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Widersprüche im Mietvertrag können zur ordentlichen Kündbarkeit eines langfristigen Mietvertrages führen
Zu den spannendsten Themen des gewerblichen Mietrechts gehört die gesetzliche Schriftform nach § 550 Satz 1 BGB. Die Rechtsprechung muss sich häufig mit Fallkonstellationen befassen, in denen eine Mietvertragspartei einen befristeten Mietvertrag mit der Begründung ordentlich kündigt, die gesetzliche Schriftform sei nicht gewahrt mit der Rechtsfolge, dass das Mietverhältnis als auf unbestimmte Zeit ab-geschlossen gilt und mit kurzer gesetzlicher Frist kündbar ist.
Die Sachverhalte, die zu einem Schriftformmangel führen können, sind unterschiedlichster Art. Einen interessanten Fall behandelte das Oberlandesgericht Naumburg mit Urteil vom 7.6.2011 – 9 U 213/10. Die Mietvertragsparteien hatten am 11.1.1996 einen Mietvertrag für die Dauer von 15 Jahren, nämlich bis 31.3.2011, geschlossen. Im Mietvertrag wurde auf zwei Anlagen Bezug genommen und als Vertragsbe-standteile ausgewiesen. In den beiden Anlagen wurde wiederum auf den Mietvertrag verwiesen. Der Mietvertrag wurde am 11.1.1996 unterschrieben. Die Mieterin unterzeichnete die Anlage 1 ebenfalls am 11.1.1996. Strittig war, ob ein Vertreter der Vermieterin die Anlage 1 am Tag des Mietvertragsab-schlusses, also am 11.1.1996 unterzeichnete oder ob die Unterschriftsleistung erst zu einem späteren Zeitpunkt erfolgte. Das OLG Naumburg führte aus, hierauf komme es nicht an. Da die Mietvertragspar-teien in der Vertragsurkunde, die mit den Unterschriften der Mieterin sowie eines Bevollmächtigten der Vermieterin versehen war, die Anlagen 1 und 2 zu Vertragsbestandteilen erklärten und die Anlagen wie-derum den Mietvertrag vom 11.1.1996 in Bezug nahmen, hätte sich aus einer verspäteten Unterzeichnung der Anlage 1 durch die Vermieterin ein Verstoß gegen das Schriftformerfordernis nach § 550 BGB nicht begründen lassen. Die Vermieterin wurde bei Unterzeichnung des Mietvertrages durch eine GmbH vertreten, deren Ge-schäftsführer den Mietvertrag und die Anlagen unterzeichnete. Die Mieterin machte vergeblich geltend, die Schriftform sei nicht gewahrt, weil die GmbH zur Vertretung der Vermieterin nicht berechtigt gewesen sei und weil der Geschäftsführer der GmbH ohne einen Funktionszusatz unterzeichnete. Das OLG Naumburg legt zutreffend dar, die Schriftform sei gewahrt, da die Vermieterin ausweislich des Mietertra-ges bei Abschluss des Rechtsgeschäfts durch die GmbH vertreten wurde. Deren Geschäftsführer brauchte den durch ihn auf den Vertragsurkunden geleisteten Unterschriften jeweils keinen Funktionszu-satz hinzufügen, weil dessen Stellung als mit der Vertretung der Vermieterin beauftragten GmbH im Handelsregister dokumentiert wurde. Die Frage, ob die GmbH tatsächlich zur Vertretung der Vermieterin berechtigt war, sei für die Beurteilung der Einhaltung der Schriftform ohne Bedeutung.
Bei dem Mietvertrag vom 11.1.1996 handelte es sich um einen Formularvertrag. Bestandteil dieses Formularvertrages waren neben der Haupturkunde auch die Anlagen 1 und 2, denn sämtliche Schriftstü-cke enthielten abgesehen von ausfüllungsbedürftigen Leerräumen durch die Vermieterin bereits vorfor-mulierte Regelungen, die geeignet waren, als Grundlage für Verträge zwischen der Vermieterin und wei-teren potenziellen Vertragspartnern zu dienen.
In der Haupturkunde und in den Anlagen, die Vertragsbestandteil wurden, waren widersprüchliche Rege-lungen zu Laufzeit, Kündigung und Optionsausübung getroffen, ohne dass eine Konfliktregelung für den Vorrang der einen oder anderen Regelung existierte. Während das Mietverhältnis nach § 12 des Miet-vertrages am 31.3.2011 endete und sich nur für den Fall um fünf Jahre verlängerte, dass die Mieterin spätestens zwölf Monate vor Vertragsablauf das ihr eingeräumte Optionsrecht geltend gemacht hätte, trat nach Ziff. 2 der Anlage 1 zum Mietvertrag eine Verlängerung des Mietverhältnisses um jeweils weite-re fünf Jahre ein, falls es nicht spätestens zwölf Monate vor Ablauf der Mietzeit durch die Mieterin ge-kündigt würde. Darüber hinaus enthält Ziff. 2 der Anlage 1 die Regelung, dass die Kündigungsfrist „an-sonsten“ jeweils zwölf Monate für die Mieterin und die Vermieterin betrage.
Weder aus der Haupturkunde noch aus der Anlage 1 zum Mietvertrag geht hervor, welche der beiden Regelungen hinsichtlich der Mietzeit und der Ausübung des der Mieterin eingeräumten Optionsrechtes gelten oder welche der beiden Regelungen im Falle von Widersprüchen der Vorrang gebühren sollte. Die in der Anlage 1 zum Mietervertrag enthaltenen Regelungen sollten ausweislich des betreffenden Schriftstückes die mietvertraglichen Vereinbarungen ergänzen. Ob sie diesen vorgehen oder in Zweifels-fällen hinter dieselben zurücktreten sollten, geht weder aus dem Mietvertrag noch aus dessen Anlage 1 hervor.
Das Oberlandesgericht führt aus, dass die mietervertraglichen Vereinbarungen der Parteien dahin aus-gelegt werden können, dass das Mietverhältnis auf 15 Jahre fest abgeschlossen war und sich nur ver-längern sollte, falls die Mieterin das ihr eingeräumte Optionsrecht ausüben würde. In Betracht käme aber auch eine Auslegung dahin, dass das Mietverhältnis auf insgesamt 30 Jahre fest abgeschlossen war und durch die Mieterin jeweils zum Ablauf des 15., 20. und 25. Jahres kündbar war. Darüber hinaus biete die in Ziff. 2 der dem Mietvertrag beigefügten Anlage 1 dokumentierte Vereinbarung, nach der das Mietverhältnis „ansonsten“ für beide Parteien mit einer Frist von zwölf Monaten gekündigt werden konnte, Raum für eine Auslegung dahin, dass das Mietverhältnis ohne Rücksicht aus feste Laufzeiten jederzeit unter Einhaltung einer Frist von zwölf Monaten hätte gekündigt werden können.
Das OLG Naumburg führt aus, dass während der Vertragsverhandlungen möglicherweise zu Tage ge-tretene Umstände, die in der Vertragsurkunde keinen Ausdruck gefunden haben, bei der Auslegung nicht berücksichtigt werden können. Da sich aus dem Mietervertrag und dessen Anlage 1 nicht ableiten lässt, welcher Vereinbarung die Parteien den Vorzug geben wollten, ist eine schriftlich verkörperte Wil-lensübereinstimmung, wie diese für eine der Schriftform genügende Vereinbarung erforderlich wäre, nicht erklärt worden.
Da die Parteien hinsichtlich der Mietzeit und der Ausübung des der Klägerin eingeräumten Optionsrech-tes widersprüchliche mietvertragliche Regelungen getroffen haben, wurde das Schriftformerfordernis des § 550 BGB mit dem Abschluss des vom 11.1.1996 datierenden Mietvertrages nicht gewahrt, weil von der Schriftform nicht alle wesentlichen Vertragsbedingungen erfasst waren.
Abschließend führt das Oberlandesgericht Naumburg noch aus, eine abweichende Beurteilung hinsich-tlich der Wahrung der Schriftform würde sich auch für den Fall, dass die Parteien die in der Anlage 1 zum Mietvertrag enthaltenen Regelungen über die Mietzeit und die Ausübung des Optionsrechtes der Mieterin individuell ausgehandelt hätten, nicht rechtfertigen. Mit Rücksicht darauf, dass der Charakter der in der Anlage 1 zum Mietvertrag ausgewiesenen vertraglichen Abreden als Individualvereinbarungen nicht hervorgeht, würde die Urkunde dem mit der Regelung des § 550 BGB verfolgten Zweck, einem künftigen Erwerber des Grundbesitzes im Hinblick auf die Regelung des § 566 BGB (Kauf bricht nicht Miete: Der Grundstückbewerber tritt also kraft Gesetztes in den Mietervertrag ein) vollständig über die auf ihn übergehenden Rechte und Pflichten aus dem bestehenden Mietvertrag zu unterrichten, nicht gerecht. Das Schriftformerfordernis des § 550 BGB wäre somit auch in diesem Fall nicht gewahrt.
Die unterbliebene Wahrung der Schriftform hatte zur Folge, dass das Mietverhältnis als auf unbestimmte Zeit abgeschlossen galt. Die Mieterin hatte das Mietverhältnis mit Schreiben vom 8.4.2010 ordentlich gekündigt. Das OLG Naumburg stellte fest, dass das Mietverhältnis unter Einhaltung der in § 580 a Abs. 2 BGB normierten gesetzlichen Frist ordentlich zum 31.12.2010 gekündigt werden konnte.