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Bundesgerichtshof, Urteil vom 23 .09.2020 – XII ZR 86/18 – “Maßnahmen zur Mangelerforschung als tatsächliches Anerkenntnis?“


Der Bundesgerichtshof befasste sich mit Urteil vom 23.09.2020 – XII ZR 86/18 – mit der Frage, ob die Bereitschaft des Vermieters, einer Mängelanzeige des Mieters nachzugehen, als sogenanntes tatsächliches Anerkenntnis zu qualifizieren ist. Für den Regelfall ist diese Frage nach Auffassung des Bundesgerichtshofs zu verneinen.

Mietsache sind Büroräume mit einem Stellplatz in einem Geschäftsgebäude in Berlin. Vereinbart wurde eine Vertragsdauer von fünf Jahren. Der Mieter zeigte mit Schreiben vom 09.04.2015 dem Vermieter an, dass in einem der Büroräume ein beißender, die Atemwege und Augen reizender Geruch feststellbar sei. Der Vermieter besichtigt daraufhin die Räume. Der Mieter zahlte seit Juli 2015 nur noch eine um 10 % geminderte Miete. Er forderte den Vermieter unter Fristsetzung und Klageandrohung zur Beseitigung der beanstandeten Geruchsbeeinträchtigung auf. Daraufhin erfolgte eine weitere Begehung der Mieträume durch den Hausmeister. Am 09.11.2015 richteten die Rechtsanwälte des Vermieters an den Rechtsanwalt des Mieters ein Schreiben, mit dem ohne Anerkennung einer Rechtspflicht und Präjudiz zum Zwecke einer einvernehmlichen Regelung das Angebot unterbreitet wurde, den textilen Bodenbelag in der Mietsache komplett auf Kosten des Vermieters auszutauschen. Danach sollte der Mieter die rückständigen Mieten vollständig zahlen. Der Mieter geht auf dieses Angebot nicht ein und kündigte das Mietverhältnis außerordentlich unter Hinweis auf den gerügten Mangel. Der Vermieter veranlasste eine erneute Begehung der Mieträume durch den Hausmeister. Nachdem im streitgegenständlichen Büroraum ein Geruch festgestellt worden war, ließ der Vermieter eine Wand im angrenzenden WC öffnen, um einen etwaigen Rohrschaden im Versorgungsschacht auszuschließen. Sodann klagt der Vermieter die Mietrückstände ein. Der Vermieter, der in erster Instanz vor dem Landgericht Berlin noch obsiegt hatte, unterlag im Berufungsverfahren vor dem Kammergericht, das die Auffassung vertrat, der Mieter sei zur Minderung der Miete um 10 % berechtigt gewesen. Der Mieter habe einen Mangel in Form eines beißenden und reizenden Geruchs in einem der Büroräume hinreichend substantiiert dargelegt. Der Vermieter habe diesen Mangel tatsächlich anerkannt, indem er den Austausch des Bodenbelags auf seine Kosten vorgeschlagen habe. Auch das vom Vermieter veranlasste Öffnen der Wand im angrenzenden WC sei als tatsächliches Anerkenntnis zu werten. Diese tatsächlichen Anerkenntnisse stellten ein starkes Indiz für den Wahrheitsgehalt des Vortrags des Mieters zum Sachmangel dar und bewirkten eine Umkehr der Beweislast.

Der Bundesgerichtshof teilt diese Rechtsauffassung des Kammergerichts nicht. Er hebt das Urteil auf und verweist die Sache an das Berufungsgericht zurück, um eine weitere Sachaufklärung zur Frage des Vorliegens einer Geruchsbeeinträchtigung vorzunehmen. Der Bundesgerichtshof führt aus, dass ein Mieter nach allgemeinen Grundsätzen die Darlegungs- und Beweislast für die Existenz eines Mangels trägt. Weil nicht schlechthin jede Geruchsentwicklung in gemieteten Räumen zu einer Gebrauchsbeeinträchtigung führt, muss der Mieter darlegen und im Bestreitensfall beweisen, dass mit der Geruchsentwicklung eine spürbare und das Wohlbefinden der Nutzer erheblich beeinträchtigende Belastung des Geruchsempfindens einhergeht. Insoweit könne sich der Mieter auch nicht auf die Grundsätze des „tatsächlichen Anerkenntnisses“ berufen.

Das Recht kennt neben dem abstrakten Schuldanerkenntnis (§ 781 BGB) und dem im Bürgerlichen Gesetzbuch nicht geregelten deklaratorischen Schuldanerkenntnis noch das sogenannte tatsächliche Anerkenntnis, das keinen besonderen rechtsgeschäftlichen Verpflichtungswillen des Schuldners verkörpert, sondern das der Schuldner zu dem Zweck abgibt, dem Gläubiger seine Erfüllungsbereitschaft mitzuteilen und ihn dadurch etwa von sofortigen Maßnahmen abzuhalten oder ihm den Beweis zu erleichtern. Solche „als Zeugnis des Anerkennenden gegen sich selbst“ zu wertenden Bestätigungserklärungen können im Prozess eine Umkehr der Beweislast bewirken oder stellen jedenfalls ein Indiz dar, das der Richter – mit der gleichzeitigen Möglichkeit einer Entkräftung – bei seiner Beweiswürdigung verwerten kann (BGH NJW 2009, 580 Rn. 9). Entgegen der Auffassung des Kammergerichts kann aber dem Verhalten des Vermieters nicht der Bedeutungsgehalt eines solchen „Zeugnisses gegen sich selbst“ beigemessen werden. Der vom Vermieter unterbreitete Vorschlag, den Bodenbelag im streitgegenständlichen Büroraum auszutauschen, erfolgte im Rahmen eines Vergleichsangebots und ausdrücklich „ohne Anerkennung einer Rechtspflicht und Präjudiz“. Der damit eindeutig zum Ausdruck gebrachte Vorbehalt, nur zur gütlichen Beilegung des bestehenden Streits handeln und darüber hinaus keine rechtlich bindende Verpflichtung eingehen zu wollen, steht nicht nur der Annahme eines rechtsgeschäftlichen (kausalen) Schuldanerkenntnisses entgegen. Er schließt auch in tatsächlicher Hinsicht regelmäßig die Beurteilung aus, dass der anderen Vertragspartei die unbedingte Erfüllungsbereitschaft mitgeteilt oder ihre Beweislage verbessert werden soll.

Auch die vom Vermieter veranlasste Wandöffnung kann nicht als „Anerkenntnishandlung“ angesehen werden. Auch im Zusammenhang mit Mangelbeseitigungsarbeiten gibt es keine Vermutung für die Abgabe eines Anerkenntnisses. Die Bereitschaft des Vermieters, einer Mangelanzeige des Mieters nachzugehen, enthält für sich genommen noch keine Aussage dahingehend, das Vorhandensein eines Mangels und die Beeinträchtigung des vertragsgemäßen Gebrauchs der Mietsache außer Streit stellen zu wollen. Maßnahmen des Vermieters zur Erforschung oder Beseitigung eines vom Mieter angezeigten Mangels können nur dann als Zeugnis des Vermieters gegen sich selbst angesehen werden, wenn besondere Umstände des Einzelfalls die Wertung tragen, dass der Vermieter nicht nur aus Kulanz oder zur gütlichen Beilegung des Streits um die vermeintliche Mangelhaftigkeit der Mietsache, sondern in dem Bewusstsein gehandelt hat, im Rahmen seiner Gewährleistungspflicht zur Beseitigung des behaupteten Mangels verpflichtet zu sein. Von Bedeutung sind dabei vor allem der Umfang, die Dauer und die Kosten der Mangelbeseitigungsarbeiten (BGH NJW 2006, 47 Rn. 16). Da sich die Tätigkeit des Vermieters auf eine punktuelle Mangelerforschungsmaßnahme beschränkte, die keine Ursache für die vom Mieter beanstandete Geruchsbeeinträchtigung aufzeigen konnte und der Vermieter danach keine weiteren Schritte zur Erforschung oder zur Beseitigung des beanstandeten Mangels mehr unternommen hat, liegt es auch in einer Gesamtschau fern, im Verhalten des Vermieters ein tatsächliches Anerkenntnis zu sehen.

Nach alledem durfte das Kammergericht mit der gegebenen Begründung die vom Vermieter geltend gemachten Zahlungsansprüche nicht verneinen. Der Bundesgerichtshof hat das Urteil deshalb aufgehoben und an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Darüber hinaus hat der Bundesgerichtshof auch mit einigen kräftigen Formulierungen („sachfremd“; „allgemein anerkannte Auslegungsgrundsätze wurden verletzt und wesentlicher Auslegungsstoff außer Acht gelassen“) die Einzelrichterin des Kammergerichts, die das aufgehobene Urteil „verbrochen“ hat, sehr deutlich „abgewatscht“.