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BGH, Urteil vom 29.01.2015 – IX ZR 279/13 – “(Fast) immer eine schwierige Sache: Mietverhältnisse in der Insolvenz


Gerät ein Vermieter oder ein Mieter in Insolvenz, stellen sich sehr häufig höchst schwierige Rechtsfragen. So war es auch bei einem Sachverhalt, den der für das Insolvenzrecht zuständige 9. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (für das gewerbliche Mietrecht ist ansonsten der 12. Zivilsenat zuständig) zu entscheiden hatte.

Im schriftlichen Mietvertrag vom 02.01.2009 werden als Vermieter die beiden Brüder R. genannt. Mietgegenstand sind Lagerhallen, Büroräume, Lagerflächen und Maschinen. Die monatliche Miete betrug EUR 24.400 zuzüglich Umsatzsteuer, wobei EUR 4.000 zuzüglich Umsatzsteuer auf die Maschinen entfielen. Der Mieter wurde insolvent. Das Insolvenzverfahren wurde am 21.09.2010 eröffnet. Der Insolvenzverwalter kündigte das Mietverhältnis mit Schreiben vom 27.09.2010 zum nächstmöglichen Zeitpunkt. Der Geschäftsbetrieb des Mieters, der sich mit der Produktion von Styropor befasste, wurde vor Verfahrenseröffnung eingestellt. Der Insolvenzverwalter, der im Laufe des Rechtsstreits Masseunzulänglichkeit angezeigt hatte, wurde von einer aus den Brüdern R. bestehenden Gesellschaft bürgerlichen Rechts verklagt, die Masseansprüche für den Zeitraum vom 22.09.2010 bis 31.12.2010 geltend machte. Die Klägerin verlangt ferner für den nachfolgenden Zeitraum vom 01.01.2011 bis 08.08.2011 eine Nutzungsentschädigung, weil der Insolvenzverwalter die Räumlichkeiten erst am 08.08.2011 zurückgegeben habe. Bis zum 08.08.2011 waren in den angemieteten Werkshallen etwa 1.200 m³ Styropor verblieben. Die Schlüssel hatte der Insolvenzverwalter bereits im Dezember 2010 zurückgegeben.

Der Bundesgerichtshof diskutiert zunächst die Frage, ob die klagende GbR überhaupt Vermieterin wurde oder ob Vermieter die im Mietvertrag genannten Brüder R. waren. Der Bundesgerichtshof kommt zum Ergebnis, dass der Mietvertrag mit der GbR zu Stande gekommen ist. Da der Wille der Vertragschließenden darauf gerichtet war, einen Mietvertrag zwischen der GbR und dem Mieter zu begründen, sei es unschädlich, dass die Vertragsurkunde anstelle der GbR die Gebrüder R. als Vermieter ausweist. Das Berufungsgericht war nach Vernehmung von Zeugen zum Ergebnis gekommen, dass entgegen dem Inhalt des schriftlichen Mietvertrags nach dem übereinstimmenden Willen der Vertragschließenden ein Vertragsverhältnis zwischen der GbR und dem Mieter gewollt war. Dem folgt auch der Bundesgerichtshof und fügt als weiteres Argument an, dass der Mietvertrag über einen längeren Zeitraum in der Weise praktiziert wurde, dass der Mieter insbesondere durch die Zahlung der Mieten an die GbR diese als seine Vermieterin behandelte (so auch BGH, Urteil vom 29.09.1999 – XII ZR 313/98). An dieser Auslegung ändert sich auch dadurch nichts, dass das vermietete Grundstück im Eigentum der Brüder R. stand. Ein Vermieter muss nämlich nicht mit dem Eigentümer der Mietsache personenidentisch sein (so Münchner Kommentar, BGB, § 535 Rn. 40).

Bei dieser Sachlage war es ohne Bedeutung, dass der schriftliche Mietvertrag nicht die GbR, sondern die Brüder R. als Vermieter benennt. Dabei handelt es sich um eine unschädliche Falschbezeichnung (so genannte falsa demonstratio). Für den Inhalt eines Vertrages ist der übereinstimmende Wille der Beteiligten maßgebend, selbst wenn die Erklärungen objektiv eine andere Bedeutung haben sollten, so dass ein unbefangener Dritter ihnen einen anderen Sinn beilegen würde (BGH, Urteil vom 26.04.1978 – VIII ZR 236/76). Haben alle Beteiligten eine Erklärung übereinstimmend in demselben Sinn verstanden, so geht der wirkliche Wille dem Wortlaut vor (BGH NJW 2002, 1038, 1039).

Der Bundesgerichtshof legt ferner dar, dass ungeachtet der Falschbezeichnung auch das Schriftformerfordernis nach § 550 S. 1 BGB erfüllt ist (die Nichtwahrung der Schriftform führt bekanntlich dazu, dass der Mietvertrag als auf unbestimmte Zeit geschlossen gilt und ordentlich, frühestens aber zum Ablauf des ersten Mietjahres, kündbar ist). Die nach § 550 S. 1 BGB zu beachtende Schriftform ist nur dann gewahrt, wenn sich die für den Abschluss des Vertrages notwendige Einigung über alle wesentlichen Vertragsbedingungen, insbesondere den Mietgegenstand, die Miete sowie die Dauer und die Parteien des Mietverhältnisses, aus einer von beiden Parteien unterzeichnete Urkunde ergibt (BGH NJW 2014, 2102 Rn. 23). Diesen Anforderungen ist hinsichtlich der GbR nicht genügt, weil die Mietvertragsurkunde die Brüder R. als Vermieter anführt. Die Benennung der Brüder R. anstelle der GbR ist jedoch unschädlich, weil zwischen den Vertragspartnern feststand, dass tatsächlich die GbR in die Vermieterstellung einrücken sollte. Im Falle einer versehentlichen Falschbezeichnung (falsa demonstratio) gilt nicht das fehlerhaft Erklärte, sondern das wirklich Gewollte. Dieser Grundsatz ist auch auf formgebundene Geschäfte anzuwenden (BGHZ 87, 150, 152 f.). Erweist sich der wahre Wille als ausschlaggebend, ist es ohne Bedeutung, dass die Brüder R. in der Vertragsurkunde auf Vermieterseite benannt wurden und für die GbR keinen schriftlichen Vertretungswillen zum Ausdruck gebracht haben.

Der Bundesgerichtshof legt dar, dass das Mietverhältnis ungeachtet der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Mieters in vollem Umfang bis zur kündigungsbedingten Beendigung am 31.12.2010 fortwährte. Miet- und Pachtverhältnisse des Insolvenzschuldners (hier also des Mieters) über unbewegliche Gegenstände oder Räume bestehen gemäß § 108 Abs. 1 S. 1 InsO mit Wirkung für die Insolvenzmasse fort. Das Mietverhältnis wird folglich nicht durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens beendet. Die Regelung des § 108 Abs. 1 S. 1 InsO ist unabhängig davon anwendbar, ob der Insolvenzschuldner als Vermieter/Verpächter oder wie hier als Mieter/Pächter an dem Rechtsverhältnis beteiligt ist. Das Vertragsverhältnis wirkte nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens auch weiter, soweit die Vermietung neben den unbeweglichen Gegenständen und Räumen als bewegliche Gegenstände einzuordnende Betriebsanlagen betraf. Der Regelungsgehalt des § 108 Abs. 1 S. 1 InsO beschränkt sich auf Miet- und Pachtverhältnisse des Insolvenzschuldners über unbewegliche Gegenstände oder Räume. Miet- und Pachtverträge über bewegliche Gegenstände werden hingegen nicht von § 108 Abs. 1 S. 1 InsO erfasst, sondern sind gemäß § 103 InsO abzuwickeln. Insoweit hat der Insolvenzverwalter ein Wahlrecht, ob er Vertragserfüllung wählt oder ob er die Erfüllung abgelehnt. Betrifft ein Mietverhältnis aber wie hier unbewegliche und bewegliche Gegenstände, dann ist § 108 Abs. 1 S. 1 InsO für den gesamten Vertrag maßgeblich, wenn die Vermietung des unbeweglichen Gegenstandes den Schwerpunkt des Vertrages ausmacht (BGHZ 71, 189, 191; BGHZ 173, 116 Rn. 11). Im Streitfall findet der Vertrag in der Vermietung unbeweglicher Gegenstände sein wesentliches Gepräge. Nach dem Inhalt des Mietvertrages, der die Maschinenmiete nur nachrangig erwähnt, steht die Vermietung von Lagerhallen, Büroräumen und Lagerflächen ganz im Vordergrund. Für diese Mietgegenstände war eine monatliche Miete von EUR 24.000 netto vereinbart, während die Nettomiete für die Maschinen lediglich EUR 4.000,00 monatlich, also nur rund ein Fünftel, betrug. Infolge der schwerpunktmäßig ausbedungenen Hauptleistungspflicht der Vermietung von Räumlichkeiten beurteilt sich das gesamte Vertragsverhältnis nach § 108 Abs. 1 S. 1 InsO.

Nach alledem standen der Vermieterin (der GbR) somit Masseansprüche für die Zeit nach Insolvenzeröffnung bis zur Beendigung des Mietverhältnisses am 31.12.2010 zu. An diesem Tag endete das Mietverhältnis aufgrund der Kündigung des Insolvenzverwalters vom 27.09.2010, denn ein Mietverhältnis über unbewegliche Gegenstände und Räume, das der Insolvenzschuldner als Mieter oder Pächter eingegangen war, kann der Insolvenzverwalter nach § 109 InsO ohne Rücksicht auf die vereinbarte Vertragsdauer mit einer Frist von drei Monaten zum Monatsende kündigen.

Soweit die Vermieterin einen Masseanspruch für die Zeit vom 01.01.2011 bis 08.08.2011 mit der Begründung geltend machte, der Insolvenzverwalter habe die Mietsache vorenthalten, wurde die Klage abgewiesen. Der Insolvenzverwalter hat der Klägerin nach Auffassung des Bundesgerichtshofs die Mietsache nicht durch aktives Tun vorenthalten, so dass der Vermieterin (der GbR) insoweit kein Masseanspruch zusteht. Der Insolvenzverwalter war nicht verpflichtet, die in den angemieteten Werkshallen befindlichen 1.200 m³ Styropor zu entfernen. Ein Anspruch auf Nutzungsentschädigung kann nur dann als Masseverbindlichkeit beansprucht werden, wenn der Insolvenzverwalter zur Räumung verpflichtet war. Dabei kommt es nicht ausschlaggebend darauf an, ob der Insolvenzverwalter die Mietsache tatsächlich umfassend nutzt. Ausreichend ist vielmehr, dass der Verwalter die Mietsache nach der Eröffnung des Verfahrens für die Masse in Anspruch nimmt. Ergreift der Verwalter für die Masse Besitz an der Mietsache und schließt er zugleich den Vermieter gegen dessen Willen gezielt aus, begründet er eine Masseverbindlichkeit nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO, § 546a Abs. 1 BGB (BGH WM 3007, 840 Rn. 21). Eine solche Gestaltung lag aber im Streitfall nicht vor. Ein gezielter Ausschluss des Vermieters durch den Verwalter wurde angenommen, wenn dieser allein über die Schlüssel der Mietsache verfügt und dort Sachen einlagert oder nach Beendigung des Hauptmietvertrages als Zwischenvermieter Untermietverträge fortsetzt und Mietzahlungen zu Gunsten der Masse einzieht. Vorliegend hat der Insolvenzverwalter die Mietsache nach Verfahrenseröffnung aber weder für die Masse in Anspruch genommen noch die Vermieterin gegen ihren Willen gezielt von dem Besitz ausgeschlossen. Die Vermieterin verfügt unstreitig über die Schlüssel der Mietsache, so dass sie nicht an deren Nutzung gehindert war. Auch hat der Insolvenzverwalter nach Verfahrenseröffnung nicht auf die Mietsache zugegriffen, sondern es bei dem bei Verfahrenseröffnung gegebenen Zustand belassen. Da die in den Mieträumen befindlichen Restwaren unverkäuflich waren, scheidet auch eine Lagerung im Interesse der Masse aus.

Dem Insolvenzverwalter kann nicht wegen einer verspäteten Räumung eine Vorenthaltung der Mietsache angelastet werden. Eine Vorenthaltung der Mietsache setzt nicht voraus, dass der Insolvenzverwalter die Sache für die Masse nutzt oder daran Besitz ausübt. Vorenthalten wird die Mietsache bereits dann im Sinne von § 546a BGB, wenn der Mieter die Mietsache nicht zurückgibt und das Unterlassen der Herausgabe dem Willen des Vermieters widerspricht. Verweigert der Vermieter allerdings die Rücknahme unter Hinweis auf den ungeräumten oder nicht vertragsgemäßen Zustand, fehlt dem Vermieter der für die Vorenthaltung erforderliche Rücknahmewille, wenn der Verwalter nicht zu einer Räumung verpflichtet war. Eine solche Konstellation war hier gegeben. Die Kosten zur Herstellung des ordnungsgemäßen Zustandes eines an den Insolvenzschuldner vermieteten Grundstücks begründen jedenfalls dann keine Masseschuld, wenn der Mietvertrag vor der Insolvenzeröffnung beendet war (BGHZ 150, 305, 312). Für den Fall, dass der Insolvenzverwalter das Nutzungsverhältnis fortsetzt, ist die vertragliche Herstellungspflicht bei Vertragsende aufzuteilen; insolvenzrechtlich bevorzugt ist nur die Wiederherstellung derjenigen nachteiligen Veränderungen, die nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens eingetreten sind (BGH, Urteil vom 21.12.2006 – IX ZR 66/5 und BGH, Beschluss vom 17.04.2008 – IX ZR 144/07). Im Streitfall hat der Insolvenzverwalter den Mietvertrag zunächst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens fortgesetzt. Allerdings war die Produktion der Insolvenzschuldnerin in den Mieträumen unstreitig bereits vor Verfahrenseröffnung zum Erliegen gekommen. Dementsprechend hat der Insolvenzverwalter nach Verfahrenseröffnung keine nachteiligen Veränderungen an der Mietsache vorgenommen, die gegen ihn eine Herstellungspflicht (im Sinne einer Räumungspflicht) begründen. Darum durfte die Vermieterin die Rücknahme nicht unter Hinweis auf Räumungspflichten des Insolvenzverwalters verweigern. Durch die Rückgabe der ungeräumten Mietsache erfüllte der Insolvenzverwalter darum nicht den Tatbestand des Vorenthaltens der Mietsache nach § 546a BGB. Der Vermieterin stand demnach keine Nutzungsentschädigung für die Zeit vom 01.01.2011 bis 08.08.2011 zu.