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OLG Saarbrücken, Urteil vom 24.06.2015 – 2 U 37/14 – “Bei der Formulierung von Formularklauseln in Mietverträgen ist größte Sorgfalt und Genauigkeit erforderlich


Wer für eine Vielzahl von Verträgen bestimmte Mietvertragsbedingungen formuliert, muss größte Sorgfalt auf eine präzise Formulierung legen. Unklarheiten gehen nämlich zulasten des Verwenders (§ 305 c Abs. 2 BGB). Die Neigung zu blumigen, schwammigen und diffusen Regelungen kann fatale Folgen haben, wie das Urteil des Oberlandesgerichts Saarbrücken vom 24.06.2015 – 2 U 37/14 – zeigt. Es ging darum, dass der Kläger mit Mietvertrag vom 15.09.2008/17.09.2008 an den Beklagten Geschäftsräume in einem Gewerbeobjekt zum Betrieb einer Firmenfiliale vermietete. In § 2 (Mietzeit, Kündigung) des Mietvertrages heißt es:

  1. Das Mietverhältnis beginnt am 01.10.2008 und wird auf die Dauer von 5 Jahren abgeschlossen, so dass es am 30.09.2013 endet.
  2. Der Mieter hat das Recht, durch schriftliche Erklärung gegenüber dem Vermieter, die diesem spätestens 12 Monate vor Mietende zugehen muss, die Fortsetzung des Mietverhältnisses um weitere 5 Jahre herbeizuführen (Verlängerungsoption). Dieses Recht kann der Mieter zweimal ausüben.
  3. Nach Ablauf der Mietzeit einschließlich der Optionszeiträume verlängert sich das Mietverhältnis jeweils um ein Jahr, falls es nicht seitens einer Vertragspartei spätestens 12 Monate vor seiner Beendigung gekündigt wird.

Schließlich ist in § 28 MV geregelt:

Die festgehaltenen Individualvereinbarungen sind das Ergebnis beidseitiger, eingehender Besprechungen (Aushandelns).

Unstreitig war dem Beklagten vor Abschluss des Mietvertrags ein Entwurf zugesandt worden, der zu Änderungen des endgültigen Vertragstextes führte. Über § 2 MV war aber nicht gesprochen worden. Der Vertragstext von § 2 aus dem Entwurf wurde unverändert übernommen.

Der Mieter räumt am 30.09.2013, ohne das Mietverhältnis zuvor gekündigt zu haben. Der Vermieter meint deshalb, das Vertragsverhältnis habe sich zumindest bis 30.09.2014 verlängert und der Beklagte müsse bis zu diesem Zeitpunkt Miete zahlen. Das Oberlandesgericht Saarbrücken gibt dem Mieter recht und entscheidet, dass der Mietvertrag am 30.09.2013 endete. Eine Kündigung war nicht erforderlich. Soweit in § 2 Ziff. 3 MV bestimmt ist, dass sich das Mietverhältnis nach Ablauf der Mietzeit einschließlich der Optionszeiträume jeweils um ein Jahr verlängert, falls es nicht seitens einer Vertragspartei spätestens 12 Monate vor seiner Beendigung gekündigt wird, findet die Verlängerungsklausel keine Anwendung auf die Beendigung des Mietverhältnisses zu dem im Vertrag festgelegten Zeitpunkt (30.09.2013).

Das Oberlandesgericht führt zunächst aus, dass es sich bei den streitentscheidenden Bestimmungen des Mietvertrags um Allgemeine Geschäftsbedingungen handelt mit der Folge, dass diese einer Überprüfung anhand der §§ 305 ff. BGB zugänglich sind. Davon, dass der Mietvertrag insgesamt bzw. die maßgebenden Klauseln im Sinne des § 305 Abs. 1 S. 3 BGB ausgehandelt worden sind, kann entgegen der Auffassung des Vermieters nicht ausgegangen werden. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs erfordert Aushandeln gemäß § 305 Abs. 1 S. 3 BGB mehr als Verhandeln. Von einem Aushandeln in diesem Sinne kann nur dann gesprochen werden, wenn der Verwender zunächst den in seinen Allgemeinen Geschäftsbedingungen enthaltenen gesetzesfremden Kerngehalt, also die den wesentlichen Inhalt der gesetzlichen Regelung ändernden oder ergänzenden Bestimmungen, inhaltlich ernsthaft zur Disposition stellt und dem Verhandlungspartner Gestaltungsfreiheit zur Wahrung eigener Interessen einräumt mit zumindest der realen Möglichkeit, die inhaltliche Ausgestaltung der Vertragsbedingungen zu beeinflussen. Er muss sich also deutlich und ernsthaft zur gewünschten Änderung einzelner Klauseln bereit erklären. In aller Regel schlägt sich eine solche Bereitschaft auch in erkennbaren Änderungen des vorformulierten Textes nieder. Allenfalls unter besonderen Umständen kann eine Vertragsklausel auch dann als Ergebnis eines Aushandelns gewertet werden, wenn es schließlich nach gründlicher Erörterung bei dem gestellten Entwurf verbleibt (BGH NJW 2013, 856). Nach diesen Grundsätzen ist die Klausel in § 2 Ziff. 3 des Mietvertrags nicht zwischen den Parteien ausgehandelt worden. Das vom Vermieter vorformulierte Vertragswerk erzeugt den äußeren Anschein eines für eine mehrfache Verwendung entworfenen Vertrages. Dies wird nicht dadurch infrage gestellt, dass die das Vertragsobjekt selbst betreffenden Angaben individuell gestaltet oder einzelne Teile des Vertrages ausgehandelt worden sind. Ein den §§ 305 ff. BGB unterliegender Formularvertrag liegt auch in einem solchen Fall vor (BGHZ 200, 326; BGHZ 118, 229). Das Ausfüllen von Leerstellen in dem Formulartext, durch die das Vertragsobjekt selbst betreffenden Angaben (Bezeichnung, Größe, Beschreibung, Mietvertragsbeginn, Mietvertragsende, Mietzins) konkret dargestellt werden, begründet kein Aushandeln im Sinne des Gesetzes (Palandt, BGB, § 305 Rn. 8 m.w.N.). Aber auch der Umstand, dass nach Übersendung eines Vertragsentwurfs an den Mieter § 2 Ziff. 5 (Sonderkündigungsrecht für den Fall des Wegfalls des Hauptmieters, der Firma Plus) in den Vertragstext eingefügt worden ist, rechtfertigt keine andere Sicht, weil das Aushandeln einzelner Teile des Vertrages gerade nicht genügt. Dass konkret § 2 Ziff. 3 MV zwischen den Parteien ausgehandelt worden ist, behauptete der Vermieter selbst nicht. Der allgemeine Hinweis des Vermieters, dem Mieter sei nach einer Besprechung über die wesentlichen Punkte der Mietvertragsentwurf zugeleitet worden, womit der Vermieter darauf abheben wollte, dass alle Vertragsbedingungen zur Disposition gestanden hätten, also aushandelbar waren, genügt nicht (BGH a.a.O.). Nichts anderes folgt aus dem Umstand, dass als Ergebnis der Übermittlung des Mietvertragsentwurfs zu Gunsten des Mieters ein Sonderkündigungsrecht für den Fall des Wegfalls des Hauptmieters Plus aufgenommen worden ist. Diese vorgeschlagene Regelung betraf nur einen einzelnen Punkt und nicht das Klauselwerk als Ganzes. Deshalb können nach § 305 Abs. 1 S. 3 BGB allenfalls diejenigen Vertragsbestimmungen als Individualvereinbarungen angesehen werden, auf welche sich die Änderungsvorschläge des Mieters konkret bezogen. Denn der Tatbestand des § 305 Abs. 1 S. 3 BGB

(“ Allgemeine Geschäftsbedingungen liegen nicht vor, soweit die Vertragsbedingungen zwischen den Vertragsparteien im Einzelnen ausgehandelt sind.“) greift nur ein, soweit die Vertragsbedingungen zwischen den Vertragspartnern im Einzelnen ausgehandelt sind. Aushandeln kann sein, dass im vorformulierten Vertragstext nachträglich Änderungen eingefügt werden (BGH NJW-RR 1996, 783). Die restlichen Klauseln bleiben jedoch Allgemeine Geschäftsbedingungen. Eine „Ausstrahlungswirkung“ von der Änderung zentraler Klauseln auf den Charakter der nicht in die Verhandlungen einbezogenen Teile besteht nicht (OLG Hamm, Urteil vom 09.01.2012, 2 U 104/11). Zu keiner anderen Beurteilung führt die Sicht, dass ein Aushandeln im Sinne des § 305 Abs. 1 S. 3 BGB nicht nur dann vorliegt, wenn die vom Verwender der Allgemeinen Geschäftsbedingungen vorformulierte Bestimmung tatsächlich abgeändert oder ergänzt worden ist, sondern dass auch bei unverändert bleibenden Text eine Individualvereinbarung dann vorliegen kann, wenn der andere Teil nach gründlicher Erörterung von der Sachgerechtigkeit der Regelung überzeugt wird und sich ausdrücklich einverstanden erklärt. Hierbei soll es im Verkehr zwischen Unternehmern für die Anwendung des § 305 Abs. 1 S. 3 BGB genügen können, dass der Verwender dem anderen Teil eine angemessene Verhandlungsmöglichkeit einräumt und dieser seine Rechte in der konkreten Verhandlungssituation mit zumutbarem Aufwand selbst wahrnehmen kann. Ungeachtet dessen, dass letztgenannte Auffassung umstritten ist (vgl. Palandt, § 305 Rn. 22 und OLG Frankfurt, EnWZ 2014, 140), liegen die Voraussetzungen für einen solchen Sonderfall insgesamt nicht vor. Hierfür ist nämlich erforderlich, dass der Verwender den Kunden auf ein einzelnes Regelungsproblem hinweist, an dessen wirksamer vertraglicher Vereinbarung er ein besonderes sachlich berechtigtes Interesse hat, und er dem Kunden insoweit nachweisbar eine reale Möglichkeit des Aushandelns insbesondere dadurch eröffnet, dass er nach dessen Information über den Klauselinhalt um Alternativvorschläge bittet oder solche von sich aus zur Diskussion stellt (Ulmer/Brandner/Hensen, AGB-Recht, § 305 BGB, Rn. 51, 53 ff. m.w.N.). Dass dies geschehen bzw. überhaupt über die in § 2 Ziff. 3 MV enthaltenen Regelungen gesprochen worden ist, ist nicht ersichtlich und wird vom Vermieter auch nicht behauptet.

 

Dem Vermieter hilft auch § 28 MV nichts, in dem es am Ende heißt, dass die festgehaltenen Individualvereinbarungen das Ergebnis beidseitiger, eingehender Besprechungen (Aushandelns) sind. Dieser Regelung bzw. Erklärung, wonach es sich bei dem Vertrag um einen Individualvertrag handelt, kommt keine rechtserhebliche Bedeutung zu, da die §§ 305 ff. BGB selbst im unternehmerischen Rechtsverkehr nicht der Disposition der Vertragsparteien unterliegen, sondern zwingendes Recht sind (BGH, Urteil vom 20.03.2014, VII ZR 248/13). Zwingendes, der Vertragsfreiheit Grenzen setzendes Recht ist anzunehmen, wenn Sinn und Zweck des Gesetzes einer privatautonomen Gestaltung entgegenstehen. Der Zweck der Inhaltskontrolle Allgemeiner Geschäftsbedingungen nach §§ 305 ff. BGB besteht darin, zum Ausgleich ungleicher Verhandlungspositionen und damit zur Sicherung der Vertragsfreiheit Schutz und Abwehr gegen die Inanspruchnahme einseitiger Gestaltungsmacht durch den Verwender zu gewährleisten. Deshalb findet eine Inhaltskontrolle vertraglicher Vereinbarungen nicht statt, wenn die Vertragsbedingungen im Einzelnen ausgehandelt worden sind (§ 305 Abs. 1 S. 3 BGB). In diesem Fall befinden sich die Vertragsparteien in einer gleichberechtigten Verhandlungsposition, die es ihnen gestattet, eigene Interessen einzubringen und frei zu verhandeln. Mit diesem Schutzzweck ist es nicht zu vereinbaren, wenn die Vertragsparteien unabhängig von den Voraussetzungen des § 305 Abs. 1 S. 3 BGB die Geltung des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen individualrechtlich ausschließen. Dadurch wird die Prüfung verhindert, ob eine gleichberechtigte Verhandlungsposition bestanden hat. Diese kann nicht allein aus dem Umstand abgeleitet werden, dass individualrechtlich die Geltung der §§ 305 ff. BGB ausgeschlossen wurde. Eine solche Vereinbarung kann vielmehr auf der wirtschaftlichen Überlegenheit einer Vertragspartei beruhen, die unter Umgehung der gesetzlichen Bestimmungen zur Inhaltskontrolle Allgemeiner Geschäftsbedingungen ihre Gestaltungsmacht einseitig verwirklicht. Dem will das Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen entgegenwirken, indem es nur unter den Voraussetzungen des § 305 Abs. 1 S. 3 BGB von einer Inhaltskontrolle nach §§ 307 ff. BGB absieht. Deshalb ist auch der in § 28 des Vertrages enthaltene Hinweis, dass die festgehaltenen Individualvereinbarungen das Ergebnis eines „Aushandelns“ sind, zur Darlegung des Aushandelns bedeutungslos. Könnte der Verwender allein durch eine solche Klausel die Darlegung eines Aushandelns stützen, bestünde die Gefahr der Manipulation und der Umgehung des Schutzes der §§ 305 ff. BGB (BGH, Urteil vom 20.03.2014, XII ZR 248/13).

Handelt es sich bei den in Rede stehenden Bestimmungen mithin um allgemeine Geschäftsbedingungen, ist die Klausel in § 2 Ziff. 3 MV unklar, § 305 c Abs. 2 BGB). Der Inhalt von Klauseln ist durch Auslegung zu ermitteln, wobei die allgemeinen Regeln der §§ 133, 157 BGB gelten. Allgemeine Geschäftsbedingungen sind nach ihrem objektiven Inhalt und typischen Sinn einheitlich so auszulegen, wie sie ein verständiger und redlicher Vertragspartner unter Abwägung der Interessen der normalerweise beteiligten Verkehrskreise versteht, wobei nicht die Verständnismöglichkeiten des konkreten, sondern die des durchschnittlichen Vertragspartners des Verwenders zugrundezulegen sind. Ansatzpunkt für die nicht am Willen des konkreten Vertragspartners zu orientierende Auslegung allgemeiner Geschäftsbedingungen ist in erster Linie der Vertragswortlaut. Ist dieser nicht eindeutig, kommt es für die Auslegung entscheidend darauf an, wie der Vertragstext aus Sicht der typischerweise an Geschäften der in Rede stehenden Art beteiligten Verkehrskreise zu verstehen ist, wobei der Vertragswille verständiger und redlicher Vertragspartner beachtet werden muss. Verbleiben nach Ausschöpfung aller danach in Betracht kommenden Auslegungsmöglichkeiten Zweifel und sind zumindest zwei Auslegungsergebnisse rechtlich vertretbar, kommt die Unklarheitenregel des § 305 c Abs. 2 BGB zur Anwendung. Völlig fernliegende Auslegungsmöglichkeiten, von denen eine Gefährdung des Rechtsverkehrs nicht ernsthaft zu befürchten ist, bleiben dabei außer Betracht (BGH NJW-RR 2014, 215). § 2 Ziff. 3 MV regelt nicht eindeutig, wann die Verlängerungsklausel eingreift. Weder der Wortlaut noch die Interessenlage der Parteien rechtfertigen eine Auslegung ausschließlich in dem vom Kläger (dem Vermieter) verstandenen Sinn. Bereits der Wortlaut der Klausel, wonach nach Ablauf der Mietzeit einschließlich der Optionszeiträume sich das Mietverhältnis jeweils um ein Jahr verlängert, falls es nicht seitens einer Vertragspartei spätestens 12 Monate vor seiner Beendigung gekündigt wird, führt zu keinem eindeutigen Ergebnis. Die Formulierung „nach Ablauf der Mietzeit (einschließlich der Optionszeiträume)“ lässt die Auslegung zu, dass es erst nach Ausübung aller dem Mieter eingeräumte Optionsmöglichkeiten (hier also nach 15 Jahren Vertragslaufzeit) zu einer Verlängerung des Mietvertrages nach Ziff. 3 kommen soll. Aber auch die Meinung, dass schon nach Ablauf der regulären Mietzeit von 5 Jahren sowie jeweils nach Ablauf eines der Optionszeiträume eine Vertragsverlängerung gemäß Ziff. 3 eintritt, wenn keine der Parteien ein Jahr vor Ablauf der Mietzeit die Beendigung erklärt, ist mit dem Wortlaut der Klausel ohne weiteres vereinbar. Lässt der Wortlaut mehrere Auslegungsmöglichkeiten zu, so ist derjenigen der Vorzug zu geben, die zu einem vernünftigen, widerspruchsfreien und den Interessen beider Vertragsparteien gerecht werdenden Ergebnis führt (BGH WM 2006, 1117). Auch aus dem vom Kläger bemühten Gesamtzusammenhang ergibt sich kein eindeutiges Auslegungsergebnis, zumal die Verlängerungsklausel mit der einjährigen Kündigungsfrist (§ 2 Ziff. 3) und die Optionsregelung mit ebenfalls einjähriger Frist (§ 2 Ziff. 2) selbständig nebeneinanderstehen und das Verlängerungsrecht in Ziff. 3 nicht als Unterfall des Optionsrechts in Ziff. 2 geregelt ist. Dafür spricht bereits die Ausgestaltung beider Regelungen in jeweils selbstständigen Absätzen. Aber auch inhaltlich beeinträchtigen sich die Verlängerungsklausel und das Optionsrecht nicht, weil der Mieter das Optionsrecht auch nach Ablauf der Verlängerung uneingeschränkt ausüben kann bzw. dann, wenn der Vermieter „kündigt“, das Optionsrecht ausgeübt werden kann. Da somit nach Ausschöpfung der in Betracht kommenden Auslegungsmöglichkeiten ein nicht behebbare Zweifel verbleibt, geht nach § 305 c Abs. 2 BGB die Unsicherheit zulasten des Klägers, der die Klausel verwendet hat und deshalb die Folgen der fehlenden Eindeutigkeit tragen muss. Das bedeutet, dass der Vertrag nach Ablauf der regulären Laufzeit beendet ist, ohne dass es einer Kündigung bzw. eines Widerspruchs bedurfte.