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OLG Dresden, Urteil vom 19.10.2011 – 13 U 1179/10 – „Vermieterpfandrecht unter Insolvenzverwaltung -Teilkündigung, Tilgungsbestimmung, Nutzungsausfall“


Das Oberlandesgericht Dresden hat am 19.10.2011 – 13 U 1179/10 – ein Urteil verkündet, das mehrere interessante Rechtsfragen behandelt, die das gewerbliche Mietverhältnis in der Insolvenz des Mieters betreffen.

Teilkündigung
Der Beklagte ist Insolvenzverwalter über das Vermögen der Mieterin. Das Insolvenzverfahren wurde am 1.4.2005 eröffnet. Am 4.1.2006 erklärt der Insolvenzverwalter die Kündigung des Mietverhältnisses über eine Teilfläche. Die Vermieterin (die Klägerin) hat diese Teilmietfläche ab Mai 2006 weiter-vermietet.

Das OLG Dresden führt – meines Erachtens zutreffend – aus, dass die Kündigung des Insolvenzver-walters vom 4.1.2006 über eine Teilfläche nicht wirksam war, da die Kündigung einer Teilfläche im Rahmen eines einheitlichen Mietverhältnisses unzulässig ist. Das OLG Dresden meint ferner richtig, dass auch kein Aufhebungsvertrag über eine Teilfläche zwischen den Mietvertragsparteien geschlos-sen wurde. Entgegen der Auffassung des Insolvenzverwalters enthält das Kündigungsschreiben vom 4.1.2006 kein Angebot zum Abschluss eines Aufhebungsvertrages, welches durch die Weitervermie-tung durch die Klägerin an Dritte angenommen werden konnte. Das Kündigungsschreiben stellt bereits kein Angebot zum Abschluss eines Aufhebungsvertrages dar, da der Insolvenzverwalter zwar für den Fall der Unwirksamkeit seiner fristlosen Kündigung vorgesorgt und hilfsweise die ordentliche Kündigung erklärt, für den Fall der Unwirksamkeit der gesamten Kündigung aber keine alternative Regelung angeboten hatte.
Die Erklärung vom 4.1.2006 kann auch nicht nach § 140 BGB in ein Angebot umgedeutet werden. Die Umdeutung einer unwirksamen Kündigung in ein Angebot zum Abschluss eines Mietaufhebungsver-trages ist zwar nicht grundsätzlich ausgeschlossen. Dabei soll aber allein der Wille, das Mietverhältnis auf jeden Fall zu beenden, nicht ausreichen. Nach § 140 BGB kann ein nichtiges Rechtsgeschäft in ein anderes Rechtsgeschäft umgedeutet werden, wenn es dessen Erfordernissen entspricht und an-genommen werden kann, dass es bei Kenntnis der Nichtigkeit gewollt sein würde. Hier ist die vom Insolvenzverwalter ausgesprochene Kündigung nicht nichtig, sondern hat ihre einseitig rechtsgestal-tende Wirkung der Vertragsbeendigung nicht entfalten können. Die Umdeutung einer einseitig rechts-gestaltenden Willenserklärung in ein annahmebedürftiges Vertragsangebot ist nur dann zulässig, wenn sich der Erklärende bei der Abgabe der außerordentlichen Kündigung bewusst ist, dass sie als einseitige Erklärung nicht wirksam werden könnte, und dass es für diesen Fall zur Herbeiführung des rechtlichen und wirtschaftlichen Erfolges der Vertragsbeendigung, gewissermaßen hilfsweise, der Zustimmung des Erklärungsempfängers (hier also der Vermieterin) bedürfe.
Dieser Wille ist der Erklärung (der Teilkündigung) vom 4.1.2006 nicht zu entnehmen, vielmehr ist die Erklärung so zu verstehen, dass der Insolvenzverwalter annahm, sich bereits einseitig vom Vertrag lösen zu können. Die Möglichkeit der Unwirksamkeit der gesamten Kündigung hat er folglich nicht in Betracht gezogen. Darüber hinaus liegt auch keine Annahme der Vermieterin vor, ihr Schweigen hat grundsätzlich keinen rechtsgeschäftlichen Erklärungsgehalt. Die Weitervermietung ab Mai 2006 kann ferner unabhängig vom Erklärungswert des Schweigens nicht mehr als Annahmeerklärung angesehen werden, da nach rund vier Monaten nicht mehr nach den regelmäßigen Umständen im Sinne des § 147 Abs. 2 BGB („Der einem Abwesenden gemachte Antrag kann nur bis zu dem Zeitpunkt angenommen werden, in welchem der Antragende den Eingang der Antwort unter regelmäßigen Umständen erwarten darf.“) mit einer Annahme gerechnet werden konnte.

Tilgungsbestimmung
Die Vermieterin übte das ihr zustehende Vermieterpfandrecht aus. Nach insolvenzrechtlichen Be-stimmungen (§§ 166 ff. InsO) hat der Insolvenzverwalter die dem Vermieterpfandrecht unterliegenden Sachen zu verwerten und den Erlös nach Abzug des der Insolvenzmasse zustehenden Kostenbeitrags an den Vermieter zu zahlen. Der Insolvenzverwalter traf bei der Auszahlung des Erlöses die Zahlungsbestimmung, dass zunächst die Mietzinsforderungen des Vermieters getilgt werden sollen, die als Masseverbindlichkeiten zu berichtigen sind, und sodann erst offene Mietzinsinsolvenzforde-rungen. Diese Tilgungsbestimmung hat weitreichende Folgen, denn auf Mietzinsinsolvenzforderungen entfällt nur eine (in aller Regel geringe) Quote, während Masseverbindlichkeiten in voller Höhe zu bezahlen sind, falls keine Massearmut besteht.
Das OLG Dresden ist der Meinung, der Insolvenzverwalter habe wirksam eine Zahlungsbestimmung mit der Folge getroffen, dass die Masseverbindlichkeiten bezahlt wurden. Das OLG Dresden führt aus, es sei von der allgemeinen Norm des § 366 Abs. 1 BGB auszugehen, nach der der Schuldner die Verbindlichkeit bestimmen kann, welcher die Leistung zugeordnet werden soll. Das OLG Dresden sieht durchaus, dass die herrschende Meinung in der Literatur für die Verrechnung von Sicherheits-leistungen des Schuldners an den Gläubiger bei mehreren offenen Forderungen ein Leistungsbe-stimmungsrecht des Schuldners verneint, da es nach Sinn und Zweck einer Sicherheitsleistung dem Gläubiger überlassen bleiben muss, auf welche offene Forderungen er im Krisenfall die Sicherheit verrechnet. Eine Parallele zur Sicherheitsleistung kann nach Auffassung des OLG Dresden aber bei einer Verwertung der dem Vermieterpfandrecht unterliegenden Sachen durch den Insolvenzverwalter nicht gezogen werden, da das Vermieterpfandrecht nicht wie die Sicherheitsleistung durch einen Ver-trag, sondern kraft Gesetzes entsteht.
Ob der BGH diese Rechtsauffassung teilen wird, ist allerdings fraglich. Die Revision wurde zugelas-sen. Ich persönlich halte die Entscheidung für falsch, da es sich bei der Verwertung einer einem Pfandrecht unterliegenden Sache nicht um eine Leistung des Schuldners handelt und aus Sinn und Zweck der Vorschriften über das Vermieterpfandrecht folgt, dass der Gläubiger (=Vermieter) bestim-men kann, wie der Verwertungserlös zu verrechnen ist.

Nutzungsausfall
Die Vermieterin hatte das Mietverhältnis am 5.8.2006 wirksam fristlos gekündigt. Die Rückgabe der Mietsache erfolgte am 31.12.2006. Für die Zeit ab Zugang der fristlosen Kündigung bis zur tatsächli-chen Räumung steht dem Vermieter nach § 546 a BGB ein Entschädigungsanspruch zu (§ 546 a Abs. 1 BGB: „Gibt der Mieter die Mietsache nach Beendigung des Mietverhältnisses nicht zurück, so kann der Vermieter für die Dauer der Vorenthaltung als Entschädigung die vereinbarte Miete oder die Miete verlangen, die für vergleichbare Sachen ortsüblich ist.“). Die Vermieterin hatte den Insolvenzverwalter am 15.8.2006 zur Verwertung der dem Vermieterpfandrecht unterliegenden Sachen aufgefordert. Die Verwertung erfolgte am 12.10.2006, die Rückgabe der Mietsache am 31.12.2006. Das OLG Dresden ist der Meinung, dass dem Vermieter für die Zeit vom 16.8. bis 12.10.2006 kein Entschädigungsans-pruch nach § 546 a BGB zusteht. Dieser Anspruch entsteht nur, wenn der Mieter dem Vermieter die Sache vorenthält. Die Vorenthaltung setzt begrifflich voraus, dass der Mieter die Mietsache nicht zu-rückgibt und das Unterlassen der Rückgabe dem Willen des Vermieters widerspricht. Ein Rückerlan-gungswille ist bereits zu verneinen, soweit und solange der Vermieter sein Vermieterpfandrecht aus-übt. In der Aufforderung der Vermieterin an den Insolvenzverwalter, dieser möge die dem Vermieterp-fandrecht unterliegenden Gegenstände verwerten, sei die Geltendmachung des Vermieterpfandrechts zu sehen. Folglich müsse der Insolvenzverwalter für die Zeit vom 16.8.2006 bis zur Verwertung am 12.10.2006 keine Nutzungsentschädigung zahlen.