Interessen abgewogen werden. Seine Grundlage kann der wichtige Grund in jedweder Verletzung einer Pflicht aus dem Mietvertrag haben (BGH NJW 2015, 2417 Rn. 21). Im vorliegenden Fall ist dem Vermieter vorzuwerfen, dass er nach Kenntnisnahme von dem Umstand, dass der Stromverbrauch der Klimaanlage des Tattoo-Studios über den Stromzähler des Mieters lief, diesem Zustand nicht abhalf, sondern untätig blieb. Ins Gewicht fiel, dass der Vermieter das Begehren des Mieters auf Abhilfe der fehlerhaften Schaltung der Elektroanlage zunächst über Monate ignorierte, indem er auf die WhatsApp-Nachrichten des Mieters überhaupt nicht reagierte und das Bestehen der Fehlschaltung leugnete. Infolge dieser Handlungsweise des Vermieters war ein Grad von Verschulden erfüllt, welches es für den Mieter als unzumutbar erscheinen ließ, an dem bestehenden Mietvertrag festgehalten zu werden. Angesichts des Verhaltens des Vermieters konnte der Mieter nicht erwarten, dass der Vermieter seinem Einwand bezüglich der Fehlerhaftigkeit der Schaltung der Elektroanlage noch sachgerecht und innerhalb angemessener Frist nachgehen würde.

Darüber hinaus führt das Oberlandesgericht aus, dass das Mietverhältnis, würde man das Bestehen eines wichtigen Grundes zu einer außerordentlichen, fristlosen Kündigung leugnen, zumindest ordentlich kündbar war. Der Mietvertrag unterlag der gesetzlichen Schriftform aus §§ 550, 578 Abs. 1, Abs. 2 BGB, weil er auf fünf Jahre fest abgeschlossen war und zudem eine Verlängerungsoption um weitere fünf Jahre beinhaltete. Die gesetzliche Schriftform ist nur dann gewahrt, wenn sich die für den Abschluss des Vertrages notwendige Einigung über alle wesentlichen Vertragsbedingungen, insbesondere über den Mietgegenstand, die Miete sowie die Dauer und die Parteien des Mietverhältnisses aus einer von beiden Parteien unterzeichneten Urkunde ergeben. Von der Schriftform ausgenommen sind lediglich solche Abreden, die für den Inhalt des Vertrages, auf den die Parteien sich geeinigt haben, von nur nebensächlicher Bedeutung sind. Für Vertragsänderungen gilt nichts anderes als für den Ursprungsvertrag. Sie müssen daher ebenfalls der Schriftform des § 550 BGB genügen, es sei denn, dass es sich nur um unwesentliche Änderungen handelt (BGH NJW 2016, 311 Rn. 12). Nach diesen Kriterien war die Einigung der Mietvertragsparteien auf den ersten Nachtrag zum Mietvertrag, mit welchem die Höhe der monatlichen Nebenkostenvorauszahlungen unbefristet abgesenkt wurde, beurkundungsbedürftig. Die Nebenkostenvorauszahlungen sind nämlich Bestandteil der Miete (BGH NJW 2008, 3210 Rn. 31) und die dauerhafte Änderung der Miethöhe ist immer als vertragswesentlich anzusehen und unterliegt demzufolge der gesetzlichen Schriftform des § 550 BGB (BGH NJW 2016, 311; ebenso OLG Brandenburg, Urteil vom 07.07.2020, 3 U 82/19). Die lediglich mündlich bzw. konkludent zwischen den Mietvertragsparteien vereinbarte Regelung im ersten Nachtrag zum Mietvertrag stellt sich deshalb als nicht beurkundete Vereinbarung einer wesentlichen Vertragsbedingung dar. Die Berufung des Mieters auf den Schriftformmangel ist auch nicht treuwidrig. Diese Voraussetzung ist nicht erfüllt, weil die Herabsetzung der Nebenkostenvorauszahlung nicht lediglich rechtlich vorteilhaft für den Mieter ist. Dem Vermieter bleiben nämlich seine Zahlungsansprüche in Höhe der abrechenbaren Nebenkosten voll erhalten, während nur die Vorauszahlungen geringer ausfallen (ebenso auch OLG Brandenburg, Urteil vom 07.07.2020, 3 U 82/19). Im Ergebnis liegt deshalb ein Verstoß gegen die gesetzliche Schriftform mit der Rechtsfolge aus § 550 S. 1 BGB vor, dass das Mietverhältnis ab der Vereinbarung zum ersten Nachtrag zum Mietvertrag als auf unbestimmte Zeit geschlossen gilt und ordentlich kündbar ist.