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Landgericht Mönchengladbach, Urteil vom 02.11.2020 – 12 O 154/20 – “Neues zur Corona-Miete“


Die Jurisprudenz ist keine Naturwissenschaft. Rechtsanwendung ist fast immer auch Wertung. Es liegt also in der Natur der Sache, dass man Rechtsfragen unterschiedlich beantworten kann. Deshalb gibt es gegenwärtig und in den nächsten Monaten eine Vielzahl von unterschiedlichen Meinungen zur Frage, wie sich behördlich angeordnete Schließungen wegen Corona auf die Mietzahlungspflicht auswirken. Man sollte diese Entscheidungen mit Interesse zur Kenntnis nehmen und sich im Klaren darüber sein, dass der Bundesgerichtshof eines gegenwärtig noch eher fernen Tages nicht etwa so entscheiden wird, wie es die Mehrzahl der Gerichte sah. Vielmehr ist es nicht seriös prognostizierbar, wie die Problematik höchstinstanzlich entschieden wird. Das werden nicht einmal die Richter voraussagen können, die dem für das gewerbliche Mietrecht zuständigen XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs angehören, da Entscheidungen stets das Ergebnis eines längeren Nachdenkens und der Diskussion kluger Köpfe ist.

Das Landgericht Mönchengladbach hat mit Urteil vom 02.11.2012 – 12 O 154/20 – entschieden, dass die Corona bedingte behördliche Schließung eines Ladenlokals – eines Schuhgeschäfts – kein Mietmangel ist. Zwar können auch öffentlich-rechtliche Gebrauchshindernisse und -beschränkungen die Tauglichkeit der Mietsache zu dem vertragsgemäßen Gebrauch mindern und damit einen Sachmangel darstellen. Voraussetzung ist aber, dass die Beschränkungen der konkret vermieteten Sache ihre Ursache gerade in deren Beschaffenheit und Beziehung zur Umwelt haben und nicht in den persönlichen oder betrieblichen Umständen des Mieters (BGH NJW 2011, 3151 Rn. 9, 17). Durch hoheitliche Maßnahmen bewirkte Gebrauchsbeschränkungen können deshalb nur dann einen Mangel begründen, wenn sie unmittelbar mit der konkreten Beschaffenheit, dem Zustand oder der Lage der konkreten Mietsache in Zusammenhang stehen. Maßnahmen, die nur den geschäftlichen Erfolg des Mieters beeinträchtigen, fallen in dessen Risikobereich. § 535 Abs. 1 S. 2 BGB verpflichtet den Vermieter nur, die Mietsache in einem Zustand zu erhalten, der dem Mieter die vertraglich vorgesehene Nutzung ermöglicht. Das Verwendungsrisiko trägt hingegen der Mieter allein. Ausgehend von diesen rechtlichen Vorgaben liegt nach Auffassung des Landgerichts Mönchengladbach im vorliegenden Fall kein Sachmangel vor. Die hoheitlichen Maßnahmen dienten dem Schutz der Bevölkerung vor allgemeinen gesundheitlichen Gefahren. Sie knüpfen nicht unmittelbar an die konkrete Beschaffenheit der Mietsache an, sondern allein an den Betrieb des jeweiligen Mieters. Die Maßnahmen stellen dabei nicht auf die konkreten baulichen Gegebenheiten ab, sondern allgemein auf die Nutzungsart sowie den Umstand, dass in den betroffenen Flächen Publikumsverkehr stattfindet und dies Infektionen begünstigt. Daran ändert auch nichts, dass die streitgegenständlichen Gewerberäume zur Nutzung als Verkaufs- und Lagerräume zum Betrieb eines Schuhgeschäfts vermietet wurden. Denn die Mietsache ist zu diesem Zweck weiterhin in gleicher Weise geeignet wie vor dem hoheitlichen Einschreiten. Untersagt ist lediglich dessen Betrieb und zwar losgelöst von Fragen der Beschaffenheit oder Lage der Mietsache. Dieser Umstand fällt in den Risikobereich des Mieters.

Das Landgericht Mönchengladbach meint allerdings, dass der Mieter gemäß § 313 Abs. 1 BGB einen Anspruch auf Vertragsanpassung für die Zeit der behördlichen Zwangsschließung hat, wobei der Anspruch auf Vertragsanpassung im Wege einer Einrede gegen eine Inanspruchnahme aus dem unzumutbar gewordenen Vertrag geltend gemacht werden könne (Beck OGK/Martens BGB § 313 Rn. 155). Ein Anspruch auf Vertragsanpassung gemäß § 313 Abs. 1 BGB liegt vor, wenn sich Umstände, die zur Grundlage des Vertrags geworden sind, nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert haben und wenn die Parteien den Vertrag nicht oder mit anderem Inhalt geschlossen hätten, wenn sie diese Veränderung vorausgesehen hätten, sowie wenn einem Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann. § 313 Abs. 1 BGB ist nach Auffassung des Landgerichts Mönchengladbach anwendbar. Insbesondere steht dem nicht die im Zuge der Corona Pandemie eingeführte Regelung des Art. 240 Abs. 2 EGBGB entgegen. Eine Sperrwirkung kann Art. 240 § 2 EGBGB nicht entnommen werden. Der Gesetzgeber wollte den betroffenen Schuldnern nur einen zusätzlichen Schutz bieten und nicht ihren Schutz durch die Einführung des Art. 240 § 2 EGBGB verkürzen. Dementsprechend wird in Art. 240 § 2 EGBGB nur eine Beschränkung des Kündigungsrechts geregelt, aber nichts zur Höhe der Miete oder einem Anpassungsrecht des Mieters gemäß § 313 Abs. 1 BGB. Die zeitliche Beschränkung des Kündigungsausschlusses in Abs. 4 der Regelung besagt hierzu ebenfalls nichts. Zwar geht der Gesetzgeber davon aus, dass der Vermieter bei entsprechendem Rückstand nach dem 30.06.2020 kündigen kann; er unterstellt also eine weiterhin bestehende Zahlungspflicht. Dass der Mieter die volle vereinbarte Miete schuldet, folgt daraus jedoch nicht. Die Gesetzesmaterialien schweigen sich zu einer Anwendung von § 313 BGB aus. In der Gesetzesbegründung wird als Gesetzeszweck allein die Bestandssicherung des Mietverhältnisses genannt. Schon das schließt eine Sperrwirkung für Mietanpassungen gemäß § 313 Abs. 1 BGB aus.

Nach Auffassung des Landgerichts Mönchengladbach sind die Voraussetzungen des § 313 Abs. 1 BGB gegeben. Bei Betriebsunterbrechungen greife das Anpassungsrecht des § 313 Abs. 1 BGB ein. Im März 2020 wurde die Nutzung zum vertraglichen Zweck in weiten Bereichen des Einzelhandels und so auch im konkreten Fall vollständig untersagt, womit der Geschäftsbetrieb jedenfalls nahezu vollständig zum Erliegen kam. Das ist eine schwerwiegende, unzumutbare Störung. Da das Risiko für die Betriebsuntersagung in gleichem Maß außerhalb des Risikobereichs von Mieter und Vermieter lag, ist eine Anpassung auf die Hälfte des Mietzinses angemessen (BeckOGK/Martens, 01.10.2020, BGB § 313 Rn. 241; Häublein/Müller NZM 2020, 481, 490; Ekkenga/Schirrmacher NZM 2020, 410, 414; Zehelein NZM 2020, 390, 399; im Ergebnis ebenso Weller/Thomale, BB 2020, 962, 965; anderer Auffassung waren hingegen das Landgericht Frankfurt a. M. im Urteil vom 02.10.2020 – 2-15 O 23/20 und das Landgericht Heidelberg COVuR 2020, 541 Rn. 33 ff.). Diese hälftige Teilung fügt sich nach Meinung des Landgerichts Mönchengladbach auch in die höchstrichterliche Rechtsprechung ein, die eine solche annimmt, wenn die Folgen der Grundlagenstörung nicht einer Partei allein zugewiesen werden können (BGH NJW 1984, 1746, 1747). Die hälftige Teilung gilt auch für verbrauchsunabhängige Betriebskosten. Lediglich die verbrauchsabhängigen Betriebskosten hat der Mieter vollständig zu tragen, weil sie durch seine eingeschränkte Fortsetzung der Geschäftstätigkeit verursacht wurden.

Mit gut vertretbarer Begründung legt das Landgericht Mönchengladbach dar, weshalb es die von anderen Gerichten geäußerte Rechtsansicht nicht teilt, durch die Corona bedingten Zwangsschließungen habe sich ein Risiko verwirklicht, das ausschließlich in den Risikobereich eines Mieters falle. Zwar trage regelmäßig der Mieter das Ertrags- und Verwendungsrisiko. Das sei im vorliegenden Fall aber willkürlich, denn das Risiko für die Betriebsuntersagung lag in gleichem Maß außerhalb des Risikobereichs von Mieter und Vermieter.

Auch lässt sich die vom Landgericht Mönchengladbach dargelegte Begründung hören, weshalb ein Festhalten am Vertrag für den Mieter unzumutbar sei, obgleich dies beispielsweise das Landgericht Heidelberg anders sah und meinte, aus der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs herleiten zu können, dass Unzumutbarkeit nur bei einer Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz angenommen werden könne. Das Landgericht Mönchengladbach bejaht anders als das Landgericht Heidelberg die Unzumutbarkeit für den Zeitraum der Zwangsschließung, weil keine Umsätze erzielt werden konnten. Deshalb geht das Landgericht Mönchengladbach von einem Anspruch des Mieters gemäß § 313 Abs. 1 BGB auf Vertragsanpassung für die Zeit der zwangsweisen Schließung aus. Die Miete sei für diesen Zeitraum um 50 % zu mindern.

Eine interessante Meinungsäußerung. Man kann die Rechtslage so wie das Landgericht Mönchengladbach sehen, man muss es aber nicht. Wir werden uns in den nächsten Monaten noch häufig mit der Suche nach der „richtigen“ Rechtsmeinung befassen können. Entscheidend wird aber wie stets das sein, was der Bundesgerichtshof in letzter Instanz als verbindlich entscheidet. Die Literatur kann danach noch immer jahrelang diskutieren, ob das richtig ist oder nicht. Für die Praxis spielt das aber ernsthaft keine Rolle. Darüber hinaus ist es noch keinesfalls gesagt, dass selbst dann, wenn der Bundesgerichtshof annehmen sollte, während der Corona bedingten Zwangsschließung käme aus welchen Rechtsgründen auch immer eine Reduzierung der Miete in Betracht, dies ausnahmslos für alle Mietverhältnisse gilt. Die Rechtsprechung und insbesondere der Bundesgerichtshof stellt immer auf die Gegebenheiten des Einzelfalls ab. Es soll durchaus Fälle gegeben haben, in denen trotz der Zwangsschließung auf andere Weise etwa durch online-Handel oder Lieferung befriedigende bis gute Umsätze erwirtschaftet werden konnten. Für solche Fälle wird demnach kaum eine Mietanpassung in Betracht kommen, selbst wenn der Bundesgerichtshof zum Ergebnis käme, dass behördliche Zwangsschließungen aufgrund der Corona-Pandemie Einfluss auf die Mietzahlungsverpflichtung haben können.