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BGH, Urteil vom 05.11.2014 – XII ZR 15/12 – “Kein Verlust der Ansprüche wegen Mängeln der Mietsache durch vorbehaltlose Ausübung einer Verlängerungsoption


Mit Urteil vom 05.11.2014 – XII ZR 15/12 – hat der Bundesgerichtshof zu der umstrittenen Rechtsfrage Stellung genommen, ob Ansprüche wegen Mängeln der Mietsache nicht mehr bestehen, wenn der Mieter vorbehaltlos eine Verlängerungsoption ausübt oder wenn die Betriebskostenvorauszahlung vorbehaltlos einvernehmlich erhöht wird.

Gegenstand des Rechtsstreits waren klagweise geltend gemachte Ansprüche des Mieters wegen behaupteter Mängel der von ihm gemieteten Gewerberäume. Mit Mietvertrag vom 15.12.1988 vermietete der Beklagte beginnend ab dem 01.04.1989 an den Kläger Räume in einem 1974 erbauten Geschäftshaus zum Betrieb einer Arztpraxis. Das Mietverhältnis war auf 10 Jahre befristet. Dem Mieter war die Möglichkeit eingeräumt, die Mietzeit viermal um jeweils 5 Jahre durch schriftliche Willenserklärung gegenüber dem Vermieter zu verlängern. Vor dem Mietbeginn waren in Absprache mit dem Mieter abgehängte Decken eingebaut und außerdem mit seinem Wissen und Einverständnis die bereits in den Räumen befindliche umlufttechnische Anlage (RLT-Anlage) teilweise umgestaltet worden. Der Mieter übte sowohl im März 2004 die erste Option als auch im März 2009 die zweite Option aus, ohne einen Vorbehalt wegen Mietmängeln zu erklären. Spätestens seit Juni 2006 rügt der Kläger Mängel im Zusammenhang mit den raumklimatischen Bedingungen der Mieträume. Er zahlte die Miete ab August 2006 nur noch unter Vorbehalt. Er rügte, in den Praxisräumen komme es zu Zuglufterscheinungen wegen undichter Fenster und im Bereich der abgehängten Decken. Die RLT-Anlage sei nur unzureichend leistungsfähig und aus hygienischer Sicht nicht mehr vertretbar, weil sie stark verschmutzt sei sowie keine Revisionsöffnungen und Reinigungsmöglichkeiten aufweise. Mit Schreiben vom 03.03.2008 übte der Kläger die dritte Option zur Vertragsverlängerung bis 31.03.2014 aus.

Der Kläger ist der Auffassung, die Bruttomiete von monatlich EUR 5.138,78 sei seit Juli 2006 um 45 % gemindert. Mit seiner Anfang 2009 erhobenen Klage hat er die Rückzahlung der seiner Meinung nach überzahlten Miete verlangt, einen Vorschuss in Höhe von knapp EUR 400.000,00 für die Beseitigung der Mietmängel begehrt sowie auf Feststellung geklagt, dass er bis zur Mängelbeseitigung zur Minderung in Höhe von 45 % berechtigt und der Beklagte verpflichtet sei, ihm sämtliche durch die Mängelbeseitigung entstehenden Schäden, insbesondere Verdienstausfall, zu ersetzen.

Das Oberlandesgericht Koblenz hielt die Klage für unbegründet. Es hat seine Entscheidung wie folgt begründet: Die Klage scheitere bereits an § 536 b BGB. Diese Vorschrift lautet:

Kennt der Mieter bei Vertragsschluss den Mangel der Mietsache, so stehen ihm die Rechte aus den §§ 536 und 536 a (Anmerkung: Mietminderung bei Sach- und Rechtsmängeln; Schadens- und Aufwendungsersatzanspruch des Mieters wegen eines Mangels) nicht zu. Ist ihm der Mangel infolge grober Fahrlässigkeit unbekannt geblieben, so stehen ihm diese Rechte nur zu, wenn der Vermieter den Mangel arglistig verschwiegen hat. Nimmt der Mieter eine mangelhafte Sache an, obwohl er den Mangel kennt, so kann er die Rechte aus den §§ 536 und 536 a nur geltend machen, wenn er sich seine Rechte bei der Annahme vorbehält.

Nach Auffassung des Oberlandesgerichts Koblenz findet die Regelung des § 536 b BGB auch Anwendung, wenn trotz Mangelkenntnis ein Mietvertrag kraft stillschweigender oder ausdrücklicher Vereinbarung oder durch Ausübung einer Verlängerungsoption verlängert werde. Denn hierdurch trete eine Zäsur in der Vertragsgestaltung ein. Gleiches gilt in Fällen der einvernehmlichen Erhöhung der Miete in Kenntnis des Mangels. Behalte sich der Mieter unter diesen Umständen die in §§ 536 und 536 a BGB normierten Rechte nicht vor, gehe er dieser verlustig, es sei denn, es wäre seitdem zu einer wesentlichen Verschlechterung des Mangels gekommen.

Soweit die RLT-Anlage in Rede stehe, könne sich der Kläger nicht darauf berufen, dass es sich nicht um eine Klimaanlage handle, dass sie qualitativ schlecht verarbeitete Geräte aufweise und keine hinreichenden Revisionsöffnungen und Reinigungsmöglichkeiten mit der Folge starker Verschmutzung habe. Denn diese Anlage sei vertraglich geschuldet und als vertragsgemäß hingenommen worden. Zudem stehe § 536 b BGB einem Anspruch entgegen, weil noch im Jahre 2003 die Verlängerungsoption vorbehaltlos ausgeübt und im Jahr 2005 die höhere Betriebskostenvorauszahlung akzeptiert worden sei.

Ebenso liege es bei den Zuglufterscheinungen im Bereich der abgehängten Decken. Die Decken als solche stellten gleichfalls einen vertragsgemäßen Zustand dar. Sie seien im Einvernehmen mit dem Mieter eingebaut und von diesem ohne weiteres akzeptiert worden.

Die Zuglufterscheinungen im Bereich der 1974 eingebauten Fenster seien im wesentlichen auf Verschleiß auch und gerade der Fensterdichtungen zurückzuführen, die schon im Jahr 2003 und erst recht im Jahr 2005 vorgelegen haben. Auch deshalb scheitern diese Ansprüche nach Auffassung des Oberlandesgerichts Koblenz an § 536 b BGB.

Der Bundesgerichtshof entscheidet, dass diese Ausführungen des Oberlandesgericht Koblenz der rechtlichen Nachprüfung in wesentlichen Punkten nicht stand halten. Deshalb wurde das Urteil aufgehoben und an das Oberlandesgericht zur Vornahme einer weiteren Sachverhaltsklärung zurückgewiesen.

Der Bundesgerichtshof urteilt, dass die streitgegenständlichen Ansprüche des Klägers nicht gemäß § 536 b BGB ausgeschlossen sind, weil der Mieter trotz Kenntnis von den Mängeln im Jahr 2003 die Verlängerungsoption ausgeübt und im Jahr 2005 eine Erhöhung der Betriebskostenvorauszahlung zugestimmt hat. Die Ausübung einer Verlängerungsoption durch den Mieter stellt weder einen Vertragsschluss im Sinne des § 536 b Satz 1 BGB dar noch führt sie zu einer entsprechenden Anwendung des § 536 b BGB. Die in Rechtsprechung und Literatur überwiegend vertretene Auffassung ging bislang allerdings davon aus, dass § 536 b BGB auch dann eingreift, wenn der Mieter in Kenntnis des Mietmangels eine Verlängerungsoption ausübt, ohne sich seine Rechte vorzubehalten. Die Vertreter dieser Ansicht führen zur Begründung an, die Ausübung einer Verlängerungsoption stelle eine Zäsur in der Vertragsgestaltung dar. Diese Meinung verwirft der Bundesgerichtshof und weist darauf hin, dass durch die Realisierung des im Mietvertrag geregelten Verlängerungsmechanismus nur das bisherige Mietverhältnis fortgesetzt, nicht aber ein neues begründet wird. § 536 b BGB findet auf die Ausübung einer Verlängerungsoption nach Auffassung des Bundesgerichtshofs keine unmittelbare Anwendung, weil es sich dabei nicht um einen Vertragsschluss im Sinne dieser Vorschrift handelt. Aber auch eine entsprechende Anwendung des § 536 b BGB kommt bei vorbehaltloser Ausübung einer Verlängerungsoption nicht in Betracht. Seit der Neuregelung durch das am 01.09.2001 in Kraft getretene Mietrechtsreformgesetz vom 19.06.2001 fehlt es an einer für eine Analogie erforderlichen planwidrigen Regelungslücke. Im Zuge des Mietrechtsreformgesetzes hat der Gesetzgeber bewusst davon abgesehen, eine Regelung für den Fall zu treffen, dass der Mieter den Mangel erst nach Vertragsschluss erkennt und trotz Kenntnis des Mangels die Miete über einen längeren Zeitraum hinweg vorbehaltlos in voller Höhe weiter zahlt.

Im Einzelfall ermöglicht die Anwendung der Grundsätze von Treu und Glauben nach § 242 BGB es, dem jeweiligen Verhalten des Mieters im Zusammenhang mit einer Vertragsverlängerung unter Berücksichtigung etwaiger vermieterseitiger Vertrauenstatbestände rechtlich angemessen auch für die Zukunft Rechnung zu tragen. Allerdings ist die vorbehaltlose Ausübung der Verlängerungsoption für sich genommen kein widersprüchliches Verhalten des Mieters, das es nach Treu und Glauben gemäß § 242 BGB rechtfertigen könnte, dass der Mieter seine Rechte aus §§ 536, 536 a BGB für die Zukunft verliert.

Der Bundesgerichtshof verwirft auch die Rechtsauffassung des Oberlandesgerichts Koblenz, dass die einvernehmliche Erhöhung der Betriebskostenvorauszahlung die entsprechende Anwendung des § 536 b BGB rechtfertigt. Der Bundesgerichtshof führt aus, dass zwar auch die Betriebskostenvorauszahlung Gegenleistung für die vom Vermieter zu erbringende Gesamtleistung ist und zu der vom Mieter geschuldeten Bruttomiete gehört, die Ausgangspunkt für die Berechnung einer Mietminderung ist (so BGHZ 163, 1, 6 = NJW 2005, 1713, 1714 f.). Nachträgliche Änderungen der Miethöhe begründen aber keine Analogie zu § 536 b BGB. Das schließt die Anwendung des § 242 BGB im Einzelfall nicht aus. Bei einer einvernehmlichen Erhöhung einer Betriebskostenvorauszahlung kommt dies allerdings nicht in Betracht, zumal eine solche nichts daran ändert, dass nach Ende des Abrechnungszeitraumes über die Betriebskosten abzurechnen ist.

Der Bundesgerichtshof stimmt allerdings der Meinung des Oberlandesgerichts Koblenz zu, dass keine Ansprüche des Klägers wegen Zuglufterscheinungen im Bereich der abgehängten Decke und wegen der Bauart der RLT-Anlage bestehen. Denn die vom Oberlandesgericht Koblenz gegebene, selbstständig tragende Alternativbegründung, es fehle wegen der vertraglichen Vereinbarungen bereits an einem Mietmangel, hält rechtlicher Nachprüfung stand. Ein Mangel der Mietsache ist nur dann anzunehmen, wenn die Ist-Beschaffenheit des Mietobjekts von der Soll-Beschaffenheit abweicht. Es sind allein die Vertragsparteien, die durch die Festlegung des dem Mieter jeweils geschuldeten vertragsgemäßen Gebrauchs bestimmen, welchen Soll-Zustand die vermietete Sache spätestens bei Überlassung an den Mieter aufweisen muss. Nachdem der Zustand im Deckenbereich nicht von der Soll-Beschaffenheit abweicht, fehlt es an einem Mangel im Rechtssinne, so dass die Klage insoweit im Ergebnis zu Recht ohne Erfolg geblieben ist. Nichts anderes gilt für die vom Kläger geltend gemachten Mängel im Zusammenhang mit der Bauart der RLT-Anlage. Es handelt sich hierbei um den von Anfang an bestehenden Zustand, den der Mieter als vertragsgemäß akzeptiert hat.

Soweit das Oberlandesgericht Koblenz jedoch Ansprüche des Klägers wegen der Zuglufterscheinungen im Bereich der Fenster verneint hat, kann das Urteil des Oberlandesgerichts hingegen keinen Bestand haben. Die Klageabweisung ist in diesem Punkt allein darauf gestützt, dass die Rechte des Klägers wegen jeweils vorbehaltloser Ausübung der Verlängerungsoption und Erhöhung der Betriebskostenvorauszahlung ausgeschlossen seien. Diese Rechtsmeinung ist jedoch nach Ansicht des Bundesgerichtshofs falsch. Ebenso wenig hält der rechtlichen Nachprüfung stand, dass das Berufungsgericht in der vom Kläger gerügten Verschmutzung der RLT-Anlage keinen Mietmangel gesehen hat. Die Voraussetzungen für einen Rechtsausschluss nach § 536 b BGB liegen nicht vor. Auch die vertraglichen Vereinbarungen zum Zustand der RLT-Anlage stehen der Annahme eines Mietmangels nicht entgegen. Denn dass die Bauart der Anlage insbesondere mit dem Fehlen hinreichender Revisionsöffnungen und Reinigungsmöglichkeiten den vertragsgemäßen Zustand darstellt, heißt nicht, dass nicht im Laufe der Zeit eintretende Verschmutzungen dieser Belüftungseinrichtung einen eigenständigen Mangel im Sinne des § 536 Abs. 1 S. 1 BGB darstellen können. Insoweit muss das Berufungsgericht den Sachverhalt weiter aufklären.