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BGH, Urteil vom 04.11.2020 – XII ZR 4/20 – “Ordentliche Kündbarkeit wegen eines Schriftformmangels“


Der Bundesgerichtshof musste sich erneut mit einem Fall befassen, in dem es darum ging, ob ein für mehrere Jahre abgeschlossener gewerblicher Mietvertrag wegen eines Schriftformmangels ordentlich kündbar ist. Gegenstand des Urteils vom 04.11.2020 – XII ZR 4/20 – war ein Mietverhältnis vom 11.03.2011 über Räume zum Betrieb eines Ladengeschäfts in München mit einer festen Laufzeit bis zum 15.02.2017. Die genaue Lage der Ladenfläche sollte sich aus einem dem Mietvertrag beigefügten Grundrissplan ergeben, in dem die Flächen farblich gekennzeichnet sein sollten. Eine solche Anlage war dem Vertrag aber nicht beigefügt. Der Mieter nutzte die Räumlichkeiten nicht selbst, sondern vermietete sie an einen Dritten, ohne dies der Vermieterin anzuzeigen oder die nach dem Hauptvertrag erforderliche schriftliche Zustimmung der Vermieterin zur Untervermietung einzuholen. Durch einen Nachtrag vom 27.02.2016 wurde unter Hinweis auf den bestehenden Mietvertrag die Laufzeit des Vertrags bis zum 28.02.2021 verlängert und die monatliche Grundmiete erhöht. Die Klägerin erwarb das Grundstück und wurde am 02.08.2017 als Eigentümerin im Grundbuch eingetragen. Mit Schreiben vom 13.11.2017 kündigte sie das Mietverhältnis unter Berufung auf einen Schriftformmangel ordentlich zum 30.06.2018. Der Bundesgerichtshof entscheidet, dass die Kündigung rechtmäßig ist, da der Mietvertrag an einem Schriftformmangel litt.

Ein für längere Zeit als ein Jahr geschlossener Mietvertrag über Gewerberäume wahrt die gemäß §§ 578 Abs. 1 und 2, 550 S. 1 BGB erforderliche Schriftform grundsätzlich nur dann, wenn sich die wesentlichen Vertragsbedingungen – insbesondere Mietgegenstand, Mietzins sowie Dauer und Parteien des Mietverhältnisses – aus einer Vertragsurkunde ergeben (so etwa BGH NJW-RR 2018, 1101 Rn. 17 m.w.N). Zwar sind auch formbedürftige Vertragsklauseln grundsätzlich der Auslegung zugänglich, wenn sie sich als unklar oder lückenhaft erweisen, sodass selbst wesentliche Tatbestandsmerkmale nicht bestimmt angegeben werden müssen, sofern nur die Einigung über sie beurkundet und ihr Inhalt bestimmbar ist. Insoweit darf auch auf außerhalb der Urkunde liegende Umstände zurückgegriffen werden (vgl. BGH NJW 2014, 2102 Rn. 23 m.w.N). Maßgeblich für diese Umstände ist dabei der Zeitpunkt des Vertragsschlusses, da die Bestimmbarkeit in diesem Zeitpunkt vorliegen muss (vgl. BGH NJW 2015, 2648 Rn. 42). Der Mietgegenstand muss aber zur Wahrung der Schriftform so hinreichend bestimmbar bezeichnet sein, dass es einem Erwerber, dessen Schutz die Schriftform in erster Linie bezweckt (vgl. BGH NJW 2019, 990 Rn. 26), im Zeitpunkt des Vertragsschlusses möglich ist, den Mietgegenstand unschwer an Ort und Stelle zu identifizieren und seinen Umfang festzustellen (BGH NJW 2014, 2102 Rn. 23). Erfüllt der ursprüngliche Mietvertrag die Schriftform der §§ 578, 550 S. 1 BGB nicht, können die Vertragsparteien durch einen formgerechten Nachtrag die Schriftform mit Rückwirkung auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses nachholen (BGH NJW 2009, 2195 Rn. 19 ff.). Betrifft der Schriftformmangel wie hier den Mietgegenstand, ist allerdings erforderlich, dass dieser in der späteren Nachtragsvereinbarung jedenfalls bestimmbar bezeichnet ist (BGH NJW 2007, 3273 Rn. 32).

Unter Anwendung dieser Grundsätze entspricht der Mietvertrag einschließlich des Nachtrags hinsichtlich des Mietgegenstands nicht der erforderlichen Schriftform.

Der Mietgegenstand wurde im ursprünglichen Mietvertrag nicht hinreichend bestimmt. Das Mietobjekt ist nicht hinreichend bestimmbar beschrieben, weil der zur Bestimmung erforderliche Grundrissplan dem Mietvertrag nicht beigefügt war. Auch die Angabe der Adresse im Mietvertrag bezeichnete das Mietobjekt nicht hinreichend bestimmbar, weil es unter dieser Adresse insgesamt fünf Ladengeschäfte gab. Entsprechendes gilt für die Bezeichnung des Mietobjekts als Mieteinheit 1, da die Nummerierung auf einen Plan Bezug nahm, der im Mietvertrag nicht bezeichnet worden ist. Auch durch die Angabe, dass die Gewerbefläche mit insgesamt 33,65 m² als vereinbart gelte, wurde das Mietobjekt nicht hinreichend bestimmt, weil in der Immobilienbranche mehrere Berechnungsmethoden zur Flächenberechnung angewandt werden, die bei demselben Objekt zu Abweichungen von bis zu 25 % führen können und insbesondere weil in dem Objekt drei weitere Einheiten mit annähernd gleicher Größe vorhanden waren, was einer hinreichenden Bestimmbarkeit entgegenstand.

Der Mietgegenstand wurde auch durch die Nachtragsvereinbarung vom 27.02.2016 in Verbindung mit der tatsächlichen Nutzung zum Zeitpunkt ihres Abschlusses nicht hinreichend bestimmbar bezeichnet. Zwar hat der Bundesgerichtshof bereits entschieden, dass der Mietgegenstand in der Regel trotz einer ungenauen Bezeichnung hinreichend bestimmbar bezeichnet ist, wenn der Mieter diesen bei Vertragsabschluss – oder bei Abschluss eines Nachtrags – bereits nutzt, weil dann der Umfang der bisherigen Nutzung zur Auslegung herangezogen werden kann (BGH NJW 2000, 354, 358 und NJW 1999, 3257, 3259). Diese Erwägungen sind indessen auf den vorliegenden Sachverhalt nicht übertragbar. Denn in diesen Fällen wurde der Mietgegenstand jeweils vom Mieter genutzt, sodass der Umfang des Mietgegenstandes auf der Grundlage des Mietvertrags bzw. des Nachtrags anhand der tatsächlichen Nutzung des Mieters an Ort und Stelle unschwer festzustellen war. Demgegenüber hat hier der Mieter das Ladengeschäft zu keinem Zeitpunkt selbst genutzt. Die Schriftform gemäß § 550 BGB soll nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in erster Linie sicherstellen, dass ein späterer Grundstückserwerber, der kraft Gesetzes auf Seiten des Vermieters in ein auf mehr als ein Jahr abgeschlossenes Mietverhältnis eintritt, dessen Bedingungen aus dem schriftlichen Mietvertrag ersehen kann (BGH NJW 2014, 2102 Rn. 30 und BGH NJW 2019, 990 Rn. 26). Dieser Schutzzweck ist nicht gewahrt, wenn der Erwerber zur Bestimmung des Mietgegenstands an Ort und Stelle über die Vertragsurkunde hinaus bei den ursprünglichen Vertragsparteien Nachforschungen anstellen müsste, ob untervermietet wurde, oder sonst weitere Abreden getroffen wurden, die aus der Urkunde nicht ersichtlich sind. Die tatsächliche Nutzung ist für die Bestimmbarkeit des Mietobjekts nur dann ein taugliches Kriterium, wenn auch ein Erwerber die Identität eines Untermieters erkennen kann. Dies ist etwa dann der Fall, wenn der Untermieter entweder schon im ursprünglichen Mietvertrag oder in einer Nachtragsvereinbarung namentlich bezeichnet ist oder seine Identität aus einer nach dem Mietvertrag erforderlichen schriftlichen Zustimmung zur Untervermietung hervorgeht. Vorliegend hat der Mieter das Mietobjekt aber an einen Dritten untervermietet, ohne dies der Vermieterin anzuzeigen und ohne die nach dem Mietvertrag erforderliche schriftliche Zustimmung der Vermieterin zur Untervermietung einzuholen. Da unter diesen Umständen weder die Untervermietung noch die Identität des Dritten aus dem Mietvertrag oder aus dem Nachtrag ersichtlich sind, war es zum Zeitpunkt des Abschlusses der Nachtragsvereinbarung nicht möglich, allein auf der Grundlage des Mietvertrags bzw. des Nachtrags den Mietgegenstand vor Ort zu identifizieren. Da es für die Wahrung der Schriftform auf die Bestimmbarkeit des Mietgegenstands im Zeitpunkt des Abschlusses des Nachtrags ankommt, spielt es auch keine Rolle, ob der Grundstückserwerber nach Eintritt in den Mietvertrag anderweitig Kenntnis vom Umfang des Mietobjekts erhalten hat.

Folglich galt der Mietvertrag wegen eines Schriftformmangels als auf unbestimmte Zeit geschlossen, sodass er innerhalb der Frist des § 580 a Abs. 2 BGB ordentlich gekündigt werden konnte. Auch war das Argument des Mieters erfolglos, die Vermieterin verstoße gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB), wenn sie sich auf die ordentliche Kündbarkeit berufe, da diese dafür verantwortlich sei, dass dem Mietvertrag die Anlage nicht beigefügt worden ist. Denn die fehlende Bestimmbarkeit des Mietgegenstands wurde letztendlich nicht allein durch die Vermieterin, sondern durch die vertragswidrige Untervermietung seitens des Mieters verursacht.