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Bundesgerichtshof, Urteil vom 08.05.2024 – XII ZR 7/23 – „Pandemiebedingte Anpassung eines Hotelaufnahmevertrags“
Der Bundesgerichtshof hat sich mit Urteil vom 08.05.2024 – XII ZR 7/23 – erneut mit der Frage befasst, ob ein Mietvertrag (im konkreten Fall ein Hotelaufnahmevertrag) nach den Grundsätzen der Störung der Geschäftsgrundlage anzupassen ist, wenn die Zimmerbuchung aus Anlass des Besuchs der nach der Buchung abgesagten Hannover-Messe 2020 erfolgte.
Die Klägerin schloss mit der Beklagten, die ein Hotel in Hannover betreibt, einen Hotelaufnahmevertrag über acht Einzelzimmer inklusive Frühstück für den Zeitraum der Hannover-Messe, die vom 20. bis zum 24.04.2020 stattfinden sollte. Die Beklagte verlangte bei Messen und Großveranstaltungen aufgrund der höheren Nachfrage gegenüber der Standardrate für den gleichen Zimmertyp einen erhöhten Übernachtungspreis. Die Klägerin entrichtete den zu zahlenden Gesamtbetrag in Höhe von Euro 15.440 im Voraus und klagt nach Absage der Messe auf Rückzahlung. Das Landgericht hat die Beklagte verurteilt, an die Klägerin die Hälfte des vorausgezahlten Betrages zurückzuzahlen. Die hiergegen gerichtete Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht zurückgewiesen. Die Revision der Beklagten hatte keinen Erfolg.
Der Bundesgerichtshof führt aus, dass eine Anpassung des Hotelaufnahmevertrages wegen Störung der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 Abs. 1 BGB in Betracht zu ziehen ist. Gemäß § 313 Abs. 1 BGB kann eine Anpassung des Vertrags verlangt werden, wenn sich die Umstände, die zur Grundlage des Vertrages geworden sind, nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert haben (reales Element) und die Parteien den Vertrag nicht oder mit anderem Inhalt geschlossen hätten, wenn sie diese Veränderung vorausgesehen hätten (hypothetisches Element). Allerdings kann eine Anpassung nur insoweit verlangt werden, als dem einen Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann (normatives Element). In der streitgegenständlichen Sache lag das reale Element vor. Aufgrund der gesamten Umstände war offensichtlich, dass Grund der Hotelzimmerbuchung der Besuch der Hannover-Messe 2020 war. Keine der Vertragsparteien hatte bei Abschluss des Hotelaufnahmevertrages die Vorstellung, dass die Hannover-Messe zunächst verschoben und dann abgesagt werden könnte. Durch die Absage der Messe als Folge der Pandemie wurden die Erwartungen der Parteien gestört, dass sich die grundlegenden politischen, wirtschaftlichen und sozialen Rahmenbedingungen des von ihnen geschlossenen Beherbergungsvertrages nicht ändern würden. Auch liegt das hypothetische Element des § 313 BGB vor, denn die Parteien hätten den Hotelaufnahmevertrag jedenfalls nicht mit diesem Inhalt geschlossen, wenn sie bei Vertragsabschluss die pandemiebedingte Absage der Messe vorhergesehen hätten. Allein der Wegfall der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 Abs. 1 BGB berechtigt jedoch nicht zu einer Vertragsanpassung. Vielmehr verlangt die Vorschrift als weitere Voraussetzung, dass dem betroffenen Vertragspartner unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann. Hat der Tatrichter jedoch für den konkreten Einzelfall die Voraussetzungen des § 313 BGB festgestellt, kommt ihm für die Vertragsanpassung ein weiter Ermessensspielraum zu. Seine Entscheidung ist vom Bundesgerichtshof nur daraufhin überprüfbar, ob das Ermessen ausgeübt worden ist, dabei alle wesentlichen Umstände rechtsfehlerfrei ermittelt und berücksichtigt sowie die Grenzen des tatrichterlichen Ermessens richtig bestimmt und eingehalten worden sind. Nach diesen Maßstäben war die Würdigung des Berufungsgerichts und die ihr zugrunde liegende Interessenabwägung vom Bundesgerichtshof nicht zu beanstanden. Zwar ist für eine Vertragsanpassung nach den Regelungen über die Störung der Geschäftsgrundlage grundsätzlich kein Raum, als es um Erwartungen und Umstände geht, die nach den vertraglichen Vereinbarungen in den Risikobereich einer der Parteien fallen. Nun ist das Verwendungsrisiko bezüglich der Mietsache im Verhältnis zwischen Vermieter und Mieter kraft Gesetzes grundsätzlich dem Mieter als Gläubiger des Anspruchs auf Gebrauchsgewährung zugewiesen. Bei der Buchung von Hotelzimmern gehört dazu insbesondere das Risiko, ob ein besonderer, mit dem Hotelaufenthalt vom Mieter angestrebter Zweck auch erreicht werden kann. Eine Vertragsanpassung nach den Grundsätzen der Störung der Geschäftsgrundlage wird daher nach allgemeiner Ansicht grundsätzlich abgelehnt, wenn ein Gast ein Hotelzimmer gebucht hat, um eine Messe oder eine sonstige Großveranstaltung zu besuchen, und diese nach der Buchung abgesagt wird. Das gilt in der Regel auch dann, wenn dem Hotelbetreiber der Zweck des Aufenthaltes des Gastes bekannt ist. Im konkreten Fall bestand jedoch die Besonderheit, dass die Beklagte in Messezeiten aufgrund gestiegener Nachfrage erhöhte Beherbergungsentgelte verlangt. Der Bundesgerichtshof führt aus, dass es die gesetzliche Zuweisung des Verwendungsrisikos an den Mieter nicht ausschließt, dass im Einzelfall auch andere Umstände für die Risikoverteilung Bedeutung gewinnen können. Solche Umstände können sich insbesondere aus dem Prinzip der Risikozurechnung an den Risikonutznießer ergeben, wonach der Schuldner (hier die Vermieterin), der aus einem bestimmten Umstand einen besonderen Nutzen zieht, auch das mit diesem Umstand verbundene Risiko mitzutragen hat. An der Ausrichtung einer Messe, Konferenz oder sonstigen Veranstaltung wird der Betreiber eines Hotels beispielsweise dann in besonderem Maße partizipieren, wenn zwischen Hotel und Veranstalter eine Kooperation dahingehend besteht, dass alle Veranstaltungsteilnehmer an dieses Hotel verwiesen werden. Zudem ist anerkannt, dass bei der Beurteilung der Frage, ob das Verwendungsrisiko zumindest anteilig auf den Schuldner (dem Betreiber des Hotels) zu übertragen ist, auch die Höhe der vereinbarten Gegenleistung eine Rolle spielen kann. Es darf deshalb grundsätzlich in die Ermessensentscheidung einbezogen werden, dass der Hotelbetreiber über erhöhte Beherbergungsentgelte aufgrund gestiegener Nachfrage von der Ankündigung der später abgesagten Veranstaltung profitiert hat, wobei es freilich nicht jede Risikonutznießung in der Gestalt eines Aufschlags auf das verlangte Beherbergungsentgelt rechtfertigen kann, das Verwendungsrisiko abweichend von der gesetzlichen Regelung teilweise dem Hotelbetreiber zuzuweisen. Gemessen daran war es aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden, wenn das Berufungsgericht das Prinzip der Risikonutznießung in den Blick genommen hat, um der Beklagten zumindest einen Teil des Verwendungsrisikos zuzuweisen. Die Beklagte hat im Hinblick auf die Veranstaltung der später abgesagten Hannover-Messe 2022 ein Beherbergungsentgelt verlangt, welches fast das Dreifache des ansonsten üblichen Zimmerpreises beträgt. Zu berücksichtigen war auch, dass die Klägerin die von ihr gebuchten Hotelleistungen wegen des hoheitlichen Beherbergungsverbots nach der Absage der Hannover-Messe nicht einmal zu touristischen Zwecken hätte nutzen können. Auch sei der Anspruch der Klägerin auf Vertragsanpassung nicht auf eine Umbuchung des Hotelaufenthaltes beschränkt gewesen. Die Beklagte hatte zwar ein Umbuchungsangebot unterbreitet, jedoch eine Umbuchungspauschale von 15 % gefordert. Der Bundesgerichtshof billigt die Einschätzung des Berufungsgerichts, dass der Klägerin die Annahme des Umbuchungsangebotes wegen der geforderten Umbuchungspauschale unzumutbar gewesen ist.