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OLG Celle, Beschluss vom 06.01.2017 – 2 U 101/16 – Treuwidrigkeit der Berufung auf die fehlende Schriftform


Wenn ein langjähriger Mietvertrag wegen Nichteinhaltung der Schriftform nach § 550 BGB unter Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist kündbar ist, beruft sich der Kündigungsgegner häufig darauf, dass die Kündigung treuwidrig sei. Es gibt allerdings fast keine Entscheidungen, bei denen der Einwand der Treuwidrigkeit Erfolg hatte. So war es auch bei einem Sachverhalt, den das Oberlandesgericht Celle mit Beschluss vom 06.01.2017 – 2 U 101/16 – zu beurteilen hatte.

Die Mietvertragsparteien schließen einen schriftlichen Mietvertrag und vereinbaren eine Vertragsdauer bis zum 30.04.2021. Im Mietvertrag steht, dass die Kaltmiete für den Gewerberaum monatlich EUR 2.900,00 beträgt. Die Vertragsparteien vereinbaren anlässlich des Vertragsabschlusses aber mündlich, dass die Kaltmiete nach Ablauf eines Jahres nicht mehr – wie ausweislich des schriftlichen Mietvertrags vereinbart – EUR 2.900,00, sondern EUR 1.900,00 betragen solle. Der Vermieter verkauft das Grundstück, auf dem sich die Mietsache befindet mit der Folge, dass der Erwerber kraft Gesetzes (§ 566 Abs. 1 BGB) in den Mietvertrag eintritt. Vor Abschluss des Kaufvertrags informiert der Mieter den Erwerber über die Vereinbarung anlässlich des Mietvertragsabschlusses. Nach Eintragung des Erwerbers im Grundbuch erklärt dieser die ordentliche Kündigung des Mietverhältnisses und verklagt den Mieter auf Räumung und Herausgabe der Mietsache. Die Klage hat Erfolg. Der Einwand des Mieters, der Vermieter handle treuwidrig, ist unbegründet.

Der Mieter kann sich nicht darauf berufen, dass gemäß dem schriftlichen Mietvertrag eine Vertragslaufzeit bis zum 30.04.2021 vorgesehen war. Denn die Mietvertragsparteien haben bei Abschluss des Mietvertrags die Schriftform des § 550 BGB nicht eingehalten, so dass der Mietvertrag als für unbestimmte Zeit geschlossen gilt und nach Ablauf eines Jahres nach Überlassung der Mietsache innerhalb der gesetzlichen Frist gekündigt werden kann. Aufgrund der mündlichen Abrede, dass die Kaltmiete nach Ablauf eines Jahres um EUR 1.000,00 verringert wird, ist die gesetzliche Schriftform nicht gewahrt. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist die Schriftform nur eingehalten, wenn sich die für den Abschluss des Vertrags notwendige Einigung über alle wesentlichen Vertragsbedingungen, insbesondere den Mietgegenstand, die Miete sowie die Dauer und die Parteien des Mietverhältnisses, aus einer von beiden Parteien unterzeichneten Urkunde ergibt (BGH NJW 2014, 1087, 1089). Die Vereinbarung der Miethöhe unterliegt stets – soweit sie für mehr als ein Jahr erfolgt und nicht jederzeit vom Vermieter widerrufen werden kann – dem Formzwang des § 550 S. 1 BGB (BGH NJW 2016, 311, 313).

Erfolglos macht der Mieter geltend, die mündliche Vereinbarung der Miethöhe sei gemäß § 125 BGB wegen Verstoßes gegen eine im Mietvertrag enthaltene qualifizierte Schriftformklausel unwirksam. Der Formularmietvertrag schreibt nicht nur für Vertragsänderungen und -ergänzungen, sondern auch für die Aufhebung der Schriftformklausel die Schriftform vor. Das Oberlandesgericht Celle führt aus, es könne dahingestellt bleiben, ob eine qualifizierte Schriftformklausel in einem Formularmietvertrag wegen Verstoßes gegen § 307 Abs. 1 BGB bereits unwirksam ist (so OLG Rostock, Beschluss vom 19.05.2009 – 3 U 16/09 – und Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 20.05.2008 – 9 AZR 382/07), Individualabreden entsprechend § 305 b BGB qualifizierten Schriftformklauseln vorgehen (so OLG Düsseldorf, Urteil vom 01.06.2006 – 10 U 1/06), oder ob bei mündlichen Vertragsänderungen diese in diesem Fall wegen Formmangels mit der Konsequenz nichtig sind, dass ein Formverstoß gemäß § 550 BGB nicht vorliegt (so OLG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 26.07.2012 – 9 U 38/12). Denn die qualifizierte Schriftformklausel findet nach Meinung des OLG Celle vorliegend keine Anwendung. Die Anwendbarkeit der im Mietvertrag statuierten Schriftformklausel setzt nämlich das Vorliegen einer nachträglichen Vertragsänderung oder -ergänzung voraus. Eine Vertragsänderung bzw. – ergänzung im Sinne des Mietvertrags liegt gerade dann nicht vor, wenn die Parteien das von Anfang an Gewollte nicht der Schriftform unterwerfen. Da die Vertragsparteien bereits anlässlich des eigentlichen Vertragsabschlusses vereinbarten, dass anstelle eines Betrages von EUR 2.900,00 die Kaltmiete nach Ablauf eines Jahres nur noch EUR 1.900,00 betragen solle, liegt keine nachträgliche Änderung oder Ergänzung des Vertrages vor, die allein den Anwendungsbereich der qualifizierten Schriftformklauseln eröffnet.

Das Oberlandesgericht Celle legt ferner dar, dass der Vermieter, der durch Grundstückserwerb kraft Gesetzes in den Mietvertrag eintritt, auch nicht nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) gehindert ist, sich auf die fehlende Schriftform zu berufen. Nach Ansicht des Oberlandesgerichts Celle wäre zu erwägen, dass sich die Berufung des Erwerbers auf den Formmangel des Mietvertrags als rechtsmissbräuchlich darstellt, wenn der Erwerber vorab von beiden Mietvertragsparteien über eine vom schriftlichen Mietvertrag abweichende Vereinbarung informiert worden ist. Die Unterrichtung durch eine Mietvertragspartei allein reicht aber nicht aus. In einem solchen Fall liegt kein Verstoß gegen Treu und Glauben vor, wenn der Vermieter das Mietverhältnis wegen des Formmangels ordentlich kündigt. Der Grundstückserwerber brauchte die Erklärung des Mieters, wonach für das Objekt eine Mietreduzierung vereinbart worden sei, von Rechts wegen nicht zu beachten. Der Grundstückserwerber durfte sich nämlich auf die Richtigkeit der im schriftlichen Mietvertrag niedergelegten Angaben zur Miethöhe verlassen. Zu Unrecht hält der Mieter den Grundstückserwerber für verpflichtet, diesbezüglich weitere Nachforschungen anzustellen. Entsprechend der höchstrichterlichen Rechtsprechung kann eine Erkundigungspflicht des Erwerbers nämlich nur bestehen, wenn der Erwerber durch die aus der Vertragsurkunde ersichtlichen Regelungen hinreichend gewarnt ist (BGH NJW 2013, 3161, 3363). Dies gilt insbesondere in Fällen, in denen die Vereinbarung über den Vertragsbeginn auslegungsbedürftige Begriffe enthält und  die Feststellungen, ob die Umstände, an die die Parteien den Vertragsbeginn geknüpft haben, tatsächlich auch eingetreten sind (BGH NJW 2013, 3161, 3163) und auch die Frage der Ausübung einer vertraglich eingeräumten Verlängerungsoption (BGH NJW 2014, 1087, 1089). Für das Vorliegen einer Vereinbarung über die Reduzierung des Mietzinses enthält die Vertragsurkunde aber keinerlei Anhaltspunkte. Im Gegenteil haben die Parteien in dem schriftlichen Mietvertrag ausdrücklich festgestellt, dass andere als in diesem Vertrag getroffene Vereinbarungen nicht bestehen und Nebenabreden nicht getroffen worden sind. Hierauf durfte sich der Grundstückserwerber nach dem Schutzzweck des § 550 BGB auch verlassen. Dies gilt umso mehr, als die Vorschrift des § 550 BGB nicht nur die zuverlässige Unterrichtung des etwaigen Grundstückserwerbers anhand der Vertragsurkunde, in welche mietvertraglichen Rechte und Pflichten er eintritt, bezweckt, sondern auch dazu dient, die Beweisbarkeit langfristiger Abreden zwischen den ursprünglichen Vertragsparteien sicherzustellen. Außerhalb der Vertragsurkunde liegende Umstände wie die Behauptung des Mieters, es sei ein geringerer Mietzins als der im schriftlichen Vertrag genannte vereinbart worden, lösen dagegen keine Erkundigungspflicht des Erwerbers aus. Eine Ausdehnung der Erkundigungspflicht des Erwerbers auf den Fall der mündlichen Behauptung einer Vertragspartei zu einer sie begünstigenden vom schriftlichen Vertrag abweichenden Abrede der Mietvertragsparteien wäre auch mit dem Schutzzweck des § 550 BGB nicht zu vereinbaren, wonach sich der Erwerber auf den schriftlichen Vertrag verlassen darf und nicht etwa am Vertrag beteiligte Personen über Einzelheiten des Vertragsschlusses zu befragen hat.