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BGH, Urteil vom 17.12.2015 – IX ZR 61/14 – “Bundesgerichtshof zwingt Vermieter, bei Zahlungsrückständen fristlos zu kündigen


Was soll verwerflich sein, wenn ein Vermieter einem in wirtschaftliche Schwierigkeiten geratenen Mieter helfen will und deshalb bei Zahlungsrückständen, die an sich eine fristlose Kündigung rechtfertigen würden, das Mietverhältnis dennoch fortzusetzt und darauf hofft, dass sich die finanziellen Verhältnisse des Mieters wieder bessern? Verwerflich ist dies natürlich im ethischen Sinne nicht. Der Vermieter wird von der Rechtsprechung aber gnadenlos bestraft. Kommt es wie in derartigen Fällen sehr häufig später doch zum Insolvenzverfahren, muss der Vermieter in aller Regel sämtliche Mieten zurückzahlen, die er ab Kenntnis von der wirtschaftlichen Krise des Mieters erlangt hat. Mittelbar zwingt der Bundesgerichtshof den Vermieter also bei Zahlungsrückständen des Mieters zu Härte und zur fristlosen Kündigung des Mietvertrages. Dies veranschaulicht erneut ein Urteil des Bundesgerichtshofs vom 17.12.2015 – IX ZR 61/14.

Über das Vermögen des gewerblichen Mieters, der M. KG, wird am 05.03.2008 das Insolvenzverfahren eröffnet. Der Vermieter, der dem Mieter helfen wollte, hatte diesem am 28.04.2006 ein Darlehen über EUR 216.500 gewährt. Im März 2005 bot der Mieter seinen Gläubigern gegen Erteilung eines weitergehenden Forderungsverzichts die Zahlung einer Quote zwischen 30 und 40 % an. Der Mieter konnte demnach ab diesem Zeitpunkt seine Verbindlichkeiten nicht erfüllen. Im Zeitraum von Anfang 2006 bis Februar 2008 zahlte der Mieter an den Vermieter Miete in Höhe von insgesamt EUR 231.803,87. Bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens beliefen sich die Mietzinsrückstände aus den Jahren 2005 und 2006 auf EUR 48.777,84. Der Insolvenzverwalter klagt gegen den Vermieter auf Erstattung der erbrachten Mietzahlungen. Vor dem Bundesgerichtshof hat die Klage des Insolvenzverwalters Erfolg. Das Berufungsgericht hatte noch gemeint, nur die Mietzahlungen im Jahr 2006 seien anfechtbar. Ab September 2006 seien die Mietzahlungen aber regelmäßig erfolgt. Auch habe der Mieter Sanierungsbemühungen unternommen, so dass der Vermieter darauf vertrauen konnte, dass der Mieter seine Krise überwunden habe. Der Bundesgerichtshof ist andere Auffassung und verurteilt den Vermieter auch zur Rückzahlung der in den Jahren 2007 und 2008 erhaltenen Mieten. Der Bundesgerichtshof führt aus, dass dem Insolvenzverwalter gemäß §§ 133 Abs. 1, 143 Abs. 1 S. 1 InsO gegen den Vermieter Ansprüche auf Rückzahlung sämtlicher in den Jahren 2006 bis 2008 gezahlten Mieten zustehen. Die Zahlungen sind wegen vorsätzlicher Benachteiligung der Gläubiger nach § 133 Abs. 1 S. 1 InsO anfechtbar und somit nach § 143 Abs. 1 InsO zurückzugewähren. Nach § 133 Abs. 1 InsO ist eine Rechtshandlung anfechtbar, die der Schuldner (hier der Mieter) in den letzten 10 Jahren vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder nach diesem Antrag mit dem Vorsatz, seine Gläubiger zu benachteiligen, vorgenommen hat, wenn der andere Teil (hier der Vermieter) zur Zeit der Handlung den Vorsatz des Schuldners kannte. Diese Kenntnis wird gemäß § 133 Abs. 1 S. 2 InsO vermutet, wenn der andere Teil (hier der Vermieter) wusste, dass die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners (hier des Mieters) drohte und dass die Handlung (die Zahlung der Miete) die Gläubiger benachteiligte. Der Bundesgerichtshof führt aus, dass die geleisteten Mietzahlungen Rechtshandlungen des Mieters darstellen. Infolge des Vermögensabflusses haben die Zahlungen eine objektive Gläubigerbenachteiligung im Sinne von § 129 Abs. 1 InsO bewirkt (BGH, Urteil vom 07.05.2015 – IX ZR 95/14). Sämtlichen vom Mieter in den Jahren 2006 bis 2008 an den Vermieter erbrachten Mietzahlungen lag ein Gläubigerbenachteiligungsvorsatz zu Grunde. Dieser folgt daraus, dass der Mieter die Zahlungen im ihm bekannten Stadium der Zahlungsunfähigkeit erbracht hat. Ein Benachteiligungsvorsatz ist gegeben, wenn der Schuldner bei Vornahme der Rechtshandlung (§ 140 InsO) die Benachteiligung der Gläubiger im Allgemeinen als Erfolg seiner Rechtshandlung gewollt und als mutmaßliche Folge – sei es auch als unvermeidliche Nebenfolge eines an sich erstrebten anderen Vorteils – erkannt und gebilligt hat. Ein Schuldner, der zahlungsunfähig ist und seine Zahlungsunfähigkeit kennt, handelt in aller Regel mit Benachteiligungsvorsatz, weil er weiß, dass sein Vermögen nicht ausreicht, um sämtliche Gläubiger zu befriedigen (BGH, Urteil vom 07.05.2015 – IX ZR 95/14). In diesen Fällen handelt der Schuldner ausnahmsweise nicht mit Benachteiligungsvorsatz, wenn er aufgrund konkreter Umstände – etwa der sicheren Aussicht, demnächst Kredit zu erhalten oder Forderungen realisieren zu können – mit einer baldigen Überwindung der Krise rechnen kann. Diese Grundsätze gelten auch dann, wenn wie im entschiedenen Fall eine so genannte kongruente Deckung angefochten wird, der Gläubiger (der Vermieter) also eine Leistung (die Miete) erhält, die er aus Rechtsgründen zu beanspruchen hat.

Der Bundesgerichtshof führt weiter aus, dass es zur Feststellung der Zahlungsunfähigkeit im Sinne des § 17 Abs. 2 S. 1 InsO entbehrlich ist, eine Liquiditätsbilanz aufzustellen, wenn eine Zahlungseinstellung im Sinne von § 17 Abs. 2 S. 2 InsO die gesetzliche Vermutung der Zahlungsunfähigkeit begründet. So war es im Streitfall. Eine Zahlungseinstellung kann aus einem einzelnen, aber auch aus einer Gesamtschau mehrerer darauf hindeutender, in der Rechtsprechung entwickelter Beweisanzeichen gefolgert werden. Sind derartige Indizien vorhanden, bedarf es einer darüber hinausgehenden Darlegung und Feststellung der genauen Höhe der gegen den Schuldner bestehenden Verbindlichkeiten oder einer Unterdeckung von mindestens 10 % nicht. Im entschiedenen Fall hatten sich beim Mieter mehrere eine Zahlungseinstellung begründende Beweisanzeichen verwirklicht. Der Mieter hatte seinen Gläubigern die Zahlung einer Quote zwischen 30 und 40 % gegen Erteilung eines weitergehenden Forderungsverzichts angeboten. Dies deutet nachdrücklich auf eine Zahlungseinstellung hin. Daneben hatte sich das Indiz einer verspäteten Abführung der Sozialversicherungsbeiträge verwirklicht, dem für den Nachweis einer Zahlungseinstellung besonderes Gewicht zukommt, weil diese Forderungen in der Regel wegen der drohenden Strafbarkeit (§ 266 a StGB) bis zuletzt entrichtet werden (BGH, Urteil vom 07.05.2015 – IX ZR 95/14). Überdies wurden seit dem Jahre 2004 fällige Verbindlichkeiten bis zur Verfahrenseröffnung nicht beglichen, was ein weiteres Indiz einer Zahlungseinstellung darstellt. Der Benachteiligungsvorsatz des Mieters wurde entgegen der Annahme des Berufungsgerichts vom Vermieter auch in den Jahren 2007 und 2008 erkannt. Die Kenntnis des Benachteiligungsvorsatzes wird gemäß § 133 Abs. 1 S. 2 InsO vermutet, wenn der andere Teil (hier der Vermieter) wusste, dass die Zahlungsunfähigkeit drohte und dass die Handlung die Gläubiger benachteiligte. Kennt der Anfechtungsgegner die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners, so weiß er auch, dass Leistungen aus dessen Vermögen die Befriedigungsmöglichkeit anderer Gläubiger vereiteln oder zumindest erschweren und verzögern. Mithin ist der Anfechtungsgegner regelmäßig über den Benachteiligungsvorsatz im Bilde. Der Kenntnis der (drohenden) Zahlungsunfähigkeit steht die Kenntnis von Umständen gleich, die zwingend auf eine drohende oder bereits eingetretene Zahlungsunfähigkeit hinweisen. Es genügt daher, dass der Anfechtungsgegner die tatsächlichen Umstände kennt, aus denen bei zutreffender rechtlicher Bewertung die (drohende) Zahlungsunfähigkeit zweifelsfrei folgt. Nach diesen Maßstäben hat der Vermieter die Zahlungsunfähigkeit des Mieters erkannt, weil ihm verschiedene auf eine Zahlungseinstellung hindeutende Beweisanzeichen offenbar wurden. Insbesondere bestanden gegenüber dem Vermieter seit dem Jahr 2005 erhebliche Mietrückstände, die besonders ins Gewicht fallen, weil sie das Betriebsgrundstück als Grundlage der Fortsetzung des Geschäftsbetriebs des Mieters betrafen. Schließlich war dem Vermieter bewusst, es mit einem unternehmerisch tätigen Schuldner zu tun zu haben, bei dem das Entstehen von Verbindlichkeiten, die er nicht im selben Maße bedienen kann, auch gegenüber anderen Gläubigern unvermeidlich ist. Bereits diese Umstände begründen eine Kenntnis des Vermieters von dem Benachteiligungsvorsatz des Mieters, der dem Vermieter im Stadium der Zahlungsunfähigkeit ersichtlich bevorzugt Zahlungen zukommen ließ.

Das Berufungsgericht hatte noch angenommen, dass die Kenntnis des Vermieters von der Zahlungsunfähigkeit des Mieters in den Jahren 2007 und 2008 nicht mehr bestand. Der Bundesgerichtshof ist anderer Auffassung und führt aus, das Berufungsgericht habe die Beweislastverteilung verkannt. Die hier verwirklichte Zahlungseinstellung konnte nur beseitigt werden, indem der Mieter alle Zahlungen wieder aufnahm. Dies hat derjenige zu beweisen, der sich darauf beruft. Hat der anfechtende Insolvenzverwalter für einen bestimmten Zeitpunkt den ihm obliegenden Beweis der Zahlungseinstellung des Schuldners geführt, muss der Anfechtungsgegner grundsätzlich beweisen, dass diese Voraussetzung zwischenzeitlich wieder entfallen ist. Für den nachträglichen Wegfall der subjektiven Anfechtungsvoraussetzung der Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit gilt Entsprechendes. Ein Gläubiger, der von der einmal eingetretenen Zahlungsunfähigkeit des Schuldners wusste, hat darzulegen und zu beweisen, warum er später davon ausging, der Schuldner habe seine Zahlungen möglicherweise allgemein wieder aufgenommen. Die Schlussfolgerung des Anfechtungsgegners, wonach die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners zwischenzeitlich behoben ist, muss von einer ihm nachträglich bekannt gewordenen Veränderung der Tatsachengrundlage und nicht von einem bloßen „Gesinnungswandel“ getragen sein. Als erstes dürfen die Umstände, welche die Kenntnis des Anfechtungsgegners begründen, nicht gegeben sein. Der Fortfall der Umstände allein bewirkt nicht zwingend den Verlust der Kenntnis. Vielmehr ist auf der Grundlage aller von den Parteien vorgetragenen Umstände des Einzelfalls zu würdigen, ob eine Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit bei Vornahme der Rechtshandlung (der Zahlung der Mieten) nicht mehr bestand. Nach diesen Maßstäben konnte der Bundesgerichtshof einen Wegfall der Kenntnis des Vermieters von der Zahlungsunfähigkeit des Mieters entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts für die Jahre 2007 und 2008 nicht feststellen. Die von dem Berufungsgericht hervorgehobenen regelmäßigen Zahlungen der Miete ab September 2006 beruhten nicht auf einer allgemeinen Zahlungsaufnahme seitens des Mieters. Vielmehr war dem Mieter ersichtlich daran gelegen, die Mietforderungen des Vermieters bevorzugt zu bedienen, um die Fortsetzung seines Geschäftsbetriebs zu sichern. Vor diesem Hintergrund verbietet sich ein Schluss des Gläubigers dahin, dass – nur weil er selbst Zahlungen erhalten hat – der Schuldner seine Zahlungen auch im Allgemeinen wieder aufgenommen habe.

Schließlich legt der Bundesgerichtshof dar, dass auch die Grundsätze des Baraustauschs der Anwendung des § 133 Abs. 1 InsO im Streitfall nicht entgegenstehen. In Fällen kongruenter Leistungen (wenn der Vermieter wie hier also Anspruch auf die Miete hat, weil er seine Leistung – die Überlassung der Mietsache – erbringt) ist anerkannt, dass der Schuldner trotz Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit ausnahmsweise ohne Gläubigerbenachteiligungsvorsatz handelt, wenn er seine Leistung Zug um Zug gegen eine zur Fortführung seines Unternehmens unentbehrliche Gegenleistung erbracht hat, die den Gläubigern im allgemeinen nutzt. Der subjektive Tatbestand kann hiernach entfallen, wenn in unmittelbarem Zusammenhang mit der potentiell anfechtbaren Rechtshandlung eine gleichwertige Gegenleistung in das Vermögen des Schuldners gelangt, also ein Leistungsaustausch ähnlich einem Bargeschäft stattfindet. Dem liegt zugrunde, dass dem Schuldner in diesem Fall infolge des gleichwertigen Leistungsaustauschs die dadurch eingetretene mittelbare Gläubigerbenachteiligung nicht bewusst geworden sein kann (BGH, Urteil vom 12.02.2015 – IX ZR 180/12). Hier hatte der Vermieter aber nicht substantiiert vorgetragen, dass die Voraussetzungen eines Bargeschäfts erfüllt sind, nämlich eines wechselseitigen Leistungsaustauschs innerhalb eines Zeitraums von längstens 30 Tagen (BGH, Urteil vom 10.07.2014 – IX ZR 192/13). Dieser Nachweis war nicht geführt, weil es an jeder Darlegung fehlte, wann welche Zahlungen für welche Zeitabschnitte stattfanden und ob eine von § 366 Abs. 2 BGB im Sinne eines Baraustauschs abweichende Leistungsbestimmung getroffen worden ist. Trifft der Mieter bei Zahlung der Miete keine Zahlungsbestimmung, wird diese Zahlung nach gesetzlicher Regelung (§ 366 Abs. 2 BGB) grundsätzlich auf die älteste Verbindlichkeit angerechnet. Der Vermieter hätte hier also vortragen müssen, wann die einzelnen Mieten bezahlt worden sind und dass die Zahlungen die jeweils aktuelle Miete betrafen und nicht gemäß § 366 Abs. 2 BGB auf die rückständigen, älteren Mieten anzurechnen waren.