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„AGB trotz Modifikationen“
In Nebenkostenprozessen wird nicht selten darüber gestritten, ob es sich bei den maßgeblichen mietvertraglichen Bestimmungen um Allgemeine Geschäftsbedingungen handelt. Die rechtliche Einordnung ist von großer Bedeutung, denn nur Allgemeine Geschäftsbedingungen unterliegen einer Inhaltskontrolle gemäß §§ 305 ff. BGB und werden daraufhin geprüft, ob sie wegen einer unangemessenen Benachteiligung unwirksam sind. Allgemeine Geschäftsbedingungen sind alle für eine Vielzahl von Verträgen vorformulierte Vertragsbedingungen, die eine Vertragspartei – im Regelfall der Vermieter – der anderen Vertragspartei bei Abschluss eines Vertrages stellt. Allgemeine Geschäftsbedingungen liegen hingegen nicht vor, soweit die Vertragsbedingungen zwischen den Vertragsparteien im Einzelnen ausgehandelt sind (§ 305 Abs. 1 BGB).
In der Praxis gehen die Mietvertragsparteien gelegentlich vorschnell davon aus, dass eine Individualvereinbarung vorliegt, wenn die im Mietvertrag enthaltene Formularklausel abgeändert wurde. Diese Schlussfolgerung ist, wie die nachfolgend geschilderten Beispielsfälle zeigen, nicht selten falsch.
In einem Mietvertrag ist eine formularmäßige Ausschlussfrist enthalten, wonach die Nebenkostenabrechnung als anerkannt gelten soll, wenn der Mieter nicht innerhalb einer bestimmten Frist Einwendungen vorbringt. Der Mietvertrag enthält folgende Klausel:
„Der Vermieter wird jährlich über die Nebenkosten abrechnen. Der Vermieter wird dem Mieter auf dessen Wunsch innerhalb vier Wochen Einsicht in die Abrechnungsunterlagen geben. Die Abrechnung gilt als anerkannt, wenn der Mieter dieser nicht innerhalb einer weiteren Frist von vier Wochen unter Angabe von Gründen schriftlich widersprochen hat. Der Vermieter verpflichtet sich, den Mieter in der Abrechnung auf die Ausschlussfrist und auf die Rechtsfolgen der Fristversäumnis besonders hinzuweisen.“
In einer Zusatzvereinbarung zum Mietvertrag vereinbaren die Parteien, dass die Frist von vier Wochen, innerhalb der in die Belege Einsicht genommen werden kann, auf sechs Wochen verlängert wird.
Nun stellt sich die Frage, ob diese Regelung einer AGB-Kontrolle unterzogen werden kann oder ob sie kontrollfrei ist, weil es sich um eine Individualvereinbarung handelt. Hierbei sprechen sehr gute Argumente dafür, dass wir es nicht mit einer Individualvereinbarung zu tun haben. Eine im Einzelnen ausgehandelte Individualvereinbarung liegt gemäß § 305 Abs. 1 S. 3 BGB („im Einzelnen“) nur vor, wenn sich das Aushandeln auf bestimmte Klauseln bezieht. Nur in diesem Umfang („soweit“) liegt eine Individualvereinbarung vor, die zur Nichtanwendung der AGB-Kontrolle gemäß §§ 305 ff. BGB führt (BGH NJW 19, 2080 und Grüneberg, BGB, § 305 Rn. 20). Deshalb spricht vieles dafür, dass die mietvertragliche Ausschlussklausel, soweit sie nicht geändert wurde, eine Allgemeine Geschäftsbedingung und keine Individualvereinbarung ist. Folglich dürfte die nicht geänderte Ausschlussfrist, also die Frist, innerhalb der Einwendungen geltend zu machen sind, eine Allgemeine Geschäftsbedingung und keine Individualvereinbarung sein.
Im Urteil vom 07.03.2013 – VII ZR 162/12 – führt der Bundesgerichtshof bei juris Rn. 30 aus:
„Eine Allgemeine Geschäftsbedingung verliert ihren Charakter als nach §§ 305 ff. BGB der Inhaltskontrolle unterliegender Klausel nicht allein dadurch, dass sie von den Parteien nachträglich geändert wird. Vielmehr muss die nachträgliche Änderung in einer Weise erfolgen, die es rechtfertigt, sie wie eine von vornherein getroffene Individualvereinbarung zu behandeln. Das ist nicht der Fall, wenn der Verwender auch nach Vertragsschluss dem Vertragspartner keine Gestaltungsfreiheit einräumt und den gesetzesfremden Kerngehalt der Klausel nicht zur Disposition gestellt hat und die Parteien auf dieser Grundlage eine Einigung finden, mit der die nachteilige Wirkung der Klausel lediglich abgeschwächt wird (vergleiche OLG Köln NJW-RR 2000, 1487; Staudinger/Schlosser, BGB, 13. Bearb. 2006, § 305 Rn. 49; Münchener Kommentar BGB/Basedow, aaO, § 305 Rn. 42, 44; Palandt/Grüneberg, aaO, § 305 Rn. 20). Denn in diesem Fall wirkt die zum Nachteil des Vertragspartners unangemessen ausgeübte Gestaltungsmacht des Verwenders fort.“
Das Landgericht Berlin II befasste sich in einem von uns erstrittenen Urteil vom 09.01.2024 (103 O 62/22) mit der Frage, ob Formularklauseln durch die Einfügung von Obergrenzen zu Individualvereinbarungen wurden. Das Landgericht Berlin II hat die zu beantwortende Rechtsfrage unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs verneint. Das Landgericht Berlin II führt aus:
„Nach alledem ist vorliegend kein „Aushandeln“ der in Rede stehenden Regelungen gemäß § 305 Abs. 1 S. 3 BGB ersichtlich. Diese muss sich auf jede einzelne Regelung beziehen; keine Ausstrahlung durch Änderung anderer Regelungen (OLG Hamm Urteil vom 09.01.2011, 2 U 104/11).
Die unstreitig erfolgte Änderung und Einführung von Obergrenzen sowie die Streichung einer weiteren Klausel genügt demnach jeweils nicht. Letzteres hat keine Ausstrahlung auf die fortbestehenden Klauseln. Die Einführung und Herabsetzung von Obergrenzen für eine Kostenbeteiligung der Klägerin stellt demgegenüber lediglich eine Abschwächung der Umlageregelung als solcher dar. Dies genügt aber nicht, wenn der gesetzesfremde Kerngehalt bestehen bleibt (BGH NZBau 2016,2 1013). Dies war hier der Fall.“
Im Urteil des Bundesgerichtshofs vom 22.10.2015 – VIII ZR 58/14 – heißt es bei juris Rn. 25 ff.:
„Die Annahme des Berufungsgerichts, bei dieser Klausel handle es sich nicht um eine von der Klägerin gestellte Allgemeine Geschäftsbedingung, sondern um eine von den Parteien im Einzelnen ausgehandelte Vertragsbestimmung, wird von den bisherigen Feststellungen des Berufungsgerichts nicht getragen. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist individuelles Aushandeln mehr als Verhandeln. Von einem Aushandeln ist nur dann auszugehen, wenn der Verwender den gesetzesfremden Kerngehalt seiner Allgemeinen Geschäftsbedingungen inhaltlich ernsthaft zur Disposition stellt und dem Verhandlungspartner Gestaltungsfreiheit zur Wahrung eigener Interessen einräumt mit zumindest der realen Möglichkeit, die inhaltliche Ausgestaltung der Vertragsbedingungen zu beeinflussen.
Für die Annahme eines Aushandelns ist es demnach nicht ausreichend, dass es der Beklagten im Rahmen der Vertragsverhandlungen gelungen ist, die unstreitig von der Klägerin vorformulierte Vertragsbedingung über eine Pauschale in § 4.3 dahin zu modifizieren, dass im Falle der nicht vollständigen Erfüllung der übernommenen Lieferverpflichtung lediglich ein Betrag in Höhe von Euro 30 je Tonne Abfall anstatt in Höhe von Euro 115 zu zahlen war. Ein Aushandeln liegt nicht vor, wenn die für den Vertragspartner des Verwenders nachteilige Wirkung der Klausel im Zuge von Vertragsverhandlungen zwar abgeschwächt, der gesetzesfremde Kerngehalt der Klausel vom Verwender jedoch nicht ernsthaft zur Disposition gestellt wird (vergleiche BGH, Urteil vom 27.03.1991 – IV ZR 90/90, NJW 1991, 1678, 1679, juris Rn. 14; BGH, Urteil vom 07.03.2013 – XII ZR 162/12, BauR 2013, 946 Rn. 30 = NZBau 2013, 297).“
Somit sollte man nicht vorschnell die Flinte ins Korn werfen, wenn eine Formularklausel im Mietvertrag modifiziert wurde und falsch meinen, deshalb sei keine Wirksamkeitskontrolle nach den Bestimmungen über Allgemeine Geschäftsbedingungen möglich.