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Bundesgerichtshof, Beschluss vom 08.08.2023 – VIII ZR 234/22 – „Vorsicht bei Strafanzeige“


Eine grundlos falsche Strafanzeige gegen den Vertragspartner kann einen zur Kündigung berechtigenden Umstand darstellen, ebenso wissentlich unwahre oder leichtfertige falsche Angaben im Rahmen einer Strafanzeige, wie der Bundesgerichtshof am 08.08.2023 beschlossen hat. Die Beklagte ist Mieterin einer Wohnung der Klägerin in einem Mehrfamilienhaus in Berlin. Dort wohnte auch der geschäftsführende Gesellschafter der Klägerin. Zwischen den Parteien kam es zu Streitigkeiten über das Vorliegen von seitens der Beklagten geltend gemachten Mängeln und Beschädigungen der Wohnung. Der geschäftsführende Gesellschafter der Klägerin kritisierte das Verhalten der Beklagten zuletzt mit E-Mail vom 08.02.2021. Am 09.02.2021 wurden innerhalb eines kurzen Zeitraums auf den Namen der Beklagten von einem unbekannten Täter Bestellungen getätigt, Kreditanfragen und Anmeldungen bei Internetportalen vorgenommen, wobei die Daten der Beklagten wie ihre E-Mail-Adresse, Anschrift und Telefonnummer sowie ihre Bankverbindung unbefugt genutzt worden sind.

Die Beklagte erstattete daraufhin Strafanzeige und äußerte die Vermutung, dass der geschäftsführende Gesellschafter der Klägerin der Täter sein könne. Das Ermittlungsverfahren wurde am 01.09.2021 eingestellt, da der Täter nicht ermittelt werden konnte. Bereits mit Schreiben vom 01.07.2021 kündigte die Klägerin das Mietverhältnis wegen der Verdächtigung ihres geschäftsführenden Gesellschafters fristlos, hilfsweise ordentlich. Nachdem die Beklagte nicht räumte, hat die Klägerin Räumungsklage erhoben. Die Klage hatte keinen Erfolg.

Nach Ansicht des Bundesgerichtshofes ist die Einschätzung des Berufungsgerichtes, dass keine Pflichtverletzung des Mietvertrages vorliegt, rechtsfehlerfrei. Denn es ist mit dem Rechtsstaatsprinzip nicht vereinbar, wenn die berechtigte Wahrnehmung staatsbürgerlicher Rechte im Rahmen eines Strafverfahrens zu zivilrechtlichen Nachteilen führen würden. Eine Strafanzeige mit einer im Kern zutreffenden Sachverhaltsschilderung bietet daher keinen Grund für eine fristlose oder fristgerechte Kündigung. Ob die Erstattung einer Strafanzeige einen schwerwiegenden Verstoß gegen die mietvertraglichen Pflichten darstellt, ist unter Berücksichtigung und Abwägung aller Umstände des konkreten Einzelfalls zu beurteilen. So kann eine grundlos falsche Strafanzeige gegen einen Vertragspartner einen zur Kündigung berechtigenden Umstand darstellen, genauso wie unwahre oder leichtfertige falsche Angaben im Rahmen einer Strafanzeige. Vorliegend führt die einzelfallbezogene Würdigung zu einer Ablehnung der Pflichtverletzung. Denn die Taten sind vorliegend tatsächlich gegen die Beklagte begangen worden. Auch die Benennung des Verdachts gegen den geschäftsführenden Gesellschafter der Klägerin war hier zumindest nicht abwegig. Denn die Streitigkeiten zwischen den Parteien haben vor den Taten bereits die Ebene der Sachlichkeit überschritten. Die Mitteilung eines sich der Beklagten aufdrängenden Tatverdachtes gegen den geschäftsführenden Gesellschafter der Klägerin gehörte zu den bei einer Strafanzeige üblichen und zu erwartenden Angaben. Nachdem der Täter aufgrund der Anonymität über das Internet für die Beklagte nicht bekannt war und nicht ermittelbar war, dieser jedoch für die Bestellungen und Anmeldungen auf den Namen der Beklagten nicht allgemein zugänglichen Daten von ihr verwendete, lag es für die Beklagte nahe, diese im eigenen Umfeld zu vermuten, insbesondere dort, wo aktuelle Konflikte vorlagen. Die Benennung des geschäftsführenden Gesellschafters der Klägerin als Tatverdächtigen war damit objektiv nachvollziehbar und nicht leichtfertig.

Wer eine Strafanzeige stellt, sollte sorgfältig prüfen, ob und welche Konsequenzen auf der mietvertraglichen Ebene drohen. Grundlos falsche Strafanzeigen können genauso einen Grund zur Kündigung darstellen, ebenso wie wissentlich unwahre oder leichtfertige falsche Angaben. Dennoch gibt es keine verallgemeinerungsfähige Betrachtung. Dies verbietet sich aufgrund der Vielgestaltigkeit der Geschehensabläufe und der auf beiden Seiten zu berücksichtigenden Belange. Es kommt stets auf eine umfassende Würdigung aller Umstände des Einzelfalls an.