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BGH, Urteil vom 23.10.2019 – XII ZR 125/18 – “Anmietung von Wohnraum zur Flüchtlingsunterbringung ist Gewerberaummiete“


Mit Urteil vom 23.10.2019 – XII ZR 125/18 – musste der Bundesgerichtshof über die Rechtsnatur eines Vertrages zwischen einer Gemeinde und einem Vermieter entscheiden, mit dem Räume zur Flüchtlingsunterbringung vermietet wurden. Vereinbart wurde, dass beide Vertragsparteien für die Dauer von 5 Jahren das Mietverhältnis nicht ordentlich kündigen können. Die Dauer, für die das Kündigungsrecht ausgeschlossen war, ist handschriftlich in den Vertrag eingetragen worden. Die Vertragsparteien bezeichneten den Vertrag ausdrücklich als „Mietvertrag über Wohnräume“. Aufgrund des Rückgangs der Flüchtlingszahlen fand eine Belegung des Hauses zu keiner Zeit statt. Mit Schreiben vom 17.01.2017 kündigte die Gemeinde daher das Mietverhältnis zum 30.04.2017 und vertrat dabei die Auffassung, die Sondervereinbarung über die Kündigungszeit von 5 Jahren sei entfallen, weil ihr seit Anfang 2016 keine Flüchtlinge mehr zugewiesen worden seien.

Der Bundesgerichtshof entscheidet, dass der Kündigungsausschluss wirksam ist und zwar unabhängig davon, ob es sich um eine Individualabrede oder um eine Formularklausel handelt. Wäre der Kündigungsausschluss zwischen den Mietvertragsparteien individualvertraglich vereinbart worden, steht die Wirksamkeit dieser Klausel außer Frage. Der Bundesgerichtshof hat bereits mehrfach entschieden, dass selbst bei einem Wohnraummietverhältnis die Vertragsparteien die ordentliche Kündigung im Wege der Individualvereinbarung für sehr lange Zeit ausschließen können (so etwa BGH NJW 2013, 2820 für einen bis zu 13-jährigen Kündigungsausschluss). Der vereinbarte Kündigungsausschluss ist aber auch dann wirksam, wenn man davon ausginge, dass es sich um eine allgemeine Geschäftsbedingung handelt. Zwar hat der Bundesgerichtshof für die Wohnraummiete bereits mehrfach entschieden, dass ein formularvertraglich vereinbarter Kündigungsausschluss, der die Dauer von 4 Jahren übersteigt, den Mieter entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligt und daher gemäß § 307 Abs. 1 S. 1 BGB unwirksam ist (BGH NJW 2015, 3780 Rn. 19). Diese Entscheidungen bezogen sich jedoch auf den Bereich der Wohnungsmiete. Ihnen liegt insbesondere die Erwägung zugrunde, dass das Mobilitätserfordernis des Mieters in der heutigen Zeit der Zulässigkeit einer längerfristigen Bindung an ein Mietverhältnis entgegensteht. Diese Rechtsprechung lässt sich jedoch nicht auf den vorliegenden Fall übertragen, weil diese Erwägung nur für Wohnraummietverhältnisse gilt und ein solches hier nicht vorliegt. Das vom Bundesgerichtshof zu beurteilende Vertragsformular war zwar als „Mietvertrag über Wohnräume“ überschrieben. Bei der Entscheidung der Frage, ob ein Mietverhältnis über Wohnraum vorliegt, ist jedoch auf den Zweck abzustellen, den der Mieter mit der Anmietung des Mietobjekts vertragsgemäß verfolgt. Wohnraummiete liegt vor, wenn die Räume dem Mieter vertragsgemäß zur Befriedigung seiner eigenen Wohnbedürfnisse und/oder der Wohnbedürfnisse seiner Familie dienen sollen. Erfolgt die Vermietung zu Zwecken, die keinen unmittelbaren Wohnraumcharakter haben, ist hingegen allgemeines Mietrecht maßgebend (BGH NJW 2014, 2864 Rn. 28). Auf dieser rechtlichen Grundlage handelt es sich bei der Anmietung von Räumen zur Flüchtlingsunterbringung nicht um ein Wohnraummietverhältnis. Der Zweck der Anmietung war nicht darauf gerichtet, selbst die Räume zu Wohnzwecken zu nutzen, zumal eine juristische Person wie eine Gemeinde keinen eigenen Wohnbedarf haben kann. Der vertragsgemäße Gebrauch der Gemeinde bezog sich vielmehr darauf, die angemieteten Räumlichkeiten zugewiesenen Flüchtlingen zu Wohnzwecken überlassen zu dürfen. Das ist aber keine Wohnungsmiete, sondern Gewerberaummiete.

Die Gemeinde war auch nicht unter dem Gesichtspunkt des Wegfalls der Geschäftsgrundlage zur Kündigung des Mietvertrages berechtigt. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs trägt im Verhältnis zwischen Vermieter und Mieter grundsätzlich der Mieter das Verwendungsrisiko bezüglich der Mietsache (BGH NJW 2016, 311 Nr. 33). Folglich fiel das Risiko, das Mietobjekt nicht oder nur eingeschränkt zur Unterbringung von Flüchtlingen nutzen zu können, allein in die Risikosphäre der Gemeinde. Darum hat sich durch den Rückgang der Flüchtlingszahlen nur das Verwendungsrisiko der Gemeinde verwirklicht. Folglich steht der Gemeinde unter dem Gesichtspunkt des Wegfalls der Geschäftsgrundlage auch kein Recht zur Kündigung des Mietvertrags zu.