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Oberlandesgericht Frankfurt am Main, Urteil vom 13.09.2019 – 2 U 61/19 – “Räumung von Gewerberaum per einstweiliger Verfügung?“


In der Wohnungsmiete ordnet § 940 a Abs. 2 ZPO an, dass die Räumung von Wohnraum auch durch einstweilige Verfügung gegen einen Dritten angeordnet werden kann, der im Besitz der Mietsache ist, wenn gegen den Mieter ein vollstreckbarer Räumungstitel vorliegt und der Vermieter vom Besitzerwerb des Dritten erst nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung Kenntnis erlangt hat. In der Gewerberaummiete gilt diese Vorschrift nicht. Mit einem kreativen Urteil vom 13.09.2019 – 2 U 61/19 – hat das Oberlandesgericht Frankfurt am Main nunmehr aber die Auffassung vertreten, die Wertung des § 940 a Abs. 2 ZPO sei auf die Gewerberaummiete übertragbar, obgleich die Norm weder direkt noch analog auf Gewerberäume anwendbar ist.

Klägerin war die Hauptmieterin eines Geschäftslokals in einem Einkaufscenter in Frankfurt am Main. Sie hatte die Mietsache zum Betrieb eines Backshops an Frau UM als Untermieterin überlassen. Nach diesem Vertrag war Frau UM weder zu einer weiteren Untervermietung noch zu einer sonstigen Gebrauchsüberlassung an Dritte berechtigt. Wegen erheblicher Zahlungsrückstände kündigte die Klägerin das Vertragsverhältnis fristlos. Das Landgericht Frankfurt am Main verurteilte Frau UM zur Räumung und Herausgabe der Räume an die Klägerin. Daraufhin stellte Frau UM ihre Mietzahlungen fast vollständig ein. Vor dem für den 07.09.2017 für die Zwangsräumung angesetzten Termin beantragte sie Räumungsschutz, da ihre wirtschaftliche Existenz gefährdet sei. Sie teilte ferner mit, sie habe die Geschäftsräume bereits gemäß Mietvertrag vom 03.07.2016 an eine XY GmbH untervermietet, die nunmehr Alleinbesitzerin sei. Eine Zwangsräumung konnte daher nicht erfolgen. Die XY GmbH wurde auf Antrag der Klägerin durch Urteil vom 04.10.2018 zur Räumung und Herausgabe an die Klägerin verurteilt. Vor dem für den 13.12.2018 angesetzten Termin zur Zwangsräumung ließ die Verfügungsbeklagte VB mit Anwaltsschreiben mitteilen, Frau UM habe das Objekt gemäß vorgelegtem Untermietvertrag an sie untervermietet, woraufhin die Zwangsräumung erneut nicht vollzogen wurde.

Durch Beschluss vom 06.03.2019 gab das Landgericht Frankfurt am Main der Verfügungsbeklagten VB auf Antrag der Klägerin im Wege der einstweiligen Verfügung auf, die von ihr innegehaltenen Gewerberäume im Einkaufszentrum in Frankfurt am Main, Europa-Allee 6, 60327 Frankfurt am Main, genutzt als Shop für Back- und Konditoreiwaren, zu räumen und an die Klägerin herauszugeben. Durch Urteil vom 08.04.2019 hat das Landgericht Frankfurt am Main die einstweilige Verfügung vom 06.03.2019 bestätigt. Die dagegen gerichtete Berufung war erfolglos. Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main führt aus, dass der Klägerin gegen VB ein Anspruch auf Räumung und Herausgabe der Geschäftsräume zusteht, da das Hauptuntermietverhältnis mit UM beendet ist und die Klägerin mithin auch von der Beklagten, welcher Frau UM den Besitz an den Räumlichkeiten überlassen hat, Räumung und Herausgabe verlangen kann (§ 546 Abs. 1, 2 BGB). Das war rechtlich völlig unproblematisch. Höchst interessant ist aber die Frage, ob dieser Anspruch im Wege einstweiliger Verfügung durchgesetzt werden kann. Hierzu meint das Oberlandesgericht Frankfurt am Main, der Erlass einer einstweiligen Verfügung zur Regelung des Rechtsverhältnisses zwischen den Parteien durch Anordnung der Räumung und Herausgabe der Geschäftsräume an die Klägerin sei zur Abwendung wesentlicher Nachteile für die Klägerin geboten (§ 940 ZPO). Die Verweisung der Klägerin auf das Hauptsacheverfahren käme ausnahmsweise einer Rechtsverweigerung gleich. Es sei zu erwarten, dass die vormalige Untermieterin Frau UM oder deren jetzige Untermieterin, die Beklagte, vor Durchführung einer Räumungsvollstreckung aus einem Hauptsachetitel den Besitz an der Mietsache erneut an einen Dritten weitergeben würden. Dabei sei allerdings die gesetzliche Regelung des § 940 a Abs. 2 ZPO, nach welcher die Räumung von Wohnraum durch einstweilige Verfügung auch gegen einen Dritten angeordnet werden darf, der im Besitz der Mietsache ist, wenn gegen den Mieter ein vollstreckbarer Räumungstitel vorliegt und der Vermieter vom Besitzerwerb des Dritten erst nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung Kenntnis erlangt, auf ein Mietverhältnis von Geschäftsräumen nicht anwendbar (vgl. Kammergericht Berlin, GE 2019, 797 f.; OLG Celle, MW 2015, 711 f.). Diese gesetzliche Erleichterung der Räumungsvollstreckung im Wohnraummietrecht soll der Vollstreckungsvereitelung in diesem Bereich entgegenwirken und insoweit die Rechte der Gläubiger und deren berechtigtes Vollstreckungsinteresse an der Räumung eines Mietobjekts stärken. Diese gesetzliche Wertung hat aber nicht zur Folge, dass entsprechende Interessen eines Gläubigers im Bereich der Vermietung von Geschäftsräumen unberücksichtigt bleiben müssten. Vielmehr zeigt die genannte gesetzliche Regelung nach Auffassung des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main, dass sogar im Bereich des Wohnraummietrechts der Schutz des Besitzes an Mieträumen, dem regelmäßig ganz erhebliche Interessen des Besitzers zugrunde liegen, eingeschränkt werden kann. Die Interessen eines Mieters von Geschäftsräumen sind nicht von vornherein höher und die Interessen eines Vermieters von Geschäftsräumen sind nicht von vornherein geringer zu bewerten (vgl. KG, GE 2019, 797 f.; OLG München, ZMR 2018, 220 ff.; OLG Dresden, NZM 2018, 335 ff.; kritisch hierzu Guhling/Günter/Geldmacher, Gewerberaummiete, 2. Aufl. 2019, 16. Teil, Abschnitt 1, Kap. 3 E, Rn. 33 ff. m.w.N.). Die Klägerin sei sowohl auf eine Räumung der von ihr selbst angemieteten Geschäftsräume als auch auf deren Herausgabe an sie dringend angewiesen. Da sie selbst für die Räume die laufende Zahlung von Miete an ihre Vermieterin schuldet, benötigt sie die Herausgabe der Räumlichkeiten für eine entsprechende wirtschaftliche Verwertung der Räume durch ihre Weitervermietung zur Finanzierung ihrer eigenen Mietzahlungsverpflichtung. Dass es sich bei der Klägerin um ein großes Unternehmen handelt, das über zahlreiche weiterzuvermietenden Geschäftsräume verfügt, steht dem nicht entgegen.

Die Begründung des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main ist meines Erachtens dogmatisch nicht haltbar. Nachdem eine analoge Anwendung von § 940 a Abs. 2 ZPO aus Rechtsgründen (es fehlt an einer unbewussten Regelungslücke) nicht in Betracht kommt, widerspricht es Grundsätzen rechtlichen Denkens, die in § 940 a Abs. 2 ZPO zum Ausdruck gekommene Wertung auf die Geschäftsraummiete zu übertragen, denn dies ist nichts anderes als eine hier unzulässige Analogie mit anderen Worten. Bevor man also eine einstweilige Verfügung beantragt, muss man stets sorgfältig prüfen, welche Rechtsauffassung das zuständige Oberlandesgericht vertritt. Zu einer Klärung durch den Bundesgerichtshof wird es nicht kommen, denn im einstweiligen Verfügungsverfahren ist ein Rechtsmittel gegen die Entscheidungen des Oberlandesgerichts nicht gegeben.