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BGH, Urteil vom 12.12.2014 – V ZR 53/14 – “Bei Auslegung von Anfechtungsanträgen ist der wirkliche Wille der Parteien zu erforschen


In der Gemeinschaftsordnung der sich im Streit befinden Wohnungseigentümergemeinschaft ist festgelegt, dass ihre Änderung nur mit Zustimmung von 4/5 aller vorhandenen Stimmen der Wohnungseigentümer möglich ist. Am 22.05.2012 fand eine Eigentümerversammlung statt. Unter TOP4 Antrag 1 wurde der Beschluss über die Genehmigung der Einzel- und Gesamtabrechnung 2011, unter TOP6 der Beschluss über den Einzel- und Gesamtwirtschaftsplan 2012 gefasst. Unter TOP4 Antrag 2 wurde noch ein weiterer Beschluss gefasst, in dem der in der Teilungserklärung vorgesehene Kostenverteilungsschlüssel ab dem Geschäftsjahr 2012 geändert wurde.

Der Kläger hat Anfechtungsklage gegen die „zu TOP 4 und TOP 6 gefassten Beschlüsse betreffend Gesamt- und Einzelabrechnungen 2011 und Einzel- und Gesamtwirtschaftsplan 2012″erhoben. Das Amtsgericht hat die zu TOP6 gefassten Beschlüsse für ungültig erklärt und die Klage im Übrigen abgewiesen. Die auf TOP4 Antrag 2 beschränkte Berufung des Klägers ist erfolglos geblieben. Der Kläger möchte erreichen, dass der unter TOP 4 Antrag 2 gefasste Beschluss für ungültig erklärt wird.

Das Berufungsgericht sieht die (einmonatige) Anfechtungsfrist im Hinblick auf diesen TOP 4 Antrag 2 nicht als gewahrt an. Die Auslegung der Klageschrift ergebe, dass lediglich der Beschluss über die Genehmigung der Einzel- und Gesamtabrechnung 2011 angefochten werden sollte, was nur den Antrag 1 betrifft.

Der Bundesgerichtshof widerspricht dieser Einschätzung und verhilft der Revision zum Erfolg. Die Anfechtungsfrist von einem Monat für die Anfechtung des TOP4 Antrag 2 wurde nicht versäumt. Zwar muss der Kläger zwecks Wahrung der Klagefrist mitteilen, gegen welchen Beschluss aus welcher Eigentümerversammlung er sich wenden will. Auch kann die Auslegung ergeben, dass eine Beschränkung auf einzelne Beschlüsse oder abtrennbare Punkte erfolgt ist. Bei einer solchen Auslegung darf man aber nicht am buchstäblichen Sinn des Ausdrucks stehen bleiben. Es ist vielmehr der wirkliche Wille der Parteien zu erforschen. Im Zweifel ist dasjenige gewollt, was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und der wohlverstandenen Interessenlage entspricht. Nur wenn sich dieses Rechtsschutzziel durch diese gebotene Auslegung nicht ermitteln lässt, gehen die verbliebenen Unklarheiten zu Lasten des Klägers.

Wenn der weitere Inhalt der Klageschrift einbezogen wird, kann eine Ablehnung der Anfechtung des TOP4 Antrag 2 nicht angenommen werden. Der Kläger hat nämlich mitgeteilt, an der Versammlung persönlich nicht teilgenommen und eine Niederschrift noch nicht erhalten zu haben. Er hatte demnach keine näheren Kenntnisse von den gefassten Beschlüssen und konnte sie folglich nicht genau bezeichnen. Unter diesen Umständen ist davon auszugehen, dass er die zu TOP4 gefassten Beschlüsse umfassend anfechten wollte. Es lässt sich jedenfalls nicht dem Klageantrag entnehmen, dass nur TOP4 Antrag 1 angefochten werden sollte. Dies gilt umso mehr, als der Kläger das Rechtsschutzziel dahingehend verdeutlicht hat, ihm sei berichtet worden, dass „insbesondere bei der Aufteilung der Wohngelder zu seinem Nachteil von den Vorgaben der Teilungserklärung abgewichen worden“ sei. Offenkundig bezog sich die Ausführung auf die dauerhafte Änderung des in der Teilungserklärung vorgesehenen Kostenverteilungsschlüssels, die Gegenstand von TOP4 Antrag 2 war.

Aus diesem Grund konnte das Urteil keinen Bestand haben. Der Bundesgerichtshof konnte auch in der Sache selbst entscheiden, da diese zur Entscheidung reif war. Der Bundesgerichtshof hat auch in der Sache den Anfechtungsgrund bejaht. Denn die Mehrheit von 4/5 aller vorhandenen Stimmen der Wohnungseigentümer ist nicht erreicht worden. Aus § 16 Abs. 3 WEG ergibt sich keine Beschlusskompetenz, da von der Änderung auch Instandsetzungskosten betroffen waren. Der Anwendungsbereich von § 16 Abs. 3 WEG umfasst aber keine Instandsetzungskosten. Die Änderung der Verteilung von Instandsetzungskosten erlaubt zwar § 16 Abs. 4 WEG, dies jedoch nur für einen Einzelfall und nicht generell für die Zukunft.

Der Beschluss konnte auch nicht teilweise aufrechterhalten werden (beschränkt auf die Betriebskosten). Denn nach dem hypothetischen Parteiwillen kann schon deshalb nicht zweifelsfrei davon ausgegangen, dass der Beschluss auch als Teilregelung beschlossen worden wäre, weil dies eine unterschiedliche Abrechnung der Betriebs- und Instandhaltungskosten zur Folge hätte.