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Bundesgerichtshof, Urteil vom 22.05.2018 – VIII ZR 180/18 – “Instanzgerichte müssen bei Widerspruch gegen eine Kündigung genauer prüfen


Der klagende Vermieter, der mit seiner Ehefrau und 2 Kleinkindern bislang zur Miete in einer 57 m² großen Zweizimmerwohnung lebt, hat eine Dreizimmerwohnung in Berlin mit einer Fläche von 73 m² zwecks Eigennutzung erworben. Diese Wohnung wurde durch eine im Jahr 1937 geborene Beklagte bewohnt, die seit 1974 Mieterin ist und in der Wohnung mit ihren beiden über 50 Jahre alten Söhne lebt. Der Vermieter kündigte das Wohnraummietverhältnis wegen Eigenbedarfs. Die Beklagte widersprach dieser Kündigung, weil ihr ein Umzug aufgrund ihres Alters, ihrer Verwurzelung in der Umgebung durch die lange Mietdauer sowie einer Demenzerkrankung, die sich durch den Umzug weiter zu verschlechtern droht, nicht zumutbar sei. In der Berufungsinstanz wurde hierzu ein Attest vorgelegt, woraus sich ergibt, dass die beklagte Mieterin nur noch bedingt in der Lage ist, Neues zu erlernen und sich in einer neuen Umgebung zurechtzufinden, weshalb ein Umzug mit einer Verschlechterung des Gesundheitszustandes einhergehen würde.

Die Räumungsklage des Vermieters wurde vom Berufungsgericht abgewiesen. Die Kündigung sei zwar wirksam gewesen. Aufgrund des Härtefalls und des Widerspruchs gegen die Kündigung hat das Gericht jedoch bestimmt, dass das Mietverhältnis der Parteien auf unbestimmte Zeit fortgesetzt werden müsse (§ 574a Abs. 2 S. 2 BGB). Der Bundesgerichtshof hat das Urteil aufgehoben und die Sache zur weiteren Sachaufklärung zurückverwiesen. Zur Begründung hat er ausgeführt, dass sowohl auf Seiten des Vermieters als auch auf Seiten des Mieters grundrechtlich geschützte Belange (einerseits Eigentum und andererseits Gesundheit) betroffen sind, weshalb eine umfassende Sachverhaltsaufklärung sowie eine besonders sorgfältige Abwägung erforderlich ist, ob im jeweiligen Einzelfall die Interessen des Mieters an der Fortsetzung des Mietverhältnisses diejenigen des Vermieters an dessen Beendigung überwiegen.

Dabei stellt der Bundesgerichtshof klar, dass sich allgemeine Fallgruppen (wie z.B. ein bestimmtes Alter des Mieters oder eine bestimmte Mietdauer, in denen generell die Interessen einer Mietpartei überwiegen) sich nicht bilden lassen. Diese Faktoren wirken sich nämlich je nach Persönlichkeit und körperlicher wie psychischer Verfassung des Mieters unterschiedlich aus. Ohne weitere Feststellungen lässt sich daher eine Härte im Sinne des § 574 Abs. 1 S. 1 BGB nicht begründen.

Wenn substantiiert drohende schwerwiegende Gesundheitsgefahren geltend gemacht werden, haben die Gerichte beim Fehlen eigener Sachkunde sich mithilfe eines Sachverständigen ein genaues und nicht nur an der Oberfläche haftendes Bild zu verschaffen, welche gesundheitlichen Folgen im Einzelnen mit einem Umzug verbunden sind. Ein Sachverständigengutachten wird regelmäßig von Amts wegen einzuholen sein, wenn der Mieter eine zu besorgende Verschlechterung seines Gesundheitszustandes durch ärztliches Attest belegt hat. Von Bedeutung ist dabei auch, ob und inwieweit sich mit einem Umzug einhergehende Folgen mittels Unterstützung durch das Umfeld bzw. durch begleitende ärztliche oder therapeutische Behandlungen mindern lassen.

Der Bundesgerichtshof ermahnt demnach die Instanzgerichte dazu, sehr sorgfältig den Sachverhalt – notfalls mittels eines Sachverständigengutachtens – festzustellen, um dann eine angemessene Abwägung bei der Härtefallprüfung vorzunehmen. Hieran hat es im vorliegenden Fall gefehlt, weil das Gericht dem Interesse des Vermieters, die Wohnung selbst zu bewohnen, schematisch ein geringeres Gewicht beigemessen hat, weil er eine vermietete Wohnung erworben hat. Darüber hinaus hat es bei der Härteabwägung eine zu besorgende erhebliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes der beklagten Mieterin angenommen, obwohl es hierfür mangels Einholung eines Sachverständigengutachtens keine Grundlage gegeben hat. Durch die Zurückverweisung wird das Landgericht Berlin nunmehr Gelegenheit erhalten, diese Versäumnisse nachzuholen und den Sachverhalt auf tragfähiger Grundlage zu ermitteln, um dann abzuwägen, ob die Interessen des Mieters oder des Vermieters überwiegen.