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BGH, Beschluss vom 26.04.2023 – XII ZR 83/22 – „Mehrkosten für die Anmietung einer Ersatzimmobilie nach Scheitern eines Mietvertrages“


Mit Beschluss vom 26.04.2023 – XII ZR 83/22 – beschäftigte sich der Bundesgerichtshof mit Schadenersatzansprüchen eines Mieters auf Erstattung von Mehrkosten für die Anmietung einer Ersatzimmobilie nach Scheitern eines Mietvertrags.

Mit Mietvertrag vom 03.01.2018 mietete die in der Modebranche tätige Klägerin von der Beklagten noch herzustellende Gewerberäume in W. mit einer Größe von 383 m² in einem zur Sanierung vorgesehenen alten Wasserwerk sowie zwei im Außenbereich des Grundstücks gelegene Pkw-Stellplätze. Die auf fünf Jahre befristete Mietzeit sollte am 01.07.2019 beginnen. Als monatlich zu entrichtende Miete vereinbarten die Parteien eine Nettomiete in Höhe von Euro 4.215,59, entsprechend einer Quadratmetermiete von Euro 10,99, zuzüglich Euro 70 monatlich für die beiden Stellplätze.

Nachdem die Beklagte, der die beabsichtigte Sanierung des Gebäudes mangels finanzierungswilliger Investoren nicht gelungen war, der Klägerin vergeblich eine Aufhebung des Mietvertrags angeboten hatte, mietete die Klägerin im Februar 2019 andere in einer sanierten Gewerbeimmobilie im Hafenviertel von Düsseldorf gelegene Räumlichkeiten mit einer Fläche von 454 m² an. Als monatliche Miete wurde ein Betrag von Euro 12,00 pro Quadratmeter vereinbart, wobei ein auf 50 m² entfallender Teilbetrag als Entgelt für die Mitbenutzung einer ca. 279 m² großen Gemeinschaftsfläche gelten sollte. Für die Anmietung von vier Tiefgaragenstellplätzen vereinbarten die Vertragsparteien eine Miete von weiteren Euro 200,00 monatlich. Beginn der ebenfalls auf fünf Jahre befristeten Mietzeit war der 01.10.2019.

Mit Schreiben vom 30.07.2019 erklärte die Klägerin die fristlose Kündigung des mit der Beklagten geschlossenen Mietvertrags wegen Nichtgewährung des vertragsgemäßen Gebrauchs und machte Schadensersatzansprüche in Höhe der Differenz der für die Räumlichkeiten in Düsseldorf monatlich zu zahlenden Miete gegenüber dem mit der Beklagten vereinbarten Nutzungsentgelt in Höhe von monatlich Euro 410,41 gelten.

Das Landgericht Krefeld gab der Klage statt. Das Oberlandesgericht Düsseldorf hat die Klage hingegen abgewiesen und dies damit begründet, dass die Klägerin von der Beklagten die Erstattung der geltend gemachten Mietdifferenz nicht verlangen könne, weil dem höheren Mietzins für die ersatzweise angemieteten Räumlichkeiten in Düsseldorf ein entsprechend höherer Gebrauchswert gegenüberstehe, den sich die Klägerin im Wege eines Vorteilsausgleichs anrechnen lassen müsse. Der höhere Gebrauchswert ergebe sich nicht nur aus der – auch verkehrsmäßig – besseren Lage der Gewerberäume in der als „Modestadt“ bekannten Landeshauptstadt Düsseldorf, sondern auch aus der Aufteilung und Gestaltung des Gebäudes in Düsseldorf, der nur bei der Ersatzimmobilie möglichen Nutzung von Gemeinschaftsflächen, dem dort vorhandenen Angebot einer Kinderbetreuung, der dortigen Existenz eines großen Fahrstuhls sowie aus dem zusätzlichen Komfort von Tiefgaragenparkplätzen.

Die Klägerin hatte vorgetragen, dass die ursprünglich angemieteten Räumlichkeiten in W. mit den in Düsseldorf gemieteten Gewerberäumen nach Art und Lage gleichwertig sind und hierfür die Einholung eines Sachverständigengutachtens beantragt. Diesen Beweisantrag hatte das Oberlandesgericht Düsseldorf übergangen und gemeint, es könne auch ohne Einholung eines Sachverständigengutachtens beurteilen, dass die Mietsache in Düsseldorf einen höheren Gebrauchswert habe. Diese Auffassung teilt der Bundesgerichtshof aber nicht. Er meint, das Oberlandesgericht sei verpflichtet gewesen, den angebotenen Sachverständigenbeweis zu erheben und es habe hiervon nicht aufgrund eigener Wertung absehen dürfen.

Der Klägerin stehen Schadensersatzansprüche dem Grunde nach zu. Ist der Vermieter nicht in der Lage, dem Mieter die angemieteten Räumlichkeiten wie geschuldet zur Verfügung zu stellen, kann der Mieter zur Anmietung von Ersatzräumen berechtigt sein und gegebenenfalls die Mehrkosten als Schadensersatz beim Vermieter geltend machen (BGH NJW 2017, 1104 Rn. 11, 19 m.w.N. und BGH NZM 2013, 675 Rn. 10). Voraussetzung hierfür ist, dass der Mieter die Vertragsverletzung durch den Vermieter berechtigterweise zum Anlass nimmt, den Umständen nach angemessene neue Räume anzumieten. Die von der Klägerin behauptete Gleichwertigkeit der Räumlichkeiten in Düsseldorf und in W. ist für die Beurteilung der Angemessenheit der angemieteten Ersatzräumlichkeiten von Bedeutung. Deshalb hätte das Oberlandesgericht Düsseldorf den angebotenen Sachverständigenbeweis einholen müssen. Von einem Sachverständigengutachten hätte das Oberlandesgericht nur dann absehen dürfen, wenn es hinreichende eigene Sachkunde für die Bewertung von Gewerbeimmobilien gehabt hätte. Das hätte das Oberlandesgericht aber im Urteil darlegen müssen. Der Bundesgerichtshof führt aus, dass es für die Ermittlung einer Gebrauchswertdifferenz im Sinne eines Mietdifferenzschadens regelmäßig der Einholung eines Sachverständigengutachtens bedarf (BGH NJW 2017, 2819 Rn. 42). Das gilt nur dann nicht, wenn das Oberlandesgericht im Urteil dargelegt hätte, dass und woher es über ausreichende eigene Sachkunde für die Beurteilung des unter Beweis gestellten Gebrauchswerts der Immobilien verfügt haben könnte, aufgrund der es von der Einholung des beantragten Sachverständigengutachtens hätte absehen dürfen. Für die Bewertung von Gewerbeimmobilien bedarf es regelmäßig besonderer Erfahrungen und Kenntnisse über ortsbezogene und wirtschaftliche Begleitumstände sowie die Interessen der am Wirtschaftsleben beteiligten Verkehrskreise, die sich nicht allein aus der allgemeinen Lebenserfahrung ergeben und die bei den an der Berufungsentscheidung beteiligten Richtern auch nicht aufgrund ihrer richterlichen Tätigkeit zu unterstellen sind. Eine unterschiedliche Wertigkeit der beiden Räumlichkeiten, die gegebenenfalls einen Vorteilsausgleich jedenfalls in Höhe der hier streitigen Mietdifferenz gerechtfertigt hätten, liegt auch nicht etwa bereits aufgrund der Lage der Immobilien und den bei der Ersatzimmobilie zusätzlich gegebenen, vom Berufungsgericht angesprochenen Nutzungsvorteilen auf der Hand. Der Gebrauchswert einer Immobilie ergibt sich aus einer Gesamtschau einer Vielzahl unterschiedlicher Faktoren von gegebenenfalls unterschiedlichem Gewicht. So kann bereits eine einzelne Eigenschaft von Räumlichkeiten – beispielsweise ein besonders hervorstechendes, einzigartiges Erscheinungsbild – den Wert anderer Eigenschaften auf- oder überwiegen und daher den Gebrauchswert maßgeblich bestimmen. Die für die Entscheidung erforderliche Vergleichsbetrachtung kann sich daher nicht in einer Gegenüberstellung einzelner wertbildender Eigenschaften erschöpfen.

Der Bundesgerichtshof hebt demnach die Entscheidung des Oberlandesgerichts Düsseldorf auf und verweist die Sache an das Berufungsgericht zurück. Gleichwohl könnte sich das Urteil als Pyrrhussieg für die Klägerin erweisen, wenn ein Sachverständigengutachten doch ergeben sollte, dass die Räumlichkeiten in Düsseldorf einen höheren Gebrauchswert als die ursprünglich angemieteten Räumlichkeiten in W. haben. Dann müsste die Klägerin die gesamten Kosten des Rechtsstreits tragen und zwar auch die Kosten der erfolgreichen Revision.