Project Description

BGH, Urteil vom 10.05.2017 – VIII ZR 292/15 – “Wann liegt ein berechtigtes Interesse des Vermieters an der Beendigung des Mietverhältnisses vor?


Grundsätzlich kann der Vermieter ein Wohnraummietverhältnis nur kündigen, wenn Kündigungsgründe vorliegen. Eines der bekanntesten Kündigungsgründe ist der so genannte Eigenbedarf, wenn demnach die Wohnräume der Vermieter für sich, seine Familienangehörigen oder Angehörige seines Haushalts benötigt. Geregelt ist dieser Kündigungstatbestand in § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB. Weit weniger bekannt ist, dass der Vermieter nicht auf die ausdrücklich im Gesetz genannten Kündigungsgründe beschränkt ist. Es existiert vielmehr eine Generalklausel im § 573 Abs. 1 S. 1 BGB, wonach der Vermieter auch dann das Mietverhältnisse beenden darf, wenn er ein berechtigtes Interesse hat. Der Bundesgerichtshof hatte nunmehr darüber zu entscheiden, wann ein solches berechtigtes Interesse vorliegt.

In dem vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall waren die Beklagten seit dem Jahr 1996 Mieter eines Mehrfamilienhauses in Rostock. Der Vermieter ist ein eingetragener Verein, der zugleich an einer GmbH beteiligt ist, die Trägerin vielfältiger Einrichtungen mit umfassender medizinischer, sozialer, pädagogischer und rehabilitativer Betreuung ist. Diese GmbH beabsichtigt, das Gebäude unter Nutzung von Fördermitteln und ohne finanzielle Belastung für den Kläger zu sanieren und umzubauen. Es sollen psychosoziale Wohngruppen mit insgesamt 23 Wohnplätzen und im Nebengebäude eine Tischlerei und Grünholzwerkstatt untergebracht werden. Der klagende Verein möchte dieses Grundstück zur Verwirklichung dieses Projektes an die GmbH vermieten. Mit Schreiben vom 01.08.2013 kündigte daher der Vermieter das Mietverhältnis und begründete dies damit, dass andernfalls das geplante Projekt nicht realisiert werden könne. Die Zahlung eines Investitionszuschusses von EUR 2.100.000 sei unabdingbar mit der Schaffung der Wohnplätze im Wohngebäude verbunden. Die beklagten Mieter widersprachen der Kündigung und machten geltend, dass ein Kündigungsgrund nicht vorliegt.

Der auf Räumung und Herausgabe der Wohnung gerichteten Klage hat das Amtsgericht Rostock stattgegeben. Das Landgericht Rostock änderte das Urteil ab und hat die Klage abgewiesen. Der Bundesgerichtshof entscheidet, dass die Kündigung unwirksam ist. Es liegt weder der vom Kläger geltend gemachte Kündigungstatbestand der Verwertungskündigung (§ 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB) vor noch ein berechtigtes Interesse im Sinne von § 573 Abs. 1 S. 1 BGB.

Der Kündigungstatbestand der Verwertungskündigung setzt nämlich voraus, dass der Vermieter durch den Fortbestand des Mietverhältnisses an einer Realisierung des dem Grundstück innewohnenden materiellen Wertes gehindert ist. Dieser materielle Wert wird in erster Linie durch Vermietung und Veräußerung realisiert. Der Kläger gab jedoch selbst an, dass er durch die Vermietung des nach der Sanierung im Wert gestiegenen Grundstückes an die Gesellschaft keine Erwartung habe höhere Mieteinnahmen zu erzielen, sondern vielmehr die Absicht verfolgt, das Anwesen der Umsetzung eines sozialpolitisch erwünschten Zieles zuzuführen. Daher konnte mangels wirtschaftlicher Verwertungsabsicht eine Verwertungskündigung nach § 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB nicht erfolgen.

In Betracht käme allenfalls die Generalklausel des § 573 Abs. 1 S. 1 BGB. Dabei ist eine einzelfallbezogene Feststellung und Abwägung der beiderseitigen Belange der betroffenen Mietvertragsparteien vorzunehmen. Bei der Frage, ob ein berechtigtes Interesse vorliegt, sind sowohl die Rechtsposition des Vermieters als auch das Besitzrecht des Mieters zu berücksichtigen, wobei sich allgemein verbindliche Betrachtungen verbieten. Vielmehr kommt es auf den jeweiligen Einzelfall an.

Für die Interessenabwägung kommt es als erster Anhaltspunkt darauf an, mit welchem Regeltatbestand des § 573 Abs. 2 BGB das geltend gemachte Interesse am ehesten vergleichbar ist. Wenn das vom Vermieter geltend gemachte Interesse an der Beendigung des Mietverhältnisses eine Nähe zum Eigenbedarfstatbestand (§ 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB) aufweist, reicht es regelmäßig aus, dass die Vorenthaltung der Mieträume für den Vermieter einen beachtenswerten Nachteil begründet. Trägt der Vermieter ein Interesse vor, das eine Nähe zur wirtschaftlichen Verwertung (§ 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB) aufweist, muss der Fortbestand des Wohnraummietverhältnisses für den Vermieter einen Nachteil von einigem Gewicht darstellen, der je nach Fallgestaltung auch die Intensität eines erheblichen Nachteils im Sinne von § 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB erfordern kann.

Im vom Bundesgerichtshof zu entscheidenden Fall bleibt der personale Einschlag des Nutzungsinteresses deutlich hinter dem einer Eigenbedarfskündigung zurück. Daneben verfolgt der klagende Verein auch wirtschaftliche Interessen. Er strebt zwar keine höheren Mieten an, will aber eigene Aufwendungen für die erforderlichen Sanierungs- und Umbaumaßnahmen ersparen, indem das Grundstück an die GmbH vermietet wird. Außerdem ist der Verein als Gesellschafter an einem möglichen Gewinn beteiligt.

Daher weist die vom Kläger gemachte Interessenlage eine größere Nähe zur Verwertungskündigung auf. In diesem Fall ist für die Annahme eines berechtigten Interesses erforderlich, dass der Vermieter durch die Vorenthaltung der Mieträume einen Nachteil von einigem Gewicht erleidet. Diese Schwelle wird aber nicht erreicht. Die Fortsetzung des Mietverhältnisses gefährdet die Finanzierung und Verwirklichung des Gesamtprojektes nicht, sondern führt lediglich dazu, dass 3 von insgesamt 23 geplanten Wohngruppen nicht geschaffen werden können.

Der Bundesgerichtshof führt daher seine Rechtsprechung zu den berechtigten Interessen fort und unterscheidet danach, ob es eine Nähe zur Eigenbedarfskündigung oder zur Verwertungskündigung gibt. Allgemeingültige Aussagen, wann eine Kündigung berechtigt ist, vermeidet der Bundesgerichtshof aufgrund der Vielfältigkeit der Fälle. Vielmehr ist jeder Einzelfall gesondert abzuwägen und zu entscheiden. Die Hürden, eine Kündigung auf Verwertungsgründe zu stützen, bleibt dabei sehr hoch und für einen Vermieter nahezu unerreichbar.