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Kammergericht, Urteil vom 05.04.2022 – 8 U 50/21 – „Verjährung von Rückzahlungsansprüchen eines Mieters aus Nebenkostenabrechnungen“


Rückzahlungsansprüche von Mietern aus Nebenkostenabrechnungen unterliegen der dreijährigen Regelverjährungsfrist gemäß § 195 BGB. Diese Verjährungsfrist beginnt mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste (§ 199 Abs. 1 BGB). Die Rückzahlungsansprüche eines Mieters wegen zu viel gezahlter Nebenkostenvorauszahlungen entstehen mit dem Zugang der Nebenkostenabrechnung. Häufig wird also Verjährung mit Ablauf des dritten Kalenderjahres eintreten, das dem Zugang der Nebenkostenabrechnung folgt. Hat ein Mieter die Nebenkostenabrechnung beispielsweise im Jahre 2021 erhalten, dann wird häufig Verjährung mit Ablauf des 31.12.2024 eingetreten sein.

Wer sich jetzt also überlegt, ob ihm Rückzahlungsansprüche aus einer im Verlaufe des Jahres 2021 zugegangenen Nebenkostenabrechnung zustehen könnten, dem wird häufig ein Zitat in den Sinn kommen, das Gorbatschow zugeschrieben wird. Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben. Allerdings muss es nicht zwingend sein, dass mit Ablauf des dritten Jahres nach Zugang einer Nebenkostenabrechnung die Messe gelesen ist. Gelegentlich hilft § 203 BGB, wonach der Lauf der Verjährung bei Verhandlungen gehemmt ist. Die Anforderungen der Rechtsprechung an diesen Hemmungstatbestand sind allerdings außerordentlich streng. Insbesondere wird von der Rechtsprechung recht bald ein sogenanntes Einschlafen von Verhandlungen angenommen, das zu einem Ende der Hemmung führt. So sollen Verhandlungen bereits dann einschlafen, wenn eine Vertragspartei auf ein Schreiben des anderen Teils schweigt. Dann sind die Verhandlungen zu dem Zeitpunkt beendet, in dem der nächste Schritt nach Treu und Glauben zu erwarten war (BGH NJW 2009, 1806 Tz 11). Auch eine fehlende Reaktion des Schuldners führt zur Beendigung der Hemmung (BGH NJW 17, 949 Tz 24 ff.). Der komplizierte Hemmungstatbestand des § 203 BGB ist deshalb zwar gelegentlich eine Rettung, häufig aber nicht.

Ein Rettungsanker könnte die vom Kammergericht Berlin im von uns erstrittenen Urteil vom 01.12.2022 (8 U 50/21) vertretene, sehr mieterfreundliche Rechtsmeinung sein, wobei allerdings offen bleibt, ob dies von anderen Gerichten ebenso gesehen wird. Gegenstand des Rechtsstreits vor dem Kammergericht waren unter anderem im Jahre 2016 zugegangene Abrechnungen für die Jahre 2014 und 2015. Der Mieter hatte erst im Jahre 2020 Klage erhoben. Der Vermieter beruft sich auf Verjährung. Allerdings hatte der Vermieter die ursprünglichen Nebenkostenabrechnungen storniert, bei einigen wenigen Betriebskostenpositionen relativ unbedeutende Änderungen vorgenommen und im Verlaufe des Jahres 2017 modifizierte Nebenkostenabrechnungen zugestellt. Das Kammergericht meint, die Stornierung der ursprünglichen Nebenkostenabrechnungen führe dazu, dass sich der Vermieter nicht auf Verjährung berufen könne. Ein Vermieter könne nach Treu und Glauben keine Rechte aus einer Nebenkostenabrechnung herleiten, die er selbst im ganzen für wirkungslos erklärt (nämlich storniert) hat – auch wenn die Korrektur einzelner Abrechnungspositionen allein den Verjährungsbeginn nicht berühren dürfte. Im konkreten Einzelfall war also entscheidend, dass der Vermieter die ursprünglichen Nebenkostenabrechnungen nicht nur in einzelnen Punkten korrigierte, sondern die ursprünglichen Abrechnungen insgesamt stornierte und durch neue – wenngleich im Wesentlichen übereinstimmende – Nebenkostenabrechnungen ersetzte.

Das Kammergericht meint, auf die Stornierung komme es aber im Ergebnis ohnehin nicht an, denn selbst wenn man auf den Zugang der ursprünglichen Abrechnungen im Jahre 2016 abstellen würde greife Verjährung nicht ein. Der Mieter hatte unter anderem geltend gemacht, die nach dem Mietvertrag umlagefähigen Wartungskosten für Gemeinschaftseinrichtungen und Allgemeinflächen müssten vom Mieter nicht anteilig getragen werden, da die mietvertragliche Umlageregelung – eine Allgemeine Geschäftsbedingung – unwirksam sei, weil der Mieter nicht durch eine Obergrenze geschützt werde. Dies gelte auch dann, wenn wie im konkreten Fall die Kosten für Instandhaltung und Instandsetzung im Mietvertrag „gedeckelt“ worden seien. Das Kammergericht teilt diese Rechtsauffassung, wonach Wartungskosten in eine Kostenobergrenze einbezogen werden müssen, und führt in Bezug auf die Verjährung aus, der Lauf der Verjährungsfrist habe nicht mit Zugang der ursprünglichen Abrechnungen begonnen, weil der Mieter von den den Rückforderungsanspruch begründenden Umständen erst deutlich später, nämlich nach Einholung von Rechtsrat, Kenntnis erlangte und auch keine grobe Fahrlässigkeit in Bezug auf die Kenntniserlangung vorliegt. Das Kammergericht ist der Auffassung, weil die streitgegenständlichen Rückforderungsansprüche in der Nebenkostenabrechnung nicht ausgewiesen wurden, komme es darauf an, wann der Mieter Kenntnis von den maßgeblichen Abrechnungsmängeln erlangt habe, auf die er die Klage stützt, oder ohne grobe Fahrlässigkeit hätte erlangen müssen. Eine Kenntniserlangung lag erst nach Einholung von Rechtsrat vor. Sonstige Anhaltspunkte für Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis des Mieters von Abrechnungsmängeln bestünden nicht. Da eine Kenntniserlangung erst nach dem 31.12.2016 erfolgte konnte der Lauf der Verjährungsfrist durch die im Jahre 2020 erhobene Klage gehemmt werden.

Der Verjährungsbeginn setzt nach dem Gesetz die Kenntnis der anspruchsbegründenden Umstände voraus. Erforderlich ist Kenntnis der anspruchsbegründenden Tatsachen, nicht erforderlich ist hingegen, dass der Gläubiger (der Mieter) den Vorgang rechtlich zutreffend beurteilt (BGH NJW 2008, 1729 Tz 26 und BGH NJW 2008, 2576 Tz 27). Bei besonders unübersichtlicher und verwickelter Rechtslage können aber ausnahmsweise auch erhebliche rechtliche Zweifel den Verjährungsbeginn bis zur Klärung ausschließen (BGH NJW 2014, 3713 Tz 44 ff.). Im Einzelfall wird man bei Nebenkostenprozessen trefflich darüber streiten können, ob von einer unübersichtlichen und verwickelten Rechtslage auszugehen ist. Gleichwohl sollte man als Mieter nicht sofort die Flinte ins Korn werfen, wenn die Verjährungsfrist abgelaufen wäre, falls man nur auf den Zeitpunkt des Zugangs der Abrechnung abstellt. Vielmehr macht es Sinn, auch dann anwaltlich prüfen zu lassen, ob man sich auf die Entscheidung des Kammergerichts berufen kann, weil eine unübersichtliche und verwickelter Rechtslage vorliegt, sodass maßgeblich für den Beginn des Laufs der Verjährungsfrist der Zeitpunkt wäre, zu dem der Mieter von den den Anspruch begründenden Umständen Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste.