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Bundesgerichtshof, Urteil vom 12.01.2022 – XII ZR 8/21 – “Mietzahlungspflicht bei coronabedingter Geschäftsschließung“


Mit Urteil vom 12.01.2022 – XII ZR 8/21 – hat der Bundesgerichtshof die Frage entschieden, ob ein Mieter von gewerblich genutzten Räumen für die Zeit einer staatlich angeordneten Geschäftsschließung während der COVID-19-Pandemie zur vollständigen Zahlung der Miete verpflichtet ist. Hierbei hat der Bundesgerichtshof wie ein Wegweiser gezeigt, in welche Richtung die Reise geht. Es sind aber noch viele Fragen offen.

In der Mietsache wurde eine Filiale des Textil-Discounters KiK betrieben. Aufgrund des sich im März 2020 in Deutschland verbreitenden Corona-Virus musste das Einzelhandelsgeschäft aufgrund einer Landesverordnung vom 19.03.2020 bis einschließlich 19.04.2020 geschlossen werden. Der Mieter zahlte die Miete für April 2020 nicht und rechnete gegen die Mietzahlungspflicht für die Zeit vom 20. bis 30.04.2020 mit der aus Sicht des Mieters überzahlten Miete für die Zeit vom 19. bis 31.03.2020 auf. Die folgenden Mietzahlungen erbrachte der Mieter vollständig (was für den Bundesgerichtshof für die Frage, ob es dem Mieter unzumutbar ist, für die Zeit der behördlichen Zwangsschließung die volle Miete zu zahlen, offenbar von Relevanz ist).

Das Oberlandesgericht Dresden hatte angenommen, die staatliche Schließungsanordnung habe zu einer Störung der Geschäftsgrundlage des Mietvertrags im Sinne von § 313 Abs. 1 BGB geführt, die eine Anpassung des Vertrags dahin gebiete, dass die Kaltmiete für die Dauer der angeordneten Schließung auf die Hälfte reduziert werde. Der Bundesgerichtshof hingegen meint, eine derart pauschale Lösung komme nicht in Betracht. Erforderlich sei eine umfassende Abwägung sämtlicher Umstände des Einzelfalls.

Die in der Literatur und der Rechtsprechung umstrittene Frage, ob behördliche Zwangsschließungen zu einem Mangel der Mietsache führen, wird vom Bundesgerichtshof verneint. Die Begründung des Gerichts ist interessant, sie spielt aber für die Praxis keine Rolle. Entscheidend ist das Ergebnis, dass Schließungsanordnungen keinen Mangel der Mietsache darstellen, die weiterhin für den vereinbarten Mietzweck zur Verfügung steht. Hierbei ergibt sich das Vorliegen eines Mangels auch nicht aus dem in der Streitsache vereinbarten Mietzweck der Räumlichkeiten zur „Nutzung als Verkaufs- und Lagerräume eines Einzelhandelsgeschäfts für Textilien aller Art, sowie Waren des täglichen Ge- und Verbrauchs“. Mit der Vereinbarung des konkreten Mietzwecks hat der Vermieter nicht die unbedingte Einstandspflicht auch für den Fall einer hoheitlich angeordneten Öffnungsuntersagung im Falle einer Pandemie übernehmen wollen.

Dem Mieter von gewerblich genutzten Räumen kann jedoch im Falle einer pandemiebedingten Geschäftsschließung grundsätzlich ein Anspruch auf Anpassung der Miete wegen Störung der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 Abs. 1 BGB zustehen. Aufgrund der vielfältigen Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie wie Geschäftsschließungen, Kontakt- und Zugangsbeschränkungen und der damit verbundenen massiven Auswirkungen auf das gesellschaftliche und wirtschaftliche Leben in Deutschland während des ersten Lockdowns im Frühjahr 2020 ist die sogenannte große Geschäftsgrundlage betroffen. Darunter versteht man die Erwartung der vertragschließenden Parteien, dass sich die grundlegenden politischen, wirtschaftlichen und sozialen Rahmenbedingungen eines Vertrages nicht ändern und die soziale Existenz nicht erschüttert werde. Diese Erwartung der Mietvertragsparteien wurde dadurch schwerwiegend gestört, dass der Mieter aufgrund der zur Bekämpfung der Pandemie erlassenen landesrechtlichen Allgemeinverfügungen sein Geschäftslokal in der Zeit vom 19.03.2020 bis einschließlich 19.04.2020 schließen musste.

Allein der Wegfall der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 Abs. 1 BGB berechtigt jedoch noch nicht zu einer Vertragsanpassung. Für eine Berücksichtigung der Regelungen über die Störung der Geschäftsgrundlage ist nämlich grundsätzlich insoweit kein Raum, als es um Erwartungen und um Umstände geht, die nach den vertraglichen Vereinbarungen in den Risikobereich einer der Parteien fallen sollen. Eine solche vertragliche Risikoverteilung bzw. Risikoübernahme schließt für die Vertragspartei regelmäßig die Möglichkeit aus, sich bei Verwirklichung des Risikos auf eine Störung der Geschäftsgrundlage zu berufen (BGHZ 223, 290 = NJW 2020, 331 Rn. 37 mwN). In dem Mietvertrag über die KiK-Filiale stand folgende Regelung: „Wenn die Gas-, Strom- und Wasserversorgung oder Entwässerung durch einen nicht von dem Vermieter zu vertretenden Umstand unterbrochen wurde oder wenn Überschwemmungen oder sonstige Katastrophen eintreten, steht dem Mieter ein Recht auf Mietminderung oder Schadensersatz nicht zu.“ Der Bundesgerichtshof führt aus, dass der Mieter durch diese Vereinbarung nicht vertraglich das alleinige Verwendungsrisiko für den Fall einer pandemiebedingten Schließung des Einzelhandelsgeschäfts übernommen hat. Zwar können die Mietvertragsparteien durch eine entsprechende vertragliche Abrede die Risikoverteilung ändern. Ob das der Fall ist, ist durch Auslegung der getroffenen Vertragsvereinbarungen zu ermitteln. Das ist durch die zitierte mietvertragliche Vereinbarung jedoch nicht geschehen. Nach ihrem eindeutigen Wortlaut bezieht sich diese Regelung nur auf Mängel- und Schadensersatzansprüche des Mieters. Da Vertragsbestimmungen, mit denen die Mietvertragsparteien die Risikoverteilung abändern wollen, grundsätzlich eng auszulegen sind, kann aus dieser Regelung nicht geschlossen werden, dass der Mieter über den umfangreichen Verzicht auf mietrechtliche Gewährleistungsansprüche in den von der Vertragsbestimmung erfassten Ereignissen hinaus auch im Falle einer weltweiten Pandemie das alleinige Risiko dafür übernehmen wollte, die Mietsache nicht vertragsgemäß verwenden zu können

Auch wenn die mit einer pandemiebedingten Betriebsschließung verbundene Gebrauchsbeeinträchtigung der Mietsache nicht allein dem Verwendungsrisiko des Mieters zugeordnet werden kann, bedeutet dies aber nicht, dass der Mieter stets eine Anpassung der Miete für den Zeitraum der Schließung verlangen kann. Ob dem Mieter ein Festhalten an dem unveränderten Vertrag unzumutbar ist, bedarf auch in diesem Fall einer umfassenden Abwägung, bei der sämtliche Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen sind (§ 313 Abs. 1 BGB). Eine pauschale Betrachtungsweise wird den Anforderungen an dieses normative Tatbestandsmerkmal der Vorschrift nicht gerecht. Deshalb kommt eine Vertragsanpassung dahingehend, dass ohne Berücksichtigung der konkreten Umstände die Miete für den Zeitraum der Geschäftsschließung grundsätzlich um die Hälfte herabgesetzt wird, weil das Risiko einer pandemiebedingten Gebrauchsbeschränkung der Mietsache keine der beiden Mietvertragsparteien alleine trifft, nicht in Betracht. Bei der vorzunehmenden Abwägung ist zunächst von Bedeutung, welche Nachteile dem Mieter durch die Geschäftsschließung und deren Dauer entstanden sind. Diese werden bei einem gewerblichen Mieter primär in einem konkreten Umsatzrückgang für die Zeit der Schließung bestehen, wobei jedoch nur auf das konkrete Mietobjekt und nicht auf einen möglichen Konzernumsatz abzustellen ist. Zu berücksichtigen kann auch sein, welche Maßnahmen der Mieter ergriffen hat oder ergreifen konnte, um die drohenden Verluste während der Geschäftsschließung zu vermindern. Da eine Vertragsanpassung nach den Grundsätzen der Störung der Geschäftsgrundlage aber nicht zu einer Überkompensierung der entstandenen Verluste führen darf, sind bei der Prüfung der Unzumutbarkeit grundsätzlich auch die finanziellen Vorteile zu berücksichtigen, die der Mieter aus staatlichen Leistungen zum Ausgleich dieser pandemiebedingten Nachteile erlangt hat. Auch Leistungen einer einstandspflichtigen Betriebsversicherung des Mieters können zu berücksichtigen sein. Staatliche Unterstützungsmaßnahmen, die nur auf Basis eines Darlehens gewährt wurden, bleiben hingegen bei der gebotenen Abwägung außer Betracht. Eine tatsächliche Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz des Mieters ist dagegen nicht erforderlich. Schließlich sind bei der gebotenen Abwägung auch die Interessen des Vermieters in den Blick zu nehmen. Dabei obliegt es grundsätzlich dem Mieter nachzuweisen, dass ihm ein Festhalten am unveränderten Vertrag unzumutbar ist. Im Falle einer pandemiebedingten Geschäftsschließung muss daher der Mieter darlegen und gegebenenfalls beweisen, welche Nachteile ihm aus der Betriebsschließung entstanden sind, die ihm eine vollständige Mietzahlung für diesen Zeitraum unzumutbar machen, und welche zumutbaren Anstrengungen er unternommen hat, um drohende Verluste auszugleichen. Behauptet der Mieter, keine staatlichen Unterstützungsleistungen erhalten zu haben, muss er darlegen und gegebenenfalls beweisen, dass er sich um mögliche Hilfeleistungen vergeblich bemüht hat. Gelingt ihm dies nicht, muss er sich so behandeln lassen, als hätte er die staatlichen Unterstützungsleistungen erhalten. Wendet hingegen der Vermieter ein, dass die vom Mieter behaupteten Verluste nicht auf der Pandemie beruhen, trifft ihn hierfür die Darlegungs- und Beweislast.

Auch im Fall einer pandemiebedingten Geschäftsschließung ist somit eine konkret auf den Einzelfall bezogene Abwägung aller relevanten Umstände erforderlich, die nicht durch eine pauschale Aufteilung der Miete ersetzt werden kann. Von Bedeutung war im zu entscheidenden Fall nach Auffassung des Bundesgerichtshofs auch, dass der Mieter nur die Miete für April 2020 ausgesetzt und die weiteren Mieten im Jahr 2020 vollständig bezahlt hat. Der Bundesgerichtshof meint, dies sei Anlass, die Frage zu prüfen, ob der durch die Geschäftsschließung entstandene Umsatzrückgang tatsächlich so erheblich war, dass dem Mieter die vollständige Zahlung der Miete für den streitgegenständlichen Zeitraum unzumutbar war.