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KG Berlin, Urteil vom 23.10.2014 – 8 U 178/14 – “Versorgungssperre durch den Vermieter


Mit Urteil vom 23.10.2014 – 8 U 178/14 – musste sich das Kammergericht Berlin mit einer interessanten Fallvariante der Problematik einer Versorgungssperre durch den Vermieter befassen.

Bis zum Urteil des Bundesgerichtshofs vom 06.05.2009 – XII ZR 137/07 – war es herrschende Auffassung in Rechtsprechung und Literatur, dass auch der Gewerberaumvermieter nach Beendigung eines Mietverhältnisses nicht berechtigt ist, die Versorgung der Mieträume mit Wärme, Energie und Wasser zu unterbrechen. Dies wurde damit begründet, dass die Einstellung dieser Leistungen eine besitzrechtlich verbotene Eigenmacht sei. Der Bundesgerichtshof teilte diese Auffassung im Urteil vom 06.05.2009 nicht, er erklärte den Besitzschutz auf die Einstellung von Versorgungsleistungen für nicht anwendbar. Im vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall ging es darum, dass der Mieter eines Cafés zunächst die Nebenkostenvorauszahlungen und später auch die Zahlung der Grundmiete einstellte. Nachdem der Mieter mit acht Monatsmieten im Rückstand war, kündigte der Vermieter fristlos und klagte auf Räumung. Der Vermieter drohte dem Mieter mehrfach an, die Versorgung der Mieträume mit Heizenergie zu unterbrechen. Dagegen hat der Mieter eine vorbeugende Unterlassungsklage erhoben, mit der er vor dem Bundesgerichtshof scheiterte. Der Bundesgerichtshof führte aus, die Besonderheit des Besitzschutzes bestehe darin, dass er – zur vorläufigen Befriedigung – auch einem unrechtmäßigen Besitzer zustehe. Er besteht in der Abwehr von Störungen und greift grundsätzlich auch dann ein, wenn der Mietvertrag beendet und der Mieter zur Räumung verpflichtet ist. Der Bundesgerichtshof hob im Urteil vom 06.05.2009 allerdings hervor, dass der Besitz als rein tatsächliche Sachherrschaft keinen Anspruch auf eine bestimmte Nutzung der Sache verschafft, sondern nur Abwehransprüche gegen Eingriffe von außen. Ein solcher Eingriff liege nicht vor, wenn lediglich Leistungen eingestellt würden. Denn der Besitz sei nur gegen beeinträchtigende Eingriffe geschützt, verleihe aber kein Recht auf eine fortgesetzte Belieferung mit Versorgungsgütern. Damit sei die Sachlage vergleichbar mit der Einstellung der Leistungen durch Versorgungsunternehmen, wenn der Mieter die Leistungen unmittelbar von diesen beziehe. Die Versorgungssperre durch die Energieversorger werde nach der weit überwiegenden Auffassung zu Recht ebenfalls nicht als Besitzverletzung angesehen. Ein Anspruch des Mieters auf Fortsetzung von Versorgungsleistungen kann sich nach dem BGH nur aus dem Mietvertrag ergeben oder – nach Beendigung des Mietverhältnisses – im Einzelfall nach Treu und Glauben als so genannter nachvertraglicher Pflicht. Der Bundesgerichtshof hat beispielhaft einzelne Fallgestaltungen angeführt, in denen eine Pflicht des Vermieters auf weitere Belieferung bestehen kann. Solche nachvertraglichen Pflichten können sich im Einzelfall aus der Eigenart des – beendeten – Mietvertrags (z.B. Wohnraummiete) oder den besonderen Belangen des Mieters (z.B. Gesundheitsgefährdung oder etwa durch eine Versorgungssperre drohender, besonders hoher Schaden) ergeben. Eine trotz beendeten Vertrags aus Treu und Glauben nach § 242 BGB herzuleitende Verpflichtung lasse sich nur rechtfertigen, wenn sie auf der anderen Seite den berechtigten Interessen des Vermieters nicht in einer Weise zuwiderlaufen, die ihm die weitere Leistung unzumutbar machen. Eine Grenze für die Pflicht zur weiteren Belieferung sei jedenfalls aber dann erreicht, wenn der Vermieter hierfür kein Entgelt erhalte und ihm durch die weitere Belieferung ein Schaden droht.

Das Urteil des Kammergerichts Berlin vom 23.10.2014 betrifft einen Sachverhalt, in dem das Kammergericht annahm, dass dem Mieter ein Anspruch auf Fortsetzung von Versorgungsleistungen nach Treu und Glauben zustehe. Es ging darum, dass der Mieter nach einer Formularklausel im Mietvertrag verpflichtet war, eine Mietkaution zu stellen. Geregelt wurde, dass das Zustandekommen des Mietvertrages bis zur Zahlung der Kaution aufgeschoben sei. § 23 Abs. 1 des Mietvertrages lautet wie folgt:

Die Parteien sind sich darüber einig, dass das Zustandekommen des Mietvertrages aufgeschoben bleibt, bis zur vollständigen Zahlung der vereinbarten Kaution. In dieser Zeit schuldet der Mieter Nutzungsentschädigung und Erstattung von Bewirtschaftungskosten in Höhe der vertraglichen Abreden.

Der Mieter zahlt die Kaution nicht. Der Vermieter übergibt dem Mieter die Mietsache und verlangt Zahlung der vertraglich vereinbarten Miete sowie der Kaution. Nachdem die Kaution nicht gezahlt wurde, erklärt der Vermieter die fristlose Kündigung. Er stellt ferner die Versorgung mit Wärme, Energie und Wasser ein. Der Mieter, der in den Mieträumen eine Automobilwerkstatt betreibt, beantragt den Erlass einer einstweiligen Verfügung des Inhalts, dass der Vermieter verpflichtet wird, die Lieferung der elektrischen Energie wieder herzustellen und begründet dies damit, dass er ohne Strom keinerlei Geräte in seiner Werkstatt bedienen kann. Das Kammergericht Berlin gibt dem Mieter Recht. Es führt aus, es könne dahingestellt bleiben, ob § 23 Abs. 1 des Mietvertrages überhaupt wirksam ist, oder ob nicht etwa eine unangemessene Benachteiligung im Sinne von § 307 BGB vorliegt. Selbst bei Wirksamkeit dieser Regelung kann diese jedenfalls nicht in der Weise ausgelegt werden, dass die Pflichten des Vermieters bis zur vollständigen Zahlung der Kaution aufgeschoben seien. Der Mieter kann nur dann zur Zahlung von Nutzungsentschädigung und Erstattung von Bewirtschaftungskosten verpflichtet sein, wenn der Vermieter im Gegenzug dem Mieter entsprechend § 535 Abs. 1 S. 2 BGB die Mietsache in einem zum vertragsgemäßen Gebrauch geeigneten Zustand überlässt und sie während der Nutzungsdauer in diesem Zustand erhält. Der vertragsgemäße Gebrauch erfordert jedoch die Lieferung von elektrischer Energie. Unabhängig davon ist nach Meinung des Kammergerichts das Verhalten der Parteien so zu verstehen, dass beide vom Zustandekommen eines Mietvertrages ausgegangen sind. Es ist jedenfalls von einem konkludent zustande gekommenen Mietverhältnis auszugehen. Der Vermieter hat die Mietsache dem Mieter entsprechend den vertraglichen Vereinbarungen übergeben und verlangt von dem Mieter im Gegenzug Zahlung der Miete und der Kaution. Keine der Parteien hat sich zu irgendeinem Zeitpunkt darauf berufen, dass kein Mietverhältnis zu Stande gekommen sei. Somit ist der Mietvertrag zumindest durch schlüssiges Verhalten geschlossen worden.

Das Kammergericht nimmt an, dass der Vermieter die Lieferung mit Energie nicht mit der Begründung verweigern könne, ihm stünde ein Zurückbehaltungsrecht zu, weil die Kaution nicht bezahlt worden sei. Nach Meinung des Kammergerichts verkennt der Vermieter, dass er nicht berechtigt ist, zur Durchsetzung seiner Ansprüche – wie hier die Zahlung der Kaution – seine Leistung aus der Verpflichtung zur Versorgung mit Wärme, Energie und Wasser zurückzuhalten, denn es handelt sich um eine nicht nachholbare Leistung. Nach Ansicht des Kammergerichts kann es auch offen bleiben, ob das Mietverhältnis wirksam fristlos gekündigt wurde und daher beendet ist. Zwar endet mit der Beendigung des Mietvertrages auch die Pflicht des Vermieters zur Gebrauchsüberlassung gemäß § 535 Abs. 1 BGB, aber selbst wenn der Vermieter aufgrund Beendigung des Mietverhältnisses nicht mehr zur Gebrauchsüberlassung verpflichtet sein sollte, so wäre er gleichwohl gegenüber dem Mieter nach Treu und Glauben zur Erbringung der Versorgungsleistungen, insbesondere der Lieferung von elektrischer Energie verpflichtet. Diese nachvertragliche Verpflichtung ergibt sich im vorliegenden Fall aus den besonderen Belangen des Mieters, der entsprechend der vertraglichen Vereinbarung in den Mieträumen eine Automobilwerkstatt betreibt. Da eine Automobilwerkstatt ohne Strom nicht betrieben werden kann, droht dem Mieter bei fehlender Stromversorgung ein besonders hoher Schaden. Der Mieter hat durch Vorlage einer eidesstattlichen Versicherung glaubhaft gemacht, dass er ohne Strom keinerlei Geräte in seiner Werkstatt bedienen kann. Dazu gehören Hebebühnen, Schlagschrauber, sonstige Instrumente und strombetriebene Apparate wie etwa Abgasprüfungssystem, strombetriebene Werkzeuge, Batterieprüfgeräte, Luftdruckgeräte, Kompressionsdruckprüfmaschinen, Lichtprüfanlagen, Ölpumpen, jegliche Lampen zur Ausleuchtung von Fahrzeugen und Motorräumen und dass er durch die Einstellung der Stromlieferung in seiner Existenz bedroht ist. Eine über die Vertragsbeendigung hinausgehende Versorgungsverpflichtung würde zwar allein den Interessen des Mieters dienen. Die trotz beendeten Vertrages aus Treu und Glauben nach § 242 BGB herzuleitende Verpflichtung zur Stromversorgung ist hier jedoch dadurch gerechtfertigt, dass sie den berechtigten Interessen des Vermieters nicht in einer Weise zuwider läuft, die ihm die weitere Leistung unzumutbar macht. Bei der erforderlichen Interessenabwägung ist das Interesse des Mieters an der Aufrechterhaltung der Stromversorgung gegenüber dem Interesse des Vermieters an der Einstellung der Leistung von elektrischer Energie abzuwägen. Im Rahmen dieser Interessenabwägung ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs insbesondere auch darauf abzustellen, ob dem Vermieter durch die Aufrechterhaltung der Versorgungsleistung trotz Vertragsbeendigung ein – weiter – Schaden entsteht. Hier entsteht dem Vermieter durch die Aufrechterhaltung der Stromversorgung kein – weiterer – Schaden, da der Mieter glaubhaft gemacht hat, dass er aktuell keinen Mietrückstand hat und weiterhin die Miete und die Stromkosten zahlt. Hinzu kam, dass auch nicht ersichtlich war, dass bei der noch ausstehenden Betriebskostenabrechnung eine Nachzahlung droht und dass der Mieter seiner Verpflichtung zur Zahlung eines eventuellen Nachzahlungsbetrages nicht nachkommen wird.

Der Vermieter hatte auch keinen Erfolg mit seiner Argumentation, die einstweilige Verfügung dürfe wegen fehlender Dringlichkeit nicht erlassen werden, weil der Mieter die erforderliche Stromversorgung dadurch herstellen könne, dass er ein Diesel-Aggregat betreibe. Zwar hat der Mieter ein derartiges Diesel-Aggregat in Betrieb genommen. Da dieses aber einen Geräuschpegel von etwa 70 dB verursacht, kann der Mieter nach Auffassung des Kammergerichts nicht auf diesen Notbehelf verwiesen werden, weil das nicht zumutbar sei.