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OLG Hamm, Urteil vom 11.02.2016 – 18 U 42/15 – “Zugriff auf Bürgschaft/Kaution während eines laufenden Mietverhältnisses


Mit Urteil vom 11.02.2016 – 18 U 42/15 – befasste sich das Oberlandesgericht Hamm mit der Frage, ob im gewerblichen Mietrecht ein Zugriff auf eine Bürgschaft/eine Kaution während eines laufenden Mietverhältnisses zulässig ist. Der Beantwortung dieser Frage hat sich das Oberlandesgericht elegant und rechtlich zutreffend entzogen. Es ging um einen gewerblichen Mietvertrag vom 16.12.2004. Vermietet wurden Räume zum Betrieb eines Backshops. Der Mietvertrag enthielt folgende Wertsicherungsklausel:

  • 5 Wertsicherungsklausel

Ändert sich der vom statistischen Bundesamt ermittelte Preisindex für die Lebenshaltung aller privaten Haushalte in Deutschland auf der Basis des Jahres 2000 = 100 um mehr als fünf Punkte gegenüber dem Indexpunktstand zum Zeitpunkt der Übergabe oder letzten Anpassung der Miete aufgrund einer Preisindexveränderung, ändert sich die Miete in gleichem Maße zum Ersten des Monats, in dem die diese Mietanpassung auslösende Preisindexveränderung eingetreten ist.

Der Schwellenwert von mehr als fünf Punkten war im März 2008 überschritten worden. Erst am 08.02.2012 machte der Vermieter die Mieterhöhungsbeträge für die Zeit von April 2008 bis November 2011 in Höhe von insgesamt EUR 5.085,73 brutto geltend (44 Monate zu jeweils EUR 97,13 nebst Umsatzsteuer). Am 09.02.2012 nahm der Vermieter die Sparkasse Kassel aus einer zu Gunsten der Mieterin gestellten Bürgschaft über EUR 3.700,00 wegen des geltend gemachten Nachzahlungsbetrages in Anspruch. Die Sparkasse leistete Zahlung. Das Mietverhältnis endete am 31.01.2014. Nach Beendigung des Mietverhältnisses klagt die Insolvenzverwalterin der Mieterin auf Zahlung des Betrages von EUR 3.700,00 an die Sparkasse Kassel als Bürgin mit der Begründung, der Vermieter habe die Bürgschaft während des laufenden Mietverhältnisses nicht in Anspruch nehmen dürfen und im Übrigen seien die geltend gemachten Nachzahlungsansprüche unbegründet, weil eine Erhöhung der Miete nach der Wertsicherungsklausel eine vorangegangene Aufforderung des Vermieters an den Mieter bedürfe, die erhöhte Miete zu zahlen. Zumindest seien die Ansprüche auf Zahlung der Erhöhungsbeträge verwirkt.

Das Oberlandesgericht Hamm teilt die Auffassung der Insolvenzverwalterin nicht und weist die Klage ab. Zunächst trat die Mietzinserhöhung „automatisch“ ein, ohne dass eine Aufforderung durch den Vermieter hätte erfolgen müssen. Eine andere Auslegung der vertraglichen Regelung dahin, dass konstitutiv für die Erhöhung das Erhöhungsverlangen sein soll, ist mit dem Wortlaut nicht zu vereinbaren. Im Text des Mietvertrages fehlt ein Hinweis darauf, dass eine besondere Zahlungsaufforderung des Vermieters erforderlich sei. Soweit es im zweiten Teil der Klausel heißt, der Vermieter „wird“ die Änderung dem Mieter mitteilen, begründet dies nicht den konstitutiven Charakter dieser Mitteilung. Daraus ergibt sich allenfalls, dass der Mieter vor Bekanntgabe des Erhöhungsverlangens nicht zu leisten brauchte. Die Mitteilung betrifft also lediglich die Frage der Fälligkeit bzw. der Erfüllbarkeit der Mieterhöhungen. Ansprüche auf Zahlung der Erhöhungsbeträge sind auch nicht verwirkt. Das bloße Zeitmoment reicht nicht aus. An weiteren Umständen, die zu einem gerechtfertigten Vertrauen der Schuldnerin (also der Mieterin) hätten führen können, fehlt es. Von einer Verwirkung kann nicht ausgegangen werden, weil es an dem erforderlichen Vertrauenstatbestand fehlt. Sodann wendet sich das Oberlandesgericht Hamm der Frage zu, ob es zulässig war, dass der Vermieter im laufenden Mietverhältnis auf die Bürgschaft zugriff. Das Oberlandesgericht führt aus, nach herrschender Meinung dürfe sich der Vermieter im laufenden Mietverhältnis nur wegen solcher Forderungen aus einer Sicherheit befriedigen, wegen derer der Mieter sich bereits in Verzug befindet (so Bub/Treier, Handbuch der Geschäfts- und Wohnraummiete, 4. Aufl., Kap. III. A 2036), vor allem aber soll ein Zugriff auf die Kaution nicht wegen bestrittener Forderungen möglich sein (BGH NJW 2014, 2496 für den Zugriff auf eine im Wohnraummietvertrag gestellte Kaution). Das Oberlandesgericht meint, wenn die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Wohnraummiete auch für die Inanspruchnahme einer Bürgschaft im Rahmen eines Geschäftsraummietverhältnisses gilt, dann lagen die vertraglichen Voraussetzungen für eine Inanspruchnahme der Bürgschaft am 09.02.2012 (als der Vermieter die Bürgin zur Zahlung aufforderte) nicht vor, denn zu diesem Zeitpunkt waren die vom Vermieter geltend gemachten Ansprüche strittig und darüber hinaus befand sich die Mieterin am 09.02.2012 auch nicht in Verzug. Ein solchermaßen vertragswidriges Verhalten des Vermieters könne zu einem Anspruch der Mieterin führen, von solchermaßen vorzeitig ausgelösten Regressansprüchen des in Anspruch genommenen Bürgen freigestellt zu werden und wenn wie hier eine Inanspruchnahme des Bürgen bereits erfolgt sei, werde dies auf einen Zahlungsanspruch des Mieters in betreffender Höhe hinauslaufen und zwar gegebenenfalls nur Zug um Zug gegen Neugestellung der vertraglich vorgesehenen Bürgschaft, denn der Anspruch des Vermieters auf eine solche Sicherheit sei auch nicht mit deren vertragswidriger Inanspruchnahme entfallen. Wie einleitend ausgeführt entzieht sich das Oberlandesgericht Hamm der Beantwortung dieser Rechtsfragen mit der zutreffenden Begründung, hierauf komme es im zu entscheidenden Fall nicht an, weil das Mietverhältnis zwischenzeitlich beendet ist und der Vermieter nach Beendigung des Mietverhältnisses die Sicherheit auch wegen streitiger Ansprüche in Anspruch nehmen kann (so etwa Palandt, BGB, vor § 535 Rn. 123). Mit Ablauf des 31.01.2014, also der Beendigung des Mietverhältnisses, sind damit etwaige Ansprüche des Mieters wegen einer bis dato vorzeitigen Inanspruchnahme der Bürgschaft seitens des Vermieters entfallen.