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OLG Hamm, Urteil vom 08.11.2016 – 10 U 36/15– “Zur Sittenwidrigkeit eines Pflichtteils- und Erbverzichts


Die Vereinbarung eines Erbteils- und Pflichtteilsverzichts kann für beide Parteien Vorteile bringen. Der Erblasser kann seine Vermögensnachfolge vorzeitig regeln, insbesondere den oder die von ihm bestimmten Erben vor späteren Pflichtteilsansprüchen schützen und der Verzichtende kann sich den Verzicht durch eine vorzeitige Abfindung vergüten lassen und muss nicht bis zum Erbfall warten. Abgesehen davon kann eine entsprechende Vereinbarung spätere Streitigkeiten unter Miterben oder zwischen Erben und Pflichtteilsberechtigten vermeiden. Einem solchen Verzicht sind aber Grenzen gesetzt, zum einen in formeller Hinsicht, da ein Verzicht nur wirksam ist, wenn er notariell beurkundet ist, zum anderen aber auch dann, wenn die getroffene Vereinbarung ein erhebliches Ungleichgewicht zu Lasten des Verzichtenden ausweist. Über einen solchen Fall hat das OLG Hamm mit Urteil vom 08.11.2016 (10 U 36/15) entschieden und einen Erbverzichtsvertrag wegen Sittenwidrigkeit für unwirksam erklärt.

Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt zu Grunde: Der 1995 geborene Kläger ist Sohn des Beklagten aus dessen erster Ehe. Der Kläger ist bei seiner Mutter aufgewachsen und der Beklagte lebt zusammen mit seiner langjährigen Lebensgefährtin und einer aus dieser Beziehung stammenden Tochter. Anfang 2013 bot der Beklagte dem Kläger eine Ausbildung zum Zahntechniker in einem Zahnlabor, in dem er Mitgesellschafter ist, an. Während der Zeit der Ausbildung lebte der Kläger beim Beklagten. Zwei Tage nach dem 18. Geburtstag des Klägers fuhr sein Vater, der Beklagte, mit ihm zum Notar und es wurde dort ein Erbteils- und Pflichtteilsverzicht beurkundet. Als Gegenleistung sollte der Beklagte einen Sportwagen (Wert ca. EUR 100.000,00) erhalten, dies aber nur unter den aufschiebenden Bedingungen, dass der Kläger das 25. Lebensjahr vollendet hat, die Gesellenprüfung zum Zahntechniker bis 31.12.2017 mit der Note 1 bestanden hat und seine Meisterprüfung zum Zahntechniker bis 31.12.2021  mit der Note 1 bestanden hat. Kurz nach der Beurkundung reute der Kläger den Vertragsschluss und wollte diesen rückgängig machen. Da der Beklagte sich weigerte, die Nichtigkeit des Vertrages anzuerkennen, reichte der Kläger Klage auf Feststellung der Nichtigkeit des notariellen Vertrages ein.

Zu Recht, wie das Landgericht und das OLG Hamm als Berufungsgericht entschieden haben. Sittenwidrig und damit nichtig gemäß § 138 BGB ist ein Rechtsgeschäft, wenn es nach seinem Gesamtcharakter gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Folgt die Sittenwidrigkeit nicht schon allein aus dem Inhalt des Geschäfts, kann sie sich aus einer zusammenfassenden Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck des Rechtsgeschäfts, sowie der äußeren Umstände, die zu seiner Vornahme geführt haben, ergeben. Dies hat das OLG hier bejaht, weil ein erhebliches Ungleichgewicht zulasten des verzichtenden Klägers festgestellt werden konnte. Dies zum einen deshalb, weil der Erbverzicht mit sofortiger Wirkung und unbedingt vereinbart sei, während die Gegenleistung unter drei, kumulativ zu erfüllenden Bedingungen gestellt sei, mit der Folge, dass der Erbverzicht bei Nichteintritt auch nur einer der Bedingungen unentgeltlich erlangt sei. Außerdem seien auch die Bedingungen für die Gegenleistung bedenklich. Insoweit sei zum einen zu berücksichtigen, dass sich der Wert des als Gegenleistung für den Verzicht versprochenen Fahrzeugs durch die mit der ersten Bedingungen gesetzte zeitliche Komponente aufgrund des in der Zwischenzeit unweigerlich eintretenden Wertverlustes erheblich reduziert. Die beiden weiteren Bedingungen haben den Kläger in zu missbilligender Weise in der Wahl seines beruflichen Werdegangs eingeschränkt, da ihm keinerlei Spielraum zu einer beruflichen Umorientierung gelassen wurde. Dadurch entfalten die Bedingungen eine knebelnde Nebenwirkung, die einen unzulässigen Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des noch jugendlichen Klägers darstellt. Verschärft werde die Druckwirkung noch dadurch, dass die Bedingungen nur bei Erreichen der Bestnote erfüllt sein sollten. Für eine Sittenwidrigkeit der Vereinbarung sprechen aber zudem auch die äußeren Umstände des Geschäfts. Denn der Beklagte hat offensichtlich die in erheblichem Gegensatz zu seiner eigenen Geschäftsgewandtheit stehende jugendliche Unerfahrenheit und Beeinflussbarkeit seines Sohnes zu seinem Vorteil ausgenutzt. Dies gelte zum einen im Hinblick auf die Wahl des Gegenstands der in Aussicht gestellten Abfindung, mit der sich der Beklagte ersichtlich zielgerichtet die alters- und persönlichkeitsbedingte nahezu fanatische Begeisterung des Klägers für Sportwagen zunutze machte und zudem der Zeitpunkt des Geschäfts zwei Tage nach dem 18. Geburtstag des Klägers. Der Beklagte hat den Kläger auch nicht in die Vorbereitung des Beurkundungstermins mit einbezogen, sondern den Entwurf nach seinen eigenen Vorgaben gestalten lassen und den Kläger mit dem Vorschlag quasi überrumpelt. Demnach hat das OLG Hamm den Verzicht auch zu Recht für unwirksam erklärt.

Auch wenn es, wie einleitend ausgeführt, ein berechtigtes Interesse des Erblassers geben kann, zur Erlangung einer weitergehenden Testierfreiheit einen Erb- und Pflichtteilsverzicht mit potentiellen Erben zu vereinbaren, sind dem, wie die Entscheidung des OLG Hamm zeigt, doch Grenzen gesetzt. Dies bedeutet aber nicht, dass jede nachteilige Regelung später ohne Weiteres wieder angefochten werden kann. Denn grundsätzlich gilt der Grundsatz der Vertragsfreiheit und es müssen schon erhebliche Umstände ins Felde geführt werden, um eine Sittenwidrigkeit des Verzichts zu begründen.