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Bundesgerichtshof, Urteil vom 20.07.2017 – III ZR 296/15 Wann beginnt die Verjährung?


Wird eine Kapitalanlage von einem Anleger gezeichnet, werden etwaige Pflichtverletzungen von Beratern oft erst nach Jahren erkannt und verfolgt, so dass in solchen Fällen die Gerichte oft darüber entscheiden müssen, ob die regelmäßige dreijährige Verjährungsfrist bereits abgelaufen ist. Der Streit entsteht deshalb, weil das Gesetz in seinem § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB vorsieht, dass die Verjährung mit dem Schluss des Jahres beginnt, in welchem der Anspruchsteller von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste. In dem vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall beteiligte sich der klagende Anleger im Jahr 2007 an einem Fonds in Form einer Kommanditgesellschaft. Dabei hat der klagende Anleger vorgetragen, dass er die Risikohinweise in einer Beratungsdokumentation „bind“ unterzeichnet hat und aus diesem Grund keine Kenntnisse über diese hatte. Das Landgericht hat die Verjährung bejaht, da aus Sicht des Gerichtes eine grob fahrlässige Unkenntnis im Sinne des § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB angenommen werden müsse, was zum Verjährungsbeginn 2007 und Verjährungseintritt vor Klageerhebung führe, weshalb die Klage abzuweisen sei. Der Bundesgerichtshof teilt diese Auffassung nicht. Denn grob fahrlässige Unkenntnis liegt vor, wenn dem Gläubiger die Kenntnis deshalb fehlt, weil er ganz naheliegende Überlegungen nicht angestellt oder das nicht beachtet hat, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen, wenn demnach dem Gläubiger die den Anspruch begründenden Umstände förmlich sich aufgedrängt haben. Damit muss dem Gläubiger persönlich ein schwerer Obliegenheitsverstoß in seiner eigenen Angelegenheit der Anspruchsverfolgung vorgeworfen werden. Sein Verhalten muss „schlechthin unverständlich“ bzw. „unentschuldbar“ sein.

Diese Grundsätze anwendend kann eine grob fahrlässige Unkenntnis im Sinne des § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB nicht allein darauf gestützt werden, dass der Anlageinteressent einen ihm überlassenen Emissionsprospekt oder den Text eines ihm nach Abschluss der Anlageberatung zur Unterschrift vorgelegten Zeichnungsscheins nicht gelesen hat. Auch das ungelesene Unterzeichnen einer Beratungsdokumentation kann allgemeingültig nicht stets den Vorwurf grob fahrlässiger Unkenntnis von hieraus ersichtlichen Pflichtverletzungen begründen. Jedoch lässt sich eine grobe Fahrlässigkeit auch allgemein nicht deshalb ablehnen, wenn ein Anleger eine Beratungsdokumentation ungelesen unterschreibt. Es ist vielmehr eine umfassende Würdigung der konkreten Umstände des Einzelfalls erforderlich. Diese beinhalten beispielsweise die inhaltliche Erfassbarkeit und grafische Auffälligkeit der Hinweise, den Ablauf und Inhalt des Beratungsgesprächs und des Zeitpunkts der Unterzeichnung der Beratungsdokumentation, der im Zusammenhang damit getätigten Aussagen, des Bildungs- und Erfahrungsstands des Anlegers oder des Bestehens eines besonderen Vertrauensverhältnisses zum Berater. Demnach darf der Kontext. in dem es zu der Unterzeichnung der Beratungsdokumentation gekommen ist, nicht ausgeblendet werden. Nachdem das Berufungsgericht diese Feststellungen nicht getroffen hat, musste das Urteil aufgehoben und an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden.

Der Bundesgerichtshof hat demnach Eckpunkte aufgestellt, welche das Gericht im Einzelfall zu beachten hat, wenn es über die Frage entscheidet, wann eine grobe Unkenntnis im Sinne von § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB vorliegt, die zum Verjährungsbeginn führt. Es bleibt dann in diesem aufgezeigten Rahmen dem Tatrichter nach Feststellung und Würdigung dieser Umstände die Entscheidung überlassen, ob er eine grobe Fahrlässigkeit annimmt oder ablehnt, was über den Erfolg oder Misserfolg der Klage entscheidet. Rechtsklarheit ist damit dahingehend geschaffen worden, welche Umstände der Richter bei seiner Würdigung zu beachten hat.