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BGH, Urteil vom 11.01.2023 – XII ZR 101/21 – „Vertragsanpassung im Falle der Nichtdurchführung einer Hochzeitsfeier aufgrund hoheitlicher Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie


Mit Urteil vom 11.01.2023 – XII ZR 101/21 – befasste sich der Bundesgerichtshof mit der Frage der Kündbarkeit oder Vertragsanpassung eines Vertrages über die Durchführung einer Hochzeitsfeier, die wegen einer hoheitlichen Beschränkung der Teilnehmerzahl abgesagt wurde. Die Entscheidung ist wegen allgemeiner Rechtsgrundsätze, die der Bundesgerichtshof aufstellte, allgemein von Interesse, da die Begründung generell Mietverträge und nicht nur Hochzeitsfeierlichkeiten und ähnliche Veranstaltungen betrifft.

Die Beklagten mieteten Räumlichkeiten zur Durchführung einer für den 08.08.2020 geplanten Hochzeitsfeier an, die wegen der COVID-19-Pandemie von den Beklagten abgesagt wurde. Die Beklagten, die bereits zwei Jahre zuvor, nämlich am 08.08.2018 standesamtlich geheiratet hatten, schlossen Ende des Jahres 2018 mit der Klägerin einen Vertrag über die Anmietung von Räumlichkeiten für die Durchführung einer kirchlichen Hochzeitsfeier in Form einer Außentrauung sowie für die Taufe ihrer Tochter mit bis zu 120 Gästen. Aufgrund einer landesrechtlichen Verordnung waren Hochzeitsfeiern am geplanten Veranstaltungstag nur mit nicht mehr als 50 Personen zulässig. Deshalb sagten die Beklagten die Hochzeitsfeier ab. Die Klägerin klagte daraufhin auf Zahlung der vereinbarten Vergütung. Das Oberlandesgericht Celle hatte ein Kündigungsrecht der Beklagten wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage bejaht. Die Durchführung einer Hochzeitsfeier stelle sich aus Sicht der Heiratenden erkennbar als ein ganz besonderes, einmaliges Ereignis dar, welches nicht ohne weiteres verlegbar sei. Dem müsse im Rahmen von § 313 BGB Rechnung getragen werden, sodass ein Kündigungsrecht der Beklagten unabhängig davon zu bejahen sei, ob sie sich einer Verlegung der Hochzeitsfeier verweigert hätten. Gleichwohl führe das nicht dazu, dass ein Zahlungsanspruch der Klägerin in vollem Umfang zu verneinen sei. Vielmehr sei eine Anpassung der Rechtsbeziehung der Vertragsparteien geboten. Die vorzeitig kündigende Partei muss der anderen Partei wegen fehlgeschlagener Investitionen oder anderer Nachteile eine Ausgleichsleistung erbringen.

Der Bundesgerichtshof hebt die Entscheidung des Oberlandesgerichts auf und verweist den Rechtsstreit zurück und stellt dem Oberlandesgericht die „Hausaufgabe“, weitere Feststellungen dazu zu treffen, inwieweit die Klägerin den Beklagten die Möglichkeit zur Verlegung des Termins für die geplante Hochzeitsfeier angeboten hat und gegebenenfalls weshalb eine Verlegung der Feier auf einen der angebotenen Termine für die Beklagten unzumutbar war.

Der Bundesgerichtshof führt zunächst aus, dass kein Fall der Unmöglichkeit vorliegt. Kann eine Hochzeitsfeier aufgrund der zu diesem Zeitpunkt zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie geltenden Maßnahmen nicht wie geplant durchgeführt werden, wird dem Vermieter der hierfür gemieteten Räumlichkeiten die von ihm geschuldete Leistung nicht unmöglich. Der Umstand, dass die Durchführung einer Hochzeitsfeier mit der geplanten Bewirtung von bis zu 120 Personen aufgrund verschiedener Regelungen in der zu diesem Zeitpunkt geltenden Corona-Schutzverordnung nicht zulässig war, führt auch nicht zu einem Mangel des Mietgegenstands im Sinne von § 536 Abs. 1 S. 1 BGB. Jedoch kommt für einen Mieter, der Räume zur Durchführung einer Veranstaltung gemietet hat, grundsätzlich ein Anspruch auf Vertragsanpassung wegen Störung der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 Abs. 1 BGB in Betracht, wenn die Veranstaltung aufgrund von hoheitlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie nicht in der geplanten Form stattfinden kann. Nur wenn eine Anpassung des Vertrags nicht möglich oder einem Teil nicht zumutbar ist, kann nach § 313 Abs. 3 BGB der benachteiligte Teil vom Vertrag zurücktreten oder bei Dauerschuldverhältnissen den Vertrag kündigen. Dafür genügt es aber nicht, dass ein weiteres Festhalten am Vereinbarten nur für eine Partei unzumutbar erscheint; vielmehr muss das Abgehen vom Vereinbarten der anderen Partei auch zumutbar sein.

Zwar liegt eine Störung der Geschäftsgrundlage vor, dies berechtigt für sich genommen jedoch noch nicht eine Vertragsanpassung. Vielmehr verlangt § 313 Abs. 1 BGB als weitere Voraussetzung, dass dem betroffenen Vertragspartner unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann. Durch diese Formulierung kommt zum Ausdruck, dass nicht jede einschneidende Veränderung der bei Vertragsschluss bestehenden oder gemeinsam erwarteten Verhältnisse eine Vertragsanpassung oder eine Kündigung rechtfertigen. Hierfür ist vielmehr erforderlich, dass ein Festhalten an der vereinbarten Regelung für die betroffene Partei zu einem nicht mehr tragbaren Ergebnis führt. Ob dem Mieter ein Festhalten an dem unveränderten Vertrag unzumutbar ist, bedarf einer umfassenden Abwägung, bei der sämtliche Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen sind. Dabei kann eine Anpassung nur insoweit verlangt werden, als dem einen Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag zugemutet werden kann. Das Gericht muss daher nach § 313 Abs. 1 BGB diejenigen Rechtsfolgen wählen, die den Parteien unter Berücksichtigung der Risikoverteilung zumutbar sind und durch die eine interessengerechte Verteilung des verwirklichten Risikos bei einem möglichst geringen Eingriff in die ursprüngliche Regelung hergestellt wird. Die Anpassung darf in die Vereinbarung der Parteien nicht weiter eingreifen, als es durch die veränderten Umstände geboten ist. Die Anwendung der Grundsätze über die Störung der Geschäftsgrundlage führt nur ausnahmsweise zur völligen Beseitigung des Vertragsverhältnisses. In aller Regel ist der Vertrag aufrechtzuerhalten und lediglich in einer den berechtigten Interessen beider Parteien Rechnung tragenden Form der veränderten Sachlage anzupassen. Deshalb ist es bei der Frage, welche Form der Vertragsanpassung im konkreten Fall angemessen ist, von besonderer Bedeutung, welche Regelung die Parteien gewählt hätten, wenn sie das Ereignis, das zur Störung der Geschäftsgrundlage geführt hat, bei Vertragsschluss bedacht hätten. Unzumutbar ist eine Vertragsanpassung dann, wenn sie gegenüber dem ursprünglichen Vertrag zu einer Mehrbelastung einer Partei führen würde, der diese nicht wenigstens hypothetisch bei Vertragsschluss zugestimmt hätte, wenn sie die Grundlagenstörung vorausgesehen hätte. Nur wenn eine Anpassung des Vertrags nicht möglich oder einem Teil nicht zumutbar ist, kann nach § 313 Abs. 3 BGB der benachteiligte Teil vom Vertrag zurücktreten oder bei Dauerschuldverhältnissen wie der Miete den Vertrag kündigen. Maßgeblich sind die Interessen beider Parteien. Es genügt nicht, dass ein weiteres Festhalten am Vereinbarten nur für eine Partei unzumutbar erscheint; vielmehr muss das Abgehen vom Vereinbarten der anderen Partei auch zumutbar sein.

Auf dieser Grundlage hat das Gericht in tatsächlicher Verantwortung für den konkreten Einzelfall die Voraussetzungen des § 313 BGB festzustellen und gegebenenfalls eine Vertragsanpassung vorzunehmen, bei der ein weiter Ermessensspielraum des Tatgerichts (hier also des OLG Celle) besteht. Dessen Entscheidung ist vom Revisionsgericht (also dem BGH) nur darauf überprüfbar, ob das Ermessen ausgeübt worden ist, dabei alle wesentlichen Umstände rechtsfehlerfrei ermittelt und berücksichtigt sowie die Grenzen des tatrichterlichen Ermessens richtig bestimmt und eingehalten worden sind. Danach ist die tatrichterliche Würdigung des OLG Celle im entschiedenen Fall, wonach die Beklagten gemäß § 313 Abs. 3 S. 2 BGB zur Kündigung des Vertrags berechtigt gewesen seien, nicht frei von Rechtsfehlern. Das OLG Celle hat ein Kündigungsrecht der Beklagten allein mit der Begründung bejaht, die Durchführung einer Hochzeitsfeier sei ein einmaliges (Anmerkung: Ein Blick auf die Scheidungsraten zeigt, dass bereits diese Annahme zumindest in dieser Allgemeinheit nicht zutrifft) und besonderes Ereignis, welches nicht ohne weiteres verlegbar sei. Deshalb sei ein Kündigungsrecht der Beklagten unabhängig davon zu bejahen, ob diese sich eine Verlegung der Hochzeitsfeier verweigert hätten. Damit hat das OLG Celle bei seiner Ermessensausübung wesentlich Umstände des Falles nicht angemessen berücksichtigt und verkannt, dass ein Rücktrittsrecht oder ein Recht zur Kündigung eines Dauerschuldverhältnisses nur als ultima ratio in Betracht kommt, wenn eine Anpassung des Vertrags nicht möglich oder einem Teil auch ein Festhalten an dem Vertrag mit angepasstem Inhalt nicht zumutbar ist. Das Berufungsgericht hat insbesondere nicht ausreichend in den Blick genommen, ob sich der Anspruch der Beklagten auf Vertragsanpassung auf die von der Klägerin angebotene Verlegung der Hochzeitsfeier beschränkt, weil bereits dadurch eine interessengerechte Verteilung des Pandemierisikos bei einem möglichst geringen Eingriff in die ursprüngliche Regelung hergestellt werden kann. Nach den bislang getroffenen Feststellungen wäre den Beklagten eine Verlegung der Hochzeitsfeier auch zumutbar gewesen. Die standesamtliche Trauung der Beklagten hatte bereits am 08.08.2018 stattgefunden. Die Hochzeitsfeier stand daher nicht, wie regelmäßig, im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit einer standesamtlichen oder kirchlichen Trauung. Das Berufungsgericht hat zudem nicht angemessen berücksichtigt, dass am 08.08.2020 aufgrund der zu diesem Zeitpunkt geltenden weitreichenden hoheitlichen Beschränkungen die Durchführung einer Hochzeitsfeier mit bis zu 120 Personen in ganz Niedersachsen nicht möglich war. Die Beklagten hätten daher, unabhängig von den konkret angemieteten Räumlichkeiten, die geplante Hochzeitsfeier an diesem Tag nicht durchführen können und den Termin mit den damit verbundenen Planungs- und Vorbereitungsarbeiten verlegen müssen. Nach den bislang getroffenen Feststellungen haben die Beklagten außer dem Umstand, dass sie die Hochzeitsfeier an einem Jahrestag ihrer standesamtlichen Trauung durchführen und mit der Taufe ihrer Tochter verbinden wollten, keine tragfähigen Umstände dafür vorgetragen, dass eine andere Form der Vertragsanpassung möglich oder ihnen nicht zumutbar sei. Allein die nicht näher begründete Behauptung, eine Verschiebung der Hochzeitsfeier auf einen späteren Termin komme für sie nicht in Betracht, reicht hierfür nicht aus. Sollten die Beklagten die Absicht haben, endgültig auf eine nachträgliche Hochzeitsfeier zu verzichten, und bestünde daher für sie auch zu einem späteren Zeitpunkt kein Bedarf an Räumlichkeiten, die für eine solche Veranstaltung geeignet sind, fiele dies in ihren Risikobereich und könnte daher auf die vorzunehmende Vertragsanpassung keine Auswirkung haben. Denn diese Entscheidung der Beklagten betrifft allein das allgemeine Verwendungsrisiko eines Mieters und steht nicht mehr in unmittelbarem Zusammenhang mit der pandemiebedingten Störung der Geschäftsgrundlage.

Somit muss der Sachverhalt vertiefend aufgeklärt werden. Der Bundesgerichtshof hat die Sache für weitere Feststellungen an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.