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BGH, Urteil vom 27.10.2021 – XII ZR 84/20 – “Kauf bricht nicht Miete, § 566 BGB“


Mit Urteil vom 27.10.2021 – XII ZR 84/20 – befasste sich der Bundesgerichtshof mit der Frage, wann § 566 Abs. 1 BGB („Kauf bricht nicht Miete“) wegen einer planwidrigen Regelungslücke analog angewendet werden kann.

Die Klägerin, die Projekt-Gesellschaft GmbH (im folgenden: Projekt-Gesellschaft) nimmt den beklagten Verein auf Räumung und Herausgabe einer bebauten Grundstücksfläche in Anspruch. Der Beklagte schloss am 18.01.2008 mit der S-GmbH einen rechtlich falsch als „Pachtvertrag“ bezeichneten Mietvertrag über eine bebaute Grundstücksfläche. In dem Mietvertrag heißt es, die „Pachtfläche“ sei in einer Anlage rot schraffiert gekennzeichnet. Zwar ist dem Vertrag eine Skizze beigefügt, die jedoch keine rot schraffierte Fläche, sondern lediglich mehrere umrandete Flächen ausweist. Das Vertragsverhältnis begann am 01.01.2006 und endete am 31.12.2016, wobei es sich jedoch mit Ablauf der jeweiligen „Pachtperiode“ um weitere zehn Jahre verlängert, wenn der Vertrag nicht von der „Pächterin“ unter Einhaltung einer Frist von sechs Wochen zum Ende eines Kalendermonats schriftlich gekündigt wird. Eigentümerin des vermieteten Grundstücks ist die H-GmbH. Mit notariellem Kaufvertrag vom 12.07.1995 erwarb die Projekt-Gesellschaft das Grundstück. Mit notariellem Kaufvertrag vom 20.06.2008 erwarb sodann die Klägerin von der Projekt-Gesellschaft die streitgegenständliche Grundstücksfläche. In § 4 Abs. 4 des Kaufvertrags ist geregelt, dass der Kaufgegenstand an den Beklagten verpachtet ist, die Käuferin das Pachtverhältnis übernehme und es mit Wirkung ab dem Übergabetag mit allen Rechten und Pflichten des Verpächters fortsetze. Mit Schreiben vom 28.10.2008 teilte die Klägerin dem Beklagten mit, dass sie mit Erwerb der Flächen nunmehr in den Pachtvertrag eingetreten sei, weshalb künftige Pachtzahlungen direkt an sie geleistet werden sollen. Seit dem Jahr 2009 erhält die Klägerin von dem Beklagten die ursprünglich zwischen ihm und der S-GmbH vereinbarten Zahlungen. Mit Schreiben vom 02.06.2017 kündigte die Klägerin den Pachtvertrag vom 30.06.2017 und klagt auf Räumung und Herausgabe. Das Amtsgericht gab der Klage statt. Auf die Berufung des Beklagten hat das Landgericht die Klage abgewiesen und gemeint, die Klägerin sei in analoger Anwendung von § 566 Abs. 1 i.V.m. § 578 BGB in den Mietvertrag eingetreten, da kein Schriftformmangel vorliege sei der befristete Mietvertrag nicht ordentlich kündbar und die Klägerin könne nicht Räumung und Herausgabe fordern. Diese Auffassung teilt der Bundesgerichtshof nicht. Er hebt das Urteil des Landgerichts auf und verurteilt den Beklagten zur Räumung und Herausgabe.

Der als „Pachtvertrag“ bezeichnete Vertrag ist rechtlich als Mietvertrag zu qualifizieren. § 566 Abs. 1 BGB („Kauf bricht nicht Miete“), wonach der Erwerber eines Grundstücks in ein bestehendes Mietverhältnis eintritt, ist nicht unmittelbar anwendbar, weil es an der hierfür notwendigen Personenidentität zwischen Veräußerer und Vermieter fehlt. Gemäß §§ 566 Abs. 1, 578 Abs. 2 S. 1 BGB tritt der Erwerber eines gewerblich vermieteten Hausgrundstücks anstelle des Vermieters in die sich während der Dauer seines Eigentums aus dem Mietverhältnis ergebenden Rechte und Pflichten ein. Mit dem Eigentumsübergang entsteht ein neues Mietverhältnis zwischen dem Erwerber des Grundstücks und dem Mieter mit dem gleichen Inhalt, mit dem es zuvor mit dem Veräußerer bestanden hat. Nach seinem Wortlaut findet § 566 Abs. 1 BGB allerdings nur dann Anwendung, wenn das vermietete Grundstück durch den Vermieter veräußert wird. § 566 Abs. 1 BGB ist deshalb grundsätzlich nur bei Identität zwischen Vermieter und Veräußerer unmittelbar anwendbar (BGH NZM 2017, 847 Rn. 15 m.w.N.). Danach waren die Voraussetzungen für eine unmittelbare Anwendung des § 566 Abs. 1 BGB im vorliegenden Fall nicht erfüllt. Vermieter war die S-GmbH. Die Mietsache wurde jedoch von der Projekt-Gesellschaft und damit von einer eigenständigen juristischen Person an die Klägerin veräußert. Entgegen der Auffassung des Landgerichts ist § 566 Abs. 1 BGB auch nicht entsprechend anwendbar. Der in § 566 Abs. 1 BGB geregelte Eintritt des Erwerbers in ein bestehendes Mietverhältnis dient dem Schutz des Mieters, dem eine Wohnung, ein Grundstück oder gewerblich genutzte Räume aufgrund eines wirksamen Mietvertrags überlassen worden sind. Die ihm dadurch von seinem Vertragspartner eingeräumte Rechtsstellung – der berechtigte Besitz – soll ihm auch gegenüber einem späteren Erwerber des Grundstücks erhalten bleiben. Hierfür enthält § 566 Abs. 1 BGB eine – ausdrücklich auf die Veräußerung des vermieteten Grundstücks beschränkte – Durchbrechung des schuldrechtlichen Grundsatzes, wonach Rechte und Pflichten nur zwischen den am Schuldverhältnis beteiligten Personen entstehen. Sie legt dem Mietverhältnis für den Fall der Veräußerung des Mietgrundstücks eine gleichsam dingliche Wirkung bei, indem sie mit dem Übergang des Eigentums am vermieteten Grundstück auf den Erwerber auch die Vermieterrechte und -pflichten auf diesen übergehen lässt. Als Ausnahmevorschrift ist § 566 Abs. 1 BGB daher eng auszulegen und nur anzuwenden, soweit der mit ihr bezweckte Mieterschutz dies erfordert (BGH NJW 2017, 254 Rn. 24). Der Ausnahmecharakter der Vorschrift steht jedoch hinsichtlich einer Erweiterung des Veräußerungsbegriffs oder der anderen Tatbestandsmerkmale der Norm einer Analogie nicht generell entgegen (BGH NZM 2017, 847 Rn. 33). Neben dem Vorliegen einer planwidrigen Regelungslücke ist Voraussetzung für eine analoge Anwendung des § 566 Abs. 1 BGB die Vergleichbarkeit der Sachverhalte. Diese Voraussetzung ist erfüllt, wenn der zu beurteilende Sachverhalt in rechtlicher Hinsicht soweit mit dem Tatbestand, den der Gesetzgeber geregelt hat, vergleichbar ist, dass angenommen werden kann, der Gesetzgeber wäre bei einer Interessenabwägung, bei der er sich von den gleichen Grundsätzen hätte leiten lassen wie bei dem Erlass der herangezogenen Gesetzesvorschrift, zu dem gleichen Abwägungsergebnis gekommen (BGH NZM 2017, 847 Rn. 34). Auf dieser rechtlichen Grundlage hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass die Voraussetzungen für eine analoge Anwendung des § 566 Abs. 1 BGB dann vorliegen, wenn die Vermietung des veräußerten Grundstücks mit Zustimmung des Eigentümers und in dessen alleinigem wirtschaftlichen Interesse erfolgt und der Vermieter kein eigenes Interesse am Fortbestand des Mietverhältnisses hat. Unter diesen Voraussetzungen ist nicht nur eine planwidrige Regelungslücke gegeben, sondern der zur Beurteilung stehende Sachverhalt ist auch mit dem vergleichbar, den der Gesetzgeber geregelt hat (BGH NZM 2017, 847 Rn. 26). In dem dieser Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt hatte der frühere Eigentümer des Grundstücks zur Vermietung seiner Immobilie eine Grundstücksgesellschaft errichtet und dieser das Eigentum an dem Grundstück übertragen. Zusätzlich hatte er eine Grundbesitz- und Handelsgesellschaft gegründet, die auf Anweisung der Grundstücksgesellschaft die Mietverträge über die Immobilie abgeschlossen hatte. Die Grundstücksgesellschaft hatte die Immobilie auch verwaltet und die Mieten eingezogen. Unter diesen Umständen war es ausnahmsweise gerechtfertigt, den Mietvertrag in entsprechender Anwendung der §§ 566 Abs. 1, 578 Abs. 1 BGB so zu behandeln, als habe die veräußernde Grundstücksgesellschaft die Mietverträge abgeschlossen (BGH NZM 2007, 847 Rn. 42). Denn der Gesetzeszweck des § 566 Abs. 1 BGB greift nicht nur dann, wenn das Mietobjekt unmittelbar vom Eigentümer des Mietobjekts vermietet wird, sondern auch dann, wenn ein Nichteigentümer den Mietvertrag im eigenen Namen, aber im wirtschaftlichen Interesse des Eigentümers abschließt.

Die für eine Analogie notwendige Vergleichbarkeit der Interessenlagen wird aber erst dann erreicht, wenn der Eigentümer bei einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise gleichsam als Vermieter angesehen werden kann. Dann ist es gerechtfertigt, dass er den von einem Dritten abgeschlossenen Mietvertrag gegen sich gelten lassen muss und er sein Eigentum nur mit einem Mietvertrag „belastet“ veräußern kann, an dessen Abschluss er nicht selbst beteiligt war. Deshalb kommt bei Nichterfüllung des Identitätserfordernisses eine analoge Anwendung des § 566 Abs. 1 BGB etwa dann in Betracht, wenn der Eigentümer zur Vermietung seines Grundstücks einen Hausverwalter einsetzt oder als einer von mehreren Eigentümern oder als Alleingesellschafter einer GmbH den Mietvertrag schließt. Nutzt der Eigentümer, statt selbst den Mietvertrag abzuschließen, eine formale rechtliche Konstruktion, um nicht selbst als Vermieter in Erscheinung zu treten, ist es gerechtfertigt, ihn im Rahmen des § 566 BGB so zu behandeln, als habe er den Mietvertrag selbst abgeschlossen. Dadurch wird auch verhindert, dass der Eigentümer, um den von § 566 Abs. 1 BGB gewährten Mieterschutz zu umgehen, nicht selbst den Mietvertrag abschließt, sondern eine dritte Person einschaltet, die formal als Vermieter auftritt, letztlich aber allein im Interesse des Eigentümers handelt (BGH NZM 2017, 847 Rn. 37).

Die bloße Zustimmung oder das Einverständnis des Eigentümers zur Vermietung seines Grundstücks durch einen Dritten oder die spätere Genehmigung des durch einen Nichteigentümer abgeschlossenen Mietvertrags reichen hingegen nicht aus, um eine analoge Anwendung des § 566 Abs. 1 BGB zu rechtfertigen. Auf dieser Grundlage war die Annahme des Berufungsgerichts, § 566 Abs. 1 BGB sei im vorliegenden Fall entsprechend anwendbar, rechtsfehlerhaft. Die für eine analoge Anwendung der Vorschrift erforderliche Vergleichbarkeit der Sachverhalte ist nicht gegeben.

Auch führt die Regelung in § 4 Abs. 4 des Grundstückskaufvertrags vom 20.06.2008 zu keiner anderen Beurteilung. In dieser Vertragsbestimmung haben die Kaufvertragsparteien zwar vereinbart, dass die Käuferin das Pachtverhältnis übernehmen und mit Wirkung ab dem Übergabetag mit allen Rechten und Pflichten des Verpächters fortsetzen soll. Dennoch ist die Klägerin nicht im Wege einer rechtsgeschäftlichen Vertragsübernahme in den zwischen der S-GmbH und dem Beklagten abgeschlossenen Mietvertrag vom 18.01.2008 eingetreten. Zwar enthält § 4 Abs. 4 des Grundstückskaufvertrags vom 20.07.2008 eine Verpflichtung der Klägerin zur Übernahme und Fortsetzung des Mietverhältnisses. Für eine rechtsgeschäftliche Übernahme des Mietvertrags genügt dies jedoch nicht. Nach allgemeiner Meinung ist die Vertragsübernahme ein einheitliches Rechtsgeschäft, das der Zustimmung aller Beteiligter bedarf. Dabei kann die Vertragsübernahme als dreiseitiger Vertrag oder durch Vertrag zwischen zwei Beteiligten geschlossen werden, der durch den dritten Beteiligten genehmigt wird (BGH NJW 2013, 1083 Rn. 19 m.w.N.). Erforderlich ist jedoch stets die Beteiligung der ursprünglichen Mietvertragsparteien. Daran fehlt es im vorliegenden Fall, weil die S-GmbH als Vermieterin der Grundstücksfläche weder an dem Grundstückskaufvertrag vom 20.06.2008 beteiligt war, noch nachträglich der Vertragsübernahme zugestimmt hat.

Der Bundesgerichtshof lässt offen, ob der ursprüngliche Mietvertrag wegen eines Schriftformfehlers (da die Mietsache in der Anlage zum „Pachtvertrag“ nicht hinreichend konkret bestimmt wurde) nach §§ 550 S. 1, 578 Abs. 2 S. 1 BGB vor Ablauf der vereinbarten Mietdauer ordentlich gekündigt werden konnte. Die Kündigungsbefugnis ergab sich nämlich bereits daraus, dass zwischen der Klägerin und dem Beklagten konkludent ein Mietvertrag zustande gekommen war, indem die Klägerin dem Beklagten die Grundstücksfläche seit 2009 überlassen und der Beklagte die Miete an die Klägerin gezahlt hat. Dieser eigenständige konkludente Mietvertrag ist entgegen §§ 550 S. 1, 578 Abs. 2 S. 1 BGB nicht schriftlich abgeschlossen worden, sodass er für unbestimmte Zeit galt und ordentlich kündbar war. Er wahrte auch nicht etwa deswegen die Schriftform der §§ 578, 550 BGB, weil er inhaltsgleich mit den in der äußeren Form niedergelegten Vertragsbedingungen konkludent abgeschlossen worden ist (vgl. dazu BGH NJW 2015, 2648 Rn. 33). Denn im Gegensatz zu dem genannten Urteil des Bundesgerichtshofs lag in der streitgegenständlichen Sache schon keine von beiden Parteien unterzeichnete Mietvertragsurkunde vor. Somit wurde der konkludent abgeschlossene Mietvertrag von der Klägerin wirksam gemäß § 580 a Abs. 1 Nr. 3 BGB zum 30.06.2017 gekündigt.