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BGH, Beschluss vom 27.07.2016 – XII ZR 59/14– “Keine übertriebenen Substantiierungsanforderungen bei Mängeln


Wenn sich Mietvertragsparteien im Rechtsstreit nicht vergleichen erliegt manches Gericht nach dem Trägheitsgrundsatz (Arbeit ist anstrengend!) der Versuchung, den Einwand eines Mieters, die Miete sei wegen Mängeln gemindert, als prozessual unbeachtlich zurückzuweisen, weil nicht bis ins kleinste Detail vorgetragen wurde, welche Auswirkungen der behauptete Mangel hat und inwieweit der Gebrauch der Mietsache beeinträchtigt ist. Auch kommt es nicht zuletzt bei umfangreichem Sachvortrag nicht selten vor (und bei Spracherkennungsprogrammen vergrößert sich diese Fehlerquelle nicht unbeachtlich!), dass sich im Sachvortrag Ungereimtheiten und Unebenheiten einschleichen, die vom Gericht dann als Widersprüche gegeißelt werden. Mit Beschluss vom 27.07.2016 – XII ZR 59/14 – hat der Bundesgerichtshof erneut betont, dass keine übertriebenen Substantiierungsanforderungen gestellt werden dürfen. Wendet ein Mieter Mängel ein, dann genügt der Mieter seinen Substantiierungspflichten, wenn er Tatsachen vorträgt, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet sind, das vom Vermieter geltend gemachte Recht als nicht bestehend erscheinen zu lassen. Dabei ist unerheblich, wie wahrscheinlich die Darstellung ist und ob sie auf eigenem Wissen oder auf einer Schlussfolgerung aus Indizien beruht (BGH Beschluss vom 21.10.2014, VIII ZR 34/14). Die Angabe näherer Einzelheiten ist nicht erforderlich, soweit diese für die Rechtsfolgen nicht von Bedeutung sind. Das Gericht muss nur in die Lage versetzt werden, aufgrund des tatsächlichen Vorbringens der Partei zu entscheiden, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für das Bestehen des geltend gemachten Rechts vorliegen (BGH, Beschluss vom 01.08.2012, XII ZR 87/11; BGH, Beschluss vom 28.02.2012, VIII ZR 124/11). Da die Minderung nach § 536 Abs. 1 BGB kraft Gesetzes eintritt, genügt der Mieter seiner Darlegungslast schon mit der Darlegung eines konkreten Sachmangels, der die Tauglichkeit der Mietsache zum vertragsgemäßen Gebrauch beeinträchtigt; das Maß der Gebrauchsbeeinträchtigung (oder einen bestimmten Minderungsbetrag) braucht er hingegen nicht vorzutragen. Von ihm ist auch nicht zu fordern, dass er über eine hinreichend genaue Beschreibung der Mangelerscheinungen („Mangelsymptome“) hinaus die ihm häufig nicht bekannte Ursache dieser Symptome bezeichnet (BGH, Urteil vom 27.02.1991, XII ZR 97/90; BGH, Urteil vom 25.10.2011, VIII ZR 125/11).

Diese Grundsätze hatte das Oberlandesgericht Düsseldorf in einer Entscheidung vom 13.05.2014 nicht beachtet. Das Oberlandesgericht Düsseldorf hatte einen Mieter von Gewerberaum, der Mängel an der Heizungsanlage und der Belüftung geltend gemacht hatte, ohne Beweisaufnahme zur Zahlung der rückständigen Mieten in voller Höhe mit der Begründung verurteilt, der prozessuale Vortrag des Mieters zu Mängeln der Mietsache sei nicht hinreichend substantiiert und deshalb unbeachtlich. Das war nach Auffassung des Bundesgerichtshofs nicht in Ordnung und rechtsirrig. Der Mieter eines Restaurants hatte das Fehlen eines erforderlichen Belüftungssystems gerügt und im Einzelnen ausgeführt, es fehle an einer funktionierenden warmen Zuluft, da der Vermieter die vorhandene Zuluft-öffnung mit einer Styroporplatte verschlossen habe. Dadurch sei in den Räumlichkeiten nur Abluft, aber keine Zuluft vorhanden gewesen, wodurch auch ein Unterdruck zwischen Küche und Restaurant entstanden sei. Nur mit erhöhtem Kraftaufwand sei es möglich gewesen, die Zugangstüren zu öffnen. Der Mieter hatte vorgetragen, die Lüftungsanlage sei auch nicht funktionstüchtig gewesen, weil der erforderliche Zuluftmotor gefehlt habe. Der BGH rügt die Meinung des Oberlandesgerichts Düsseldorf als rechtsfehlerhaft, der Mieter habe einen Mangel der Belüftung nicht substantiiert vorgetragen. Vielmehr entscheidet der Bundesgerichtshof, dass die Einwendungen des Mieters hinreichend substantiiert und damit prozessual beachtlich mit der Folge sind, dass das Oberlandesgericht Beweis erheben muss. Weitere Einzelheiten im Sachvortrag sind von einem Mieter nicht zu fordern. Werden wie hier Räume zur Nutzung als Gastronomiebetrieb vermietet, kann nach den vertraglichen Vereinbarungen eine unzureichende Belüftung einen Mangel darstellen. Hierzu wird das Oberlandesgericht Düsseldorf nach Zurückverweisung der Sache die erforderlichen Feststellungen zu treffen haben.

Falsch handelte das Oberlandesgericht Düsseldorf auch, weil es den Vortrag des Mieters zur behaupteten mangelnden Beheizbarkeit der Gaststättenräume als prozessual unbeachtlich ansah. Der Sachvortrag des Mieters im Prozess widersprach einer vorgerichtlichen Sachdarstellung. Auch im Rechtsstreit kam es im Vortrag des Mieters zu einigen Unebenheiten. In einigen Schriftsätzen führte er aus, die Räume würden maximal 18 °C warm. In anderen Schriftsätzen war von maximal 16 °C die Rede. Dies hatte das Oberlandesgericht Düsseldorf zum Anlass genommen, den Verteidigungsvortrag des Mieters als widersprüchlich und nicht hinreichend zu geißeln. Der Bundesgerichtshof teilt diese Meinung völlig zu Recht nicht und weist das Oberlandesgericht Düsseldorf an, den Sachverhalt im Wege einer Beweisaufnahme zu klären. Zunächst sind die Darlegungen des Mieters nicht deswegen unschlüssig, weil sie unvereinbar mit einer vorgerichtlichen Sachdarstellung sind. Der Mieter kann nämlich nicht an seiner vorgerichtlichen Sachdarstellung festgehalten werden. Widersprüche im Parteivortrag sind zwar grundsätzlich ein nicht unwesentlicher Gesichtspunkt im Rahmen der Beweiswürdigung. Jedoch können sie nicht dazu führen, dass Beweise überhaupt nicht erhoben werden. Dies käme einer vorweggenommenen Beweiswürdigung gleich, die das rechtliche Gehör der übergangenen Partei verletzt. Erst recht können Widersprüche zwischen dem Parteivortrag im gerichtlichen Verfahren und vorgerichtlichen (schriftlichen) Äußerungen einer Partei nicht dazu führen, dass der im gerichtlichen Verfahren vorgetragene Sachverhalt nicht im Wege der Beweisaufnahme aufgeklärt wird. Auch die Widersprüche zwischen den verschiedenen Darstellungen, die der Mieter während des Prozesses abgab, waren nicht derart gravierend, dass deswegen von einem nicht nachvollziehbaren oder unsubstantiierten Vortrag, der der Beweisaufnahme nicht zugänglich ist, ausgegangen werden könnte. Auch wenn einmal von maximal 16 °C und an anderen Stellen von maximal 18 °C die Rede ist, ist ein konkreter Sachmangel in Form einer nicht ausreichend funktionierenden Heizungsanlage vorgetragen, weil es genügt, wenn der Mieter angibt, in welchem Zeitraum adäquate Raumtemperaturen nicht erreicht werden. Diesen Erfordernissen genügt der Vortrag des Mieters im Prozess. Ob die erreichten Temperaturen im Einzelfall 18 °C oder 16 °C waren, ist eine Quantifizierung der Gebrauchsbeeinträchtigung, die der Mieter nicht vortragen muss (BGH, Beschluss vom 25.10.2011, VIII ZR 125/11). Dementsprechend können diesbezüglich unterschiedliche Angaben des Mieters nicht dazu führen, dass der relevante Sachvortrag, nämlich dass die Temperaturen jedenfalls nicht über 18 °C lagen und so für den Restaurantbetrieb nicht ausreichend waren, nicht berücksichtigt wird. Ebenso wenig ist der Mieter verpflichtet, die Ursachen der niedrigen Temperaturen genauer zu benennen.

Welche Lehren kann man aus dem Beschluss ziehen? Zunächst ist er ein sehr schönes Beispiel dafür, dass der Gesetzgeber mit gutem Grund die Möglichkeit schuf, gegen gerichtliche Entscheidungen Rechtsmittel einzulegen. Immer wieder hört man von Mandanten, es sei doch aussichtslos, gegen ein Urteil Berufung oder Revision einzulegen, weil die Urteilsbegründung „ganz eindeutig“ sei. Das ist bei näherer Betrachtungsweise ein falsches Argument. Urteile sind nämlich von Natur aus immer eindeutig. Für die Frage, ob Rechtsmittel eingelegt werden soll oder nicht, ist aber allein entscheidend, ob das Urteil richtig oder falsch ist. Dass sich Gerichte und demnach auch Oberlandesgerichte irren können, setzt der Gesetzgeber voraus. Deshalb hat er auch den Rechtszug und Rechtsmittel geschaffen. Wenn also entschieden werden muss, ob gegen ein Urteil Rechtsmittel eingelegt werden soll, spielt die Frage, ob die Entscheidungsgründe eindeutig formuliert sind oder nicht, also keine Rolle. Genau analysiert werden muss hingegen, ob ein Urteil mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in Einklang steht. Die zweite Lehre, die man aus der Entscheidung herleiten kann, mag auf den ersten Blick widersprüchlich zum Beschluss des Bundesgerichtshofs erscheinen, denn meiner Meinung nach zeigt die Entscheidung des Bundesgerichtshofs, dass man trotz der nicht zu überspannenden Substantiierungspflicht größte Sorgfalt darauf legen muss, zu Mängeln der Mietsache so präzise wie irgend möglich vorzutragen. Hätte der Mieter dies in der entschiedenen Sache gemacht, hätte er sich die aufgetretenen Probleme (Zurückweisung seiner Einwendungen durch das Oberlandesgericht) sparen können. Zwar könnte man sagen, es sei noch einmal alles gut gegangen. Aber auch diese Auffassung ist zu kurz gesprungen. Durch den Beschluss des Bundesgerichtshofs hat der Mieter nämlich den Prozess nicht gewonnen. Vielmehr muss das Oberlandesgericht Düsseldorf jetzt in eine Beweisaufnahme eintreten. Der Mieter kann also den Prozess noch immer verlieren. Und dann trägt er auch die Kosten seiner erfolgreichen Beschwerde. Der Anwalt des Mieters hätte seinen Mandanten also etwas mehr quälen und darauf drängen müssen, dass die Mangelsymptome konkreter herausgearbeitet werden. Das lieben Mandanten zwar nicht, es ist aber zu ihrem Wohl. Es ist wie häufig bei guter Medizin. Diese ist bitter, aber wirkungsvoll.