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BGH, Urteil vom 26.10.2022 – VIII ZR 390/21 – “Vertragsfortsetzung bei Suizidgefahr des Mieters“


Die Beklagte ist 1942 geboren und seit Juli 1977 Mieterin einer Zwei-Zimmerwohnung in Köln. Der 1958 geborene Kläger ist Vermieter der Wohnung. Er ist zugleich Eigentümer einer weiteren ca. 55 m² großen Wohnung auf der gleichen Etage des Anwesens, die anderweitig vermietet ist. Der Kläger selbst bewohnt eine ungefähr 123 m² große Wohnung auf demselben Stockwerk, deren Eigentümer sein Lebenspartner ist. Am 03.04.2017 kündigte der Kläger den Mietvertrag mit der Beklagten wegen Eigenbedarfs. Begründet ist die Kündigung damit, dass er die Wohnung für sich und seinen Lebenspartner benötigt, um sie mit der von ihnen bereits genutzten Wohnung zusammenzulegen. Dadurch soll eine Wohnung mit insgesamt 190 bis 200 m² entstehen. Zu dem bereits im Lichthof des Hauses installierten Aufzug soll ein Durchbruch erfolgen mit der Möglichkeit eines direkten Zugangs zu der geplanten Gesamtwohnung. Der 75-jährige Lebensgefährte habe orthopädische Probleme, weshalb der unmittelbare Zugang aus dem Aufzug ohne Treppen gesundheitlich erforderlich ist, heißt es in der Begründung zur Kündigung.

Die Mieterin widersprach der Kündigung und machte Härtegründe in Form von schweren Depressionen bis hin zu Suizidideen geltend. Der Kläger hat der Beklagten angeboten, seine weitere ca. 55 m² große Wohnung anzumieten, was die Beklagte aber ablehnte. Auch eine Therapie lehnte die Beklagte ab. Nachdem die Beklagte nicht ausgezogen ist, wurde Räumung begehrt, hilfsweise die Fortsetzung des Mietverhältnisses befristet für maximal ein Jahr unter Neufestsetzung einer Kaltmiete von nicht unter Euro 655,20, sowie einer Nebenkostenvorauszahlung von nicht unter Euro 80,00. Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen und die Fortsetzung des Mietverhältnisses auf unbestimmte Zeit ausgesprochen, wobei die Erhöhung der Nettokaltmiete auf Euro 367,49 zuzüglich einer Betriebskostenvorauszahlung von Euro 69,02 angeordnet wurde. Das Landgericht hat das Urteil lediglich dahingehend abgeändert, als die monatliche Nettokaltmiete auf Euro 518,00 festgesetzt wurde.

Der Bundesgerichtshof bestätigt die Entscheidung des Landgerichts und weist die Revision des Vermieters zurück. Denn es liegt eine Härte im Sinne von § 574 Abs. 1 BGB vor und auch die Interessenabwägung sowie die Bestimmung der Modalitäten einer Fortsetzung auf unbestimmte nach § 574 a BGB unter Anhebung der monatlichen Nettokaltmiete ist rechtsfehlerfrei. Eine Härte liegt dann vor, wenn sich die für den Mieter drohenden Nachteile von den mit einem Wohnungswechsel typischerweise verbundenen Unannehmlichkeiten deutlich abheben. Das ist hier auch unter Berücksichtigung der Ablehnung einer stationären Therapie sowie Ablehnung der angebotenen Ersatzwohnung der Fall. Auf Grundlage des vom Amtsgericht eingeholten Gutachtens ist die Gefahr eines Suizids nämlich sehr hoch. Auch hat das Berufungsgericht festgestellt, dass die beklagte Mieterin auf ihre Wohnung völlig fixiert ist und krankheitsbedingt auch nicht in der Lage ist, eine Ersatzwohnung zu beziehen. Zwar hat die Beklagte Therapiemöglichkeiten abgelehnt. Der Sachverständige hat jedoch festgestellt, dass die Aussichten einer erfolgreichen Behandlung gering sind und wenig Erfolg versprechen. Vor dem Hintergrund dieser Feststellungen liegt nach Ansicht des Bundesgerichtshofes eine Härte vor. Insbesondere entfällt eine Schutzbedürftigkeit des Mieters nicht dadurch allein, indem er an der Behandlung seiner psychischen Erkrankung nicht mitwirkt. Das würde dem im Art. 2 Abs. 2 GG enthaltenen Gebot zum Schutz des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit nicht gerecht.

Die Vorinstanzen haben auch nach Feststellung des Vorliegens einer Härte eine gebotene umfassende Würdigung der beiderseitigen Interessen unter Berücksichtigung der Belange des Klägers rechtsfehlerfrei vorgenommen, so der Bundesgerichtshof. Diese Interessenabwägung fällt zugunsten der Mieterin aus. Denn angesichts der festgestellten ernsthaften Suizidgefahr besteht ein deutliches Übergewicht der Belange der beklagten Mieterin gegenüber den Interessen des Klägers als Vermieter. Es sind bei der Abwägung die Auswirkungen, die einerseits die Vertragsbeendigung für den Mieter und andererseits die Vertragsfortführung für den Vermieter haben würde zu bewerten und in Beziehung setzen. Diese Abwägung fällt aufgrund der ernsthaften Suizidgefahr zugunsten des Mieters aus, nachdem die Nutzung der vom Kläger bewohnten Wohnung auch ohne die Verbindung und Nutzung der Wohnung der Beklagten weiterhin möglich und zumutbar ist. Auch eine Fortsetzung auf unbestimmte Zeit hält der Bundesgerichtshof für richtig. Denn es ist bereits ungewiss, ob und wann voraussichtlich die Umstände für die Härte wegfallen würden. Nachdem vorliegend keine zumutbare Therapiemöglichkeit berücksichtigt werden kann, gibt es keine Prognose bezüglich eines voraussichtlichen Entfalls dieser Suizidgefahr.

Der Bundesgerichtshof hat in der Entscheidung herausgearbeitet, welche Anforderungen an eine Fortsetzung des Mietverhältnisses zu stellen sind. So kann insbesondere eine ernsthafte Gefahr eines Suizids des Mieters die Fortsetzung auf unbestimmte Zeit bedeuten, wobei die Umstände des Einzelfalls stets zu berücksichtigen sind. Ist die Vertragsfortsetzung für den Vermieter zu der bisherigen Miete nicht zumutbar, so kann der Vermieter aber eine Änderung der Miete verlangen.