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OLG Stuttgart, Beschluss vom 24.01.2019 – 19 U 80/18 – “Pflichtteilsentziehung


Grundsätzlich hat es jeder selbst in der Hand, über seine Vermögensnachfolge zu entscheiden und von der gesetzlichen Erbfolge abzuweichen. Das Gesetz schützt aber bestimmte Personen durch das Pflichtteilsrecht. So steht Abkömmlingen des Erblassers (und soweit es keine Abkömmlinge gibt auch den Eltern des Erblassers) sowie dem Ehegatten ein Pflichtteil in Höhe der Hälfte des Wertes des gesetzlichen Erbteils zu. Dieser Pflichtteil kann nur ausnahmsweise entzogen werden, nämlich nach § 2333 BGB, wenn der Pflichtteilsberechtigte:

  1. dem Erblasser, dem Ehegatten des Erblassers, einem anderen Abkömmling oder einer dem Erblasser ähnlich nahe stehenden Person nach dem Leben trachtet,
  2. sich eines Verbrechens oder eines schweren vorsätzlichen Vergehens gegen eine der in Nummer 1 bezeichneten Personen schuldig macht,
  3. die ihm dem Erblasser gegenüber gesetzlich obliegende Unterhaltspflicht böswillig verletzt oder
  4. wegen einer vorsätzlichen Straftat zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr ohne Bewährung rechtskräftig verurteilt wird und die Teilhabe des Abkömmlings am Nachlass deshalb für den Erblasser unzumutbar ist. Gleiches gilt, wenn die Unterbringung des Abkömmlings in einem psychiatrischen Krankenhaus oder in einer Entziehungsanstalt wegen einer ähnlich schwerwiegenden vorsätzlichen Tat rechtskräftig angeordnet wird.

Das OLG Stuttgart hatte sich mit Beschluss vom 24.01.2019 mit einer Pflichtteilsentziehung zu befassen. Im Streitfall wurde dem Kläger, der auf Feststellung seines Erbrechts geklagt hat, durch Erbvertrag vom 02.04.1992 der Pflichtteil entzogen. Dort heißt es, der Kläger habe die Erblasserin „im Juli 1991 sowie am 21.03.1992 bestohlen. Beim ersten Mal hat er ein Sparbuch sowie Bargeld in Höhe von ca. DM 800,00 gestohlen, beim zweiten Mal Bargeld in Höhe von DM 6.100,00. Der zweite Diebstahl wurde von mir bei der Polizei in L. angezeigt, das Ermittlungsverfahren läuft derzeit noch. Auch wenn er den Diebstahl nicht gesteht und aufgrund mangelnder Beweise nicht verurteilt werden kann, kommt für mich aufgrund der gegebenen Umstände kein anderer als Dieb […] infrage.“ Das Landgericht Ravensburg hat die Klage auf Feststellung des Pflichtteilsrechts abgewiesen und in II. Instanz hat der Kläger nunmehr Prozesskostenhilfe für das Berufungsverfahren beantragt. Dieser Antrag wurde durch den Beschluss des OLG mangels hinreichender Erfolgsaussichten aufgrund der wirksamen Pflichtteilsentziehung zurückgewiesen. Denn der Diebstahl vom 21.03.1992 stellt eine schwerwiegende Straftat zum Nachteil der Erblasserin dar, was sich allein aus der verhängten Geldstrafe von 100 Tagessätzen ergibt. Hinzu kommt, dass der Diebstahl im häuslichen bzw. privaten Bereich der Erblasserin stattfand. Dadurch kommt auch eine grobe Missachtung des Eltern-Kind-Verhältnisses zum Ausdruck. Eine Verzeihung hat das OLG abgelehnt, obwohl der Pflichtteilsberechtigte viele Jahre nach Begehung der Straftat in das auch von der Erblasserin bewohnte Haus eingezogen und in diesem bis zum Erbfall wohnte. Denn eine Verzeihung liegt nur vor, wenn der Erblasser durch sein Verhalten zum Ausdruck bringt, dass er die durch den jeweiligen Pflichtteilsentziehungsgrund hervorgerufene Kränkung nicht mehr als solche empfindet, wobei dies auch durch schlüssiges Handeln erfolgen kann. Dafür reicht es aus Sicht des OLG aber nicht aus, dass es die Erblasserin im Streitfall dem Kläger ermöglicht hat, im Keller des ihr gehörendes Hauses zu wohnen, dies insbesondere auch deshalb, weil die Erblasserin zum Zeitpunkt des Einzugs bereits an Demenz erkrankt war und daher voraussichtlich nicht mehr in der Lage war, den moralischen Gehalt ihres Verhaltens zu begreifen und die Bedeutung einer etwaigen Verzeihung zu erkennen.

 

Im vorliegenden Fall hat das Gericht also die wirksame Pflichtteilentziehung bejaht, die Anforderungen sind aber im Einzelfall sehr hoch und es sollte in einem solchen Fall für die Formulierung in der letztwilligen Verfügung juristischer Rat hinzugezogen werden. Der Kläger wurde wegen der Tat vom 21.03.1992 rechtskräftig durch das Amtsgericht zu einer Geldstrafe i.H.v. 100 Tagessätzen zu DM 50,00 verurteilt. Die Entziehung des Pflichtteils muss durch letztwillige Verfügungen (Testament oder Erbvertrag) erfolgen, wobei der Grund der Entziehung zum Zeitpunkt der Errichtung bestehen und in der Verfügung angegeben werden muss. Hat der Erblasser dem Pflichtteilberechtigten verziehen, ist die Entziehung unwirksam.