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BGH, Urteil vom 1.7.2011 – V ZR 154/10 – „Störung der Grundstückszufahrt”


Der Bundesgerichtshof hat am 1.7.2011 ein Urteil verkündet, mit dem Grundsätze zur Frage aufgestellt werden, wann sich ein Grundstückseigentümer gegen eine Blockade seiner Grundstückszufahrt durch kurzfristig abgestellte Fahrzeuge wehren kann.

Die Klägerin ist Eigentümerin eines Grundstücks, die Beklagten bewohnen ein Haus auf dem benachbarten Grundstück. Das Grundstück der Klägerin ist mit dem öffentlichen Straßenraum durch einen an dem Grundstück der Beklagten vorbeiführenden, öffentlich gewidmeten Stichweg mit dem übrigen Straßennetz verbunden. Der Stichweg steht also nicht im Eigentum der Klägerin, es handelt sich um einen öffentlichen Weg. Der Eingang des von den Beklagten bewohnten Hauses befindet sich an der Seite des Stichwegs. Die Beklagten stellen zum Be- und Entladen zeitweise Fahrzeuge auf dem Stichweg ab. Die Klägerin macht geltend, dass es in der Vergangenheit zu zahlreichen Behinderungen der Zufahrt zu ihrem Grundstück gekommen sei, weil die Beklagten, deren Sohn und Besucher ihre Fahrzeuge auf dem Stichweg geparkt hätten. Die Klägerin klagt auf Unterlassung. Das für den Landkreis München zuständige LG München II weist die Klage ab. Die gegen das erstinstanzliche Urteil gerichtete Berufung wird vom Oberlandesgericht München mit der Begründung zurückgewiesen, die Kläger hätten nicht bewiesen, dass die Beeinträchtigung durch parkende Fahrzeuge länger als drei Minuten gedauert habe. Deshalb liege kein Parken im Sinne des § 12 Abs. 2 StVO vor, wonach der parke, der mehr als drei Minuten halte oder das Fahrzeug verlässt.

Diese Auffassung wird vom Bundesgerichtshof nicht geteilt.

Der BGH führt zunächst aus, dass sich der Unterlassungsanspruch des Eigentümers aus § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB ergibt. Nach dieser Vorschrift kann der Eigentümer Behinderungen des Zugangs zu seinem Grundstück auf einem öffentlichen Weg abwehren. Solche Zufahrtsbeschränkungen hindern den Eigentümer an der ungestörten Ausübung des Besitzes an seinem Grundstück.

Diesem Abwehranspruch des Eigentümers kann nicht entgegengehalten werden, dass sich sein Eigentum nicht auf das benachbarte öffentliche Straßengrundstück erstreckt. Zugangsbehinderungen kann der Eigentümer nämlich unabhängig davon abwehren, ob sie auf dem öffentlichen Straßenraum oder auf seinem Grundstück stattfinden. Das Recht eines Grundstückseigentümers, der als Straßenanlieger in besonderem Maß auf die Nutzung der sein Grundstück erschließenden Straße angewiesen ist, auf Teilnahme an dem Gemeingebrauch an dem Straßengrundstück gehört zu den durch § 903BGB („Der Eigentümer einer Sache kann, soweit nicht das Gesetz oder Rechte Dritter entgegenstehen, mit der Sache nach Belieben verfahren und andere von jeder Einwirkung ausschließen.“) garantierten Nutzungsbefugnissen.

Werden Fahrzeuge ohne dessen Einverständnis auf dem Grundstück des Eigentümers abgestellt, so ist dessen Eigentumsrecht stets beeinträchtigt und er kann die Entfernung der Fahrzeuge und künftige Unterlassung verlangen. Anders verhält es sich aber, wenn wie hier auf einem öffentlichen Straßengrundstück geparkt wird. Der aus dem Eigentum an ihrem Grundstück fließende Anspruch der Klägerin in Bezug auf die Nutzung der öffentlichen Straße beschränkt sich darauf, dass ihr, den Mietern und anderen berechtigten Benutzern ihres Grundstücks über die Straße die Zufahrt gewährt werden muss. Wird die Ausübung dieses Rechts nicht berührt, weil während des Parkvorgangs niemand vom und auf das Grundstück der Klägerin fahren will, fehlt es an einer nach § 1004 Abs. 1 BGB abzuwehrenden Eigentumsbeeinträchtigung.

Die Klägerin ist verpflichtet, nicht wesentliche, kurzfristige Beeinträchtigungen der Zufahrt für Be- und Entladegeschäfte vor dem Grundstück der Beklagten zu dulden. Dies folgt aus der Nachbarn treffenden Pflicht zu einer gesteigerten gegenseitigen Rücksichtnahme. Welche Zugangsbeeinträchtigungen unter dem Gesichtspunkt der nachbarschaftlichen Rücksichtnahme hingenommen werden müssen, hängt von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab, für die sich nach Auffassung des BGH keine allgemeinen, für alle Fälle passenden Regeln aufstellen lassen. Grundsätzlich gilt aber, dass die Beklagten die Ausfahrt eines Fahrzeugs von dem Grundstück der Klägerin nicht hindern dürfen und auch sonst bei objektiv erkennbarer Eilbedürftigkeit sofort den Weg – auch unter Unterbrechung eines Ladegeschäfts – räumen müssen. In anderen, nicht eilbedürftigen Fällen, kann die Klägerin verpflichtet sein, sich bis zu einer baldigen Beendigung eines Ladevorgangs eine kurze Zeit zu gedulden.

Nicht entscheidend ist demnach, ob die Zugangsbeeinträchtigung als Parken im Sinne von § 12 Abs. 2 StVO anzusehen ist, was dann der Fall wäre, wenn die Beeinträchtigung länger als drei Minuten gedauert hat. Das Eigentum am Grundstück der Klägerin wird nämlich durch die Behinderung des Zugangs und nicht durch den Verstoß gegen das Straßenverkehrsrecht beeinträchtigt. Es ist deshalb irrelevant, ob das Halten auf der Stichstraße als Parken gilt, weil der Fahrer das Fahrzeug verlässt oder die Beeinträchtigung länger als drei Minuten gedauert hat. Der Rückgriff auf die Definition des Parkens in § 12 Abs. 2 StVO ist verfehlt, da auch eine weniger als drei Minuten dauernde Blockade der Zufahrt eine rechtswidrige Beeinträchtigung des Eigentums der Klägerin sein kann, wenn die Klägerin in erkennbarer Eile war oder ihr ein kurzfristiges Abstellen des eigenen Fahrzeugs an anderer Stelle nicht möglich oder wegen zu großer Entfernung nicht zumutbar gewesen sein sollte.