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BGH, Urteil vom 29.06.2016 – IV ZR 474/15– “Pflichtteilsergänzung bei Schenkungen unter Vorbehalt eines Wohnungsrechts


Abkömmlingen, Eltern und Ehegatten kann, wenn sie vom Erblasser enterbt wurden, ein Pflichtteilsanspruch zustehen. Hat der Erblasser sein Vermögen vor seinem Tod verschenkt kann der Pflichtteilsberechtigte zudem den Pflichtteilergänzungsanspruch nach § 2325 BGB geltend machen. Sind seit der Schenkung mehr als 10 Jahre vergangen, ist dies allerdings bei der Pflichtteilsergänzung nicht mehr zu berücksichtigen. Die Frage, wann diese Frist beginnt, ist immer wieder Gegenstand von Rechtsstreitigkeiten. Der Bundesgerichtshof hat mit Urteil vom 09.06.2016 (IV ZR 474/15) über folgenden Sachverhalt entschieden:

Der Kläger machte als Pflichtteilsberechtigter nach dem Tod seines Vaters Ansprüche gegenüber seiner Mutter, die testamentarische Alleinerbin ist, geltend und verlangte Pflichtteilsergänzung im Hinblick auf die Übertragung eines Grundvermögens auf seinen Bruder. Bei der Übertragung behielten sich die Eltern ein Wohnungsrecht an den Räumlichkeiten im Erdgeschoss vor, das auch die Mitbenutzung des Gartens, der Nebenräume sowie aller Leitungen und Anlagen zur Versorgung des Anwesens mit Wasser, Wärme, Energie und Entsorgung umfasste. Außerdem wurde vereinbart, dass die Eltern die Garage weiterhin unentgeltlich nutzen konnten und der übernehmende Sohn das Grundstück zu ihren Lebzeiten weder veräußern noch darauf ohne ihre Zustimmung Um- oder Ausbaumaßnahmen vornehmen durfte. Der Eigentumserwerb wurde am 22.11.1994 eingetragen.

Die Klage auf Pflichtteilsergänzung ist in den Vorinstanzen abgewiesen worden und hatte auch vor dem BGH keinen Erfolg. Dabei stellt der Bundesgerichtshof zunächst klar, dass er an seiner Grundsatzentscheidung vom 27.04.1994 (IV ZR 132/93), wonach eine Leistung im Sinne des § 2325 Abs. 3 BGB erst dann vorliegt, wenn der Erblasser nicht nur seine Rechtsstellung als Eigentümer endgültig aufgibt, sondern auch darauf verzichtet, den verschenkten Gegenstand, sei es aufgrund vorbehaltener dinglicher Rechte oder durch Vereinbarung schuldrechtlicher Ansprüche im Wesentlichen weiterhin zu nutzen, ausdrücklich festhält. Es stellt sich allerdings die Frage, ob auch vorbehaltene Wohnrechte einem Fristbeginn im Sinne von § 2325 Abs. 3 BGB entgegenstehen können, was in der bisherigen Instanzrechtsprechung unterschiedlich beurteilt wurde. Wäre ein Nießbrauchsrecht vereinbart worden, wäre die Situation eindeutig, dann läge noch keine endgültige Aufgabe des Eigentums vor und hätte die Frist nicht zu laufen begonnen. Bei einem Wohnrecht ist dies aber nach Auffassung des BGH anders zu bewerten. Allerdings wird in dem Urteil auch klargestellt, dass in Ausnahmefällen auch die Einräumung eines Wohnungsrechts den Fristbeginn hindern könne. Maßgebend sind insoweit die Umstände des Einzelfalls, anhand derer beurteilt werden muss, ob der Erblasser den verschenkten Gegenstand auch nach Vertragsschluss noch im Wesentlichen weiterhin nutzen konnte. Auf dieser Grundlage ist es aus Sicht des Bundesgerichtshofs nicht zu beanstanden, hier von einem Fristbeginn bereits mit der Eintragung im Grundbuch im November 1994 auszugehen. Denn der Erblasser und seine Ehefrau haben sich ein Wohnungsrecht nicht an dem aus 3 Etagen bestehenden gesamten Haus vorbehalten, sondern dieses umfasst lediglich die Räumlichkeiten im Erdgeschoss und die Mitbenutzung von Nebenräumen. Durch den Verlust der Eigentümerstellung des nur auf einen Teil des Grundstücks bestehenden Wohnungsrechts sowie die fehlende Übertragbarkeit auf Dritte, ist die rechtliche Stellung des Erblassers einschließlich der wirtschaftlichen Verwertbarkeit des Grundstücks deutlich eingeschränkt worden. Außerdem wurde dem übernehmenden Sohn im Rang vor dem Wohnungsrecht der Eltern die vertragliche Möglichkeit eingeräumt, Grundpfandrechte bis zur Höhe von DM 200.000,00 zu bewilligen, woraus sich die Gefahr eines Ausfalls mit dem Wohnungsrecht im Falle einer Zwangsvollstreckung ergab. Alles in allem war aus Sicht des BGH der Erblasser mit der Übertragung nicht mehr als „Herr in seinem Haus“ anzusehen, weswegen von einem Vollzug der Schenkung bereits im Jahr 1994 auszugehen ist.

Wie der vorliegende Fall zeigt, kann über lebzeitige Verfügungen eine Schmälerung des Nachlasses und damit eine Kürzung von Pflichtteilsansprüchen erreicht werden, wobei sich die Beteiligten über Chancen und Risiken der jeweiligen Regelungsmöglichkeiten klar sein müssen und hierzu juristischen Rat einholen sollten.