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OLG Naumburg, Urteil vom 16.8.2011 – 9 U 16/11 – „Betriebskostenrecht: Gefahren bei einem Vermieterwechsel“


Kommt es in einem Mietverhältnis zu einem Vermieterwechsel aufgrund Gesetzes durch Verkauf der Miets-ache („Kauf bricht nicht Miete“) oder aufgrund eines Rechtsgeschäfts (einer Übertragungsvereinbarung), dann muss der „alte“ Vermieter innerhalb der Abrechnungsfrist über die Nebenkosten abrechnen. Anderen-falls kann der Mieter die geleisteten Vorauszahlungen zurückfordern.
Welche Gefahren mit einem Vermieterwechsel im Hinblick auf die Betriebskostenabrechnung verbunden sind, zeigt ein Urteil des Oberlandesgericht des Landes Sachsen-Anhalt vom 16.8.2011 (9 U 16/11), bei dem der „alte“ Vermieter nur deshalb Glück hatte, weil sich der Mieter ungeschickt verteidigte.

In dem Urteil des OLG Naumburg (dem Oberlandesgericht des Landes Sachsen-Anhalt) ging es um folgen-den Sachverhalt:
Die Mieterin schloss mit der E. GmbH & Co. KG am 26.1.2002 einen Gewerbemietvertrag zum Betrieb eines Sonderpostenmarktes. Danach war der Vermieter verpflichtet, jeweils am 21.5. eines jeden Folgejahres die Jahresabrechnung über die Nebenkosten vorzunehmen. Die E. GmbH & Co. KG übertrug das streitge-genständliche Gewerbegrundstück zum Jahresende 2009 an die I. GmbH & Co. KG. Ausweislich des nota-riellen Kaufvertrages sollte der wirtschaftliche Übergang mit der vollständigen Hinterlegung des Restkauf-preises erfolgen. Dies war am 16.12.2009 vorgenommen worden. Die I. GmbH & Co. KG wurde am 26.3.2010 als Eigentümerin in das Grundbuch eingetragen. Die Mieterin hat die Mieten für die Monate No-vember und Dezember 2009 nicht gezahlt. Die E. GmbH & Co. KG erhebt deshalb Klage auf Zahlung der Mietrückstände bis zum 16.12.2009 in Höhe von insgesamt knapp EUR 20.000,00. Mit Schreiben vom 4.3.2010 forderte die Mieterin die E. auf, die noch ausstehenden Betriebskostenabrechnungen für die Jahre 2008 und 2009 vorzulegen. Zudem hat die Mieterin „aufgrund der zu erwartenden Erstattungen aus diesen Zeiträumen“ die vorläufige Aufrechnung mit den Mietforderungen erklärt. Am 1.9.2010 erstelle die E. die Betriebskostenabrechnungen für die Jahre 2008 und 2009, die eine Nachforderung der E. ergaben. Die Nachzahlung wurde von der Mieterin ausgeglichen. Mit Klageerwiderungsschriftsatz vom 12.10.2010 erklärte die Mieterin die Aufrechnung mit dem Rückerstattungsanspruch sämtlicher Vorauszahlungen für die Jahre 2008 und 2009.
Das Landgericht Magdeburg hat die Klage abgewiesen. Zur Begründung führte das Landgericht aus, mit Schreiben vom 4.3.2010 bzw. mit Schriftsatz vom 12.10.2010 habe die Mieterin wirksam aufgerechnet, so dass die Klageforderung erloschen sei. Der Mieterin stehe ein vertraglicher Anspruch auf Rückerstattung geleisteter Vorauszahlungen auf die Betriebskosten für die Abrechnungsjahre 2008 und 2009 zu. Da die E. nicht rechtzeitig abgerechnet habe, sei die E. verpflichtet gewesen, die Vorauszahlungen zurückzuerstatten. Die Aufrechnungswirkungen würden durch die Abrechnung im September 2009 nicht berührt. Die E. hätte den sich aus der Abrechnung ergebenden Salto geltend machen müssen. Die Mietzinsansprüche für die Monate November und Dezember (für die Zeit bis zum 16.12.) 2009 seien hingegen erloschen.
Das Oberlandesgericht ist zwar anderer Auffassung und es gibt der Klage statt, aber nur deshalb, weil die Anwälte der Mieterin den Kunstfehler begangen hatten, mit Schreiben vom 4.3.2010 mit einem „erwarteten Erstattungsanspruch“ aufzurechnen. Wäre am 4.3.2010 mit dem Anspruch auf Rückzahlung der im Jahre 2008 geleisteten Vorauszahlungen und nach dem 31.5.2010 mit dem Anspruch auf Rückzahlung der im Jahre 2009 geleisteten Vorauszahlungen aufgerechnet worden, hätte das OLG die Klage abgewiesen.
Das OLG führt zunächst aus, die Aufrechnungserklärung im Schreiben vom 4.3.2010 beziehe sich nach Wortlaut und Sinnzusammenhang ausschließlich auf die nach Abrechnung der angefallenen Nebenkosten für die Jahre 2008 und 2009 nicht verbrauchten Vorschusszahlungen. Aus dem Formulierungszusammen-hang ergibt sich die Abhängigkeit der zur Aufrechnung gestellten Forderung von dem Ergebnis der Neben-kostenabrechnungen. Das im Ergebnis der Abrechnung offensichtlich erwartete Guthaben sollte Gegens-tand der Aufrechnung sein. Eine Bedeutung dahingehend, dass die Aufrechnung auch mit dem Anspruch auf Rückzahlung sämtlicher für die Jahre 2008 und 2009 geleisteter Betriebskostenvorschüsse erklärt wer-den sollte, könne dem Schreiben vom 4.3.2010 nicht beigelegt werden. Eine Aufrechnung mit einem erwar-teten Guthaben sei aber rechtlich nicht zulässig, da die Forderung, mit der aufgerechnet werden soll (das „erwartete Guthaben“) noch nicht fällig ist. Das OLG führt weiter aus, dass auch die in der Klageerwiderung vom 12.10.2010 enthaltene Aufrechnungserklärung betreffend den Rückzahlungsanspruch geleisteter Be-triebskostenvorauszahlungen für die Jahre 2008 und 2009 den Klageanspruch nicht zu Fall bringen könne, da zu diesem Zeitpunkt bereits über die Betriebskosten abgerechnet war. Hätte die Mieterin allerdings vor der Betriebskostenabrechnung aufgerechnet, hätte die Aufrechnungserklärung Erfolg gehabt und die Klage wäre abzuweisen gewesen.
Das OLG Naumburg führt aus, dass ein Mieter bei einem beendeten Mietverhältnis grundsätzlich das Recht hat, die Betriebskostenvorauszahlungen insgesamt zurückzuverlangen, wenn der Vermieter für einen be-stimmten Abrechnungszeitraum die geschuldete Abrechnung nicht innerhalb angemessener Frist erteilt. Insbesondere ist der Mieter nicht gezwungen, den mit der Abrechnung säumigen Vermieter auf Erteilung der Abrechnung zu verklagen. Der Rückzahlungsanspruch entsteht hingegen nicht bei laufenden Mietver-hältnissen, weil dem Mieter bis zur ordnungsgemäßen Abrechnung des Vermieters ein Zurückbehaltung-srecht hinsichtlich der laufenden Nebenkostenvorauszahlungen zusteht und er bereits durch dieses Druck-mittel hinreichend geschützt ist. Im vorliegenden Fall ist jedoch die Konstellation nach Eigentumswechsel den Fällen beendeter Mietverhältnisse gleichzustellen. Nach überwiegender Meinung in Rechtsprechung und Literatur sind die Nebenkosten für abgeschlossene Abrechnungsperioden ungeachtet eines späteren Eigentumsübergangs allein zwischen den bisherigen Mietvertragsparteien abzurechnen und etwaige Nach-zahlungen oder Erstattungen überzahlter Beträge nur zwischen diesen Parteien abzuwickeln. Hierdurch soll Rechtsklarheit geschaffen und das ungereimte Ergebnis vermieden werden, dass eine vor dem Eigentums-wechsel fällig gewordene Abrechnungspflicht beim bisherigen Vermieter verbleibt, während Nachzahlungen und Erstattungen, deren Vorbereitung und Berechnung die Abrechnung dient, dem Erwerber zustehen bzw. von diesem zu erbringen sein sollen. Maßgeblicher Zeitpunkt ist hierbei die Eintragung des Erwerbers als neuen Eigentümer in das Grundbuch, also der 26.3.2010, denn dies ist der für den Vermieterwechsel nach § 566 BGB maßgebliche Stichtag. Die bloße Vereinbarung zwischen den Kaufvertragsparteien über den Eintritt des Erwerbers in das Mietverhältnis (also über den wirtschaftlichen Übergang) lässt die Vermieters-tellung des Veräußerers unberührt. Da die Mieterin gegenüber dem neuen Vermieter kein Zurückbehaltung-srecht nach § 273 BGB hinsichtlich der laufenden Vorauszahlungen hat, wenn der Veräußerer nicht ab-rechnet, ist der Mieterin als Druckmittel die Möglichkeit zuzugestehen, die Abrechnung durch die Rückforde-rung der gesamten Vorschusszahlungen zu erzwingen. Dieser Rückzahlungsanspruch besteht aber nur bis zum Zugang einer formell ordnungsgemäßen Abrechnung. Diese erfolgte im September 2010 und somit vor der mit Klageerwiderung vom 12.10.2010 erklärten Aufrechnung. Demnach lagen zum Zeitpunkt der Auf-rechnung die Rückforderungsvoraussetzungen nicht mehr vor. Die Aufrechnung mit einem Rückzahlungs-anspruch ging daher ins Leere. Mit der zwischenzeitlich erfolgten Abrechnung hat die E. GmbH & Co. KG den Nachweis erbracht, dass die Vorschüsse für den betreffenden Zeitraum angefallen und vom Mieter zu erstattende Kosten verbraucht sind. Deshalb war der Klage stattzugeben.
Hätte sich die Mieterin lege artis verteidigt und vor Zugang der Abrechnung mit Rückzahlungsansprüchen aufgerechnet, wäre die Klage abgewiesen worden. Die E. hätte dann die Möglichkeit gehabt, den Saldo aus den Nebenkostenabrechnungen im Wege einer Klageänderung geltend zu machen. Die Kosten der Klage auf Zahlung der rückständigen Mieten hätte die E. aber auf alle Fälle tragen müssen. Hätte die Mieterin nach einer Klageänderung den Anspruch auf Zahlung der Nachforderungen aus den beiden Betriebskos-tenabrechnungen anerkannt und Zahlung geleistet, hätte die E. die gesamten Kosten des Rechtsstreits tragen müssen.
Der Fall ist aber nicht deshalb interessant, weil die Mieterin anwaltlich schlecht vertreten war, sondern allein aus dem Grund, weil die Entscheidung die großen Gefahren aufzeigt, die hinsichtlich der Betriebskostenab-rechnung mit einem Vermieterwechsel verbunden sind. Der Vermieter muss innerhalb der vertraglich ver-einbarten Abrechnungsfrist oder innerhalb der angemessenen Frist abrechnen, falls es an einer vertragli-chen Vereinbarung fehlt. Ohne im Mietvertrag geregelte Abrechnungsfrist ist im Regelfall davon auszuge-hen, dass die Abrechnung binnen Jahresfrist erfolgen muss. Geschieht dies nicht, dann hat der Mieter bei einem Vermieterwechsel das Recht, die Vorauszahlungen hinsichtlich noch nicht abgerechneter Zeiträume zurückzuverlangen.