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OLG Stuttgart, Beschluss vom 23.11.2020 – 8 W 359/20 – “Zur Auslegung eines enterbenden Testaments


So wie die Rechtsprechung befasst sich auch dieser Newsletter regelmäßig mit der Auslegung von Testamenten. In einem aktuellen Beschluss des OLG Stuttgart vom 23.11.2020 (8 W 359/20) ging es um die Besonderheit, dass die Erblasserin ein sogenanntes Negativtestament errichtet hat. Denn sie hat in ihrem Testament keinen Erben benannt sondern Folgendes bestimmt: „Ausgeschlossen sind alle Verwandten und angeheiratete Verwandten!“. Ein solches Negativtestament ist grundsätzlich möglich und hat, wenn tatsächlich alle Angehörigen und Verwandten wirksam von der Erbfolge ausgeschlossen sind, zur Folge, dass der Staat als Erbe berufen ist. Begründet hat die Erblasserin die Enterbung der Verwandten damit, dass sich die Verwandten nicht hinreichend empathisch mit Ihrem Schicksal als  Vertriebene gezeigt hatten.

Gleichwohl hat der Bruder der Erblasserin nach deren Tod einen Erbschein beantragt und das OLG hat ihm trotz des auf den ersten Blick eindeutigen Ausschlusses der Verwandten in dem Testament recht gegeben. Denn der Wortlaut ist für die Ermittlungen des erklärten Willens nur der Ausgangspunkt der Auslegung. Der Wortsinn muss aber stets hinterfragt werden, wobei auch außerhalb der Testamentsurkunde liegende Umstände zu berücksichtigen sind. Auch wenn nach dem Wortlaut der Bruder grundsätzlich unter den Begriff der Verwandten fällt, ging es der Erblasserin aus Sicht des OLG vorliegend nur um die Verwandten, die sich nicht hinreichend empathisch mit dem Vertriebenenschicksal gezeigt haben. Der Bruder konnte aber darlegen, dass ihn das von der Erblasserin im Testament beschriebene Schicksal als Vertriebener ebenfalls getroffen hat und er bis zum Schluss guten Kontakt zu seiner Schwester hatte. Daher sollte er von dem Ausschluss der Verwandten in dem Testament nicht erfasst sein, andernfalls, so das OLG, wäre er voraussichtlich ausdrücklich aufgeführt worden, zumal die Erblasserin in dem Testament andere Personen (z.B. die Schwägerin der Mutter und den Vetter der Mutter) namentlich erwähnt hat.

Auch bei einem enterbenden Testaments/Negativtestament sollte sich der Erblasser also klar und eindeutig ausdrücken und am besten juristisch beraten lassen, damit seinem Willen zur Geltung verholfen werden kann. Es sollte insbesondere klargestellt werden, ob alle Verwandten ausgeschlossen sind und damit der Fiskus erben soll oder ob der Ausschluss nur für bestimmte Personen gelten soll.