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OLG Hamm, Beschluss vom 10.09.2021 – I-30 U 147/21 – “Keine Anpassung der Miete im Lockdown bei einer Risikoübernahme“


Der Bundesgerichtshof hat mit Urteil vom 12.01.2022 – XII ZR 8/21 – ausgeführt, dass eine Anpassung der Miete bei einer coronabedingten Geschäftsschließung in Betracht kommt. Das Oberlandesgericht Hamm hat mit Beschluss vom 10.09.2021 – I-30 U 147/21 – einen Sachverhalt entschieden, bei dem die Besonderheit bestand, dass im Mietvertrag eine Regelung enthalten war, wonach die Miete auch bei vom Vermieter nicht zu vertretenden Unterbrechungen des Betriebes des Mietgegenstandes in voller Höhe fortzuentrichten war. Darüber hinaus hatte der Mieter während der Pandemie ein Optionsrecht ausgeübt und mit dem Vermieter eine Verlängerung des Mietverhältnisses vereinbart. Daraus leitete das Oberlandesgericht ein Indiz dafür ab, dass dem Mieter ein Festhalten an dem Mietvertrag zu unveränderten Vertragsbedingungen nicht unzumutbar ist.

Der Mieter betrieb ein Möbeleinzelhandelsgeschäft in einem Einkaufszentrum. Der Mietvertrag enthielt folgende Vereinbarung:

„Vom Vermieter nicht zu vertretende Unterbrechungen des Betriebes des Mietgegenstandes oder einzelner Mietparteien im Mietobjekt – gleich aus welchem Grund – beeinträchtigen die Mietzahlungsverpflichtung nicht.“

Mit Schreiben vom 23.12.2020 machte der Mieter von einem Optionsrecht Gebrauch und verlängerte die Mietzeit für das Objekt bis zum 31.12.2025. Aufgrund der Corona-Pandemie musste der Mieter nach der Coronaschutzverordnung NRW den Ladenverkauf in den angemieteten Räumlichkeiten ab dem 16.12.2020 schließen bzw. stark einschränken. Für den Monat Februar 2021 zahlte der Mieter 10 % und für den Monat März 2021 90 % der Miete. Am 24.03.2021/30.03.2021 schlossen die Mietvertragsparteien eine Nachtragsvereinbarung und verlängerten die Festlaufzeit des Mietvertrags um weitere drei Jahre bis zum 31.12.2028.

Das Oberlandesgericht Hamm entscheidet, dass der Mieter nicht zur Reduzierung der Mieten für Februar und März 2021 berechtigt ist. Er müsse die Mieten vielmehr in voller Höhe zahlen. Eine Anpassung des Vertrages gemäß § 313 Abs. 1 BGB nach den Grundsätzen der Störung der Geschäftsgrundlage komme nicht in Betracht. Zwar liege aufgrund der Pandemie eine schwerwiegende Störung einer gemeinsamen Geschäftsgrundlage vor, da in dem Zeitraum der hoheitlich angeordneten Betriebseinschränkungen ein regulärer Verkauf in den angemieteten Geschäftsräumen nicht stattfinden konnte. Zwar habe ein Onlineverkauf unter Einbeziehung der Geschäftsräume stattgefunden, jedoch sei der Rohertrag des Monats Februar 2021 gleichwohl um 78 % bezogen auf den Monat Februar 2020 eingebrochen. Gleichwohl sei für eine Berücksichtigung von Störungen der Geschäftsgrundlage kein Raum, soweit es um Erwartungen und um Umstände geht, die nach den vertraglichen Vereinbarungen in den Risikobereich einer der Parteien fallen sollen (BGH NJW 2020, 331 ff.; BGH NJW 2000, 1714, 1716; OLG Dresden, Urteil vom 24.02.2021 – 5 U 1782/20, juris Rn. 40). Eine solche vertragliche Risikoverteilung schließt für den Betroffenen regelmäßig die Möglichkeit aus, sich bei Verwirklichung des Risikos auf einen Wegfall der Geschäftsgrundlage zu berufen. Zwar enthalte der Mietvertrag der Parteien für pandemiebedingte Beeinträchtigungen keine ausdrückliche Regelung. Die Parteien haben jedoch eine Zuweisung des Risikos von Betriebsunterbrechungen im Mietvertrag vorgenommen, wonach nicht vom Vermieter zu vertretende Unterbrechungen des Betriebs des Mietgegenstandes oder einzelner Mietparteien im Mietobjekt – gleich aus welchem Grund – die Verpflichtung zur Zahlung der Miete nicht beeinträchtigen sollen. Trotz des Umstandes, dass sich die Parteien bei Vertragsschluss das Risiko der Betriebsschließungen und -einschränkungen aufgrund einer Pandemie nicht vorgestellt haben dürften, spricht diese Vereinbarung im Mietvertrag für die Zuweisung des Risikos einer Äquivalenzstörung an den Mieter, sodass eine Vertragsanpassung nach § 313 Abs. 1 BGB nach Auffassung des Oberlandesgerichts Hamm schon deshalb ausscheidet.

Das Oberlandesgericht meint darüber hinaus, dass auch die weiteren Voraussetzungen des § 313 Abs. 1 BGB für eine Anpassung der Miete wegen einer Störung der Geschäftsgrundlage nicht vorliegen. Trotz der gesetzlichen Risikoverteilung kann in Ausnahmefällen dennoch eine Anpassung des Vertrags nach den Grundsätzen der Störung der Geschäftsgrundlage geboten sein. Dabei kann aber nicht jede einschneidende Veränderung der bei Vertragsabschluss bestehenden oder gemeinsam erwarteten Verhältnisse eine Vertragsanpassung rechtfertigen. Hierfür ist vielmehr erforderlich, dass ein Festhalten an der vereinbarten Regelung für die betroffene Partei zu einem nicht mehr tragbaren Ergebnis führt (BGH NJW 2012, 1718 ff.; BGH NJW 1995, 47 ff.). Eine Anpassung des Vertrages müsste zur Vermeidung eines untragbaren, mit Recht und Gerechtigkeit nicht (mehr) zu vereinbarenden und damit der betroffenen Partei nach Treu und Glauben nicht zuzumutenden Ergebnisses unabweislich erscheinen. Es muss eine derart gewichtige Störung des Gleichgewichts von Leistung und Gegenleistung des Austauschvertrages vorliegen, dass die Grenze des vertraglich übernommenen Risikos überschritten wird und die benachteiligte Vertragspartei in der getroffenen Vereinbarung ihr Interesse nicht mehr auch nur annähernd gewahrt sehen kann (BGH NJW-RR 2020, 96 Rn. 23; BGH NJW 2012, 1718 Rn. 26). Die Prüfung dieser Voraussetzung erfordert eine umfassende Interessenabwägung unter Würdigung aller Umstände, insbesondere auch der Vorteile, die der betroffenen Partei neben den Nachteilen aus den eingetretenen Veränderungen erwachsen sind. Für die Beurteilung der Frage, ob dem Mieter ein Festhalten am unveränderten Vertrag zumutbar ist, kommen der Ausübung der Verlängerungsoption und der Nachtragsvereinbarung, mit der eine weitere Verlängerung des Mietverhältnisses vereinbart wurde, indizielle Bedeutung vor. Denn die Verlängerungsoption hat der Mieter in Kenntnis des Beginns der Einschränkungen durch die Pandemie erklärt. Zudem hatte der Mieter zu diesem Zeitpunkt bereits Kenntnis über die wirtschaftlichen Auswirkungen eines sogenannten Lockdowns. Die Entscheidung des Mieters, gleichwohl das Vertragsverhältnis fortzusetzen, spricht gegen die Annahme eines untragbaren, mit Recht und Gerechtigkeit nicht (mehr) zu vereinbarenden und damit dem Mieter nach Treu und Glauben nicht zuzumutenden Ergebnisses.