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Bundesgerichtshof, Urteil vom 20.07.2018 – V ZR 56/17 – “Kann Beseitigung einer Verschattungsanlage verlangt werden?


Die Parteien sind Mitglieder einer Wohnungseigentümergemeinschaft. Die Kläger sind Sondereigentümer der Wohnungseinheit Nr. 2, die Beklagten Sondereigentümer der Einheiten Nr. 1, 3 und 4. In der Eigentümerversammlung vom 01.06.2012 wurde ein Mehrheitsbeschluss gefasst, wonach den Eigentümern gestattet wurde, an ihren Türen und Fenstern hofseitig fachgerecht Jalousien, Lamellen und feste Verschattungsanlagen zu installieren. Angebote zur technischen Lösung sollten von dem Verwalter eingeholt werden. Über die Ausführung und Realisierung sollte nach Angebotsvorlage durch Beschluss entschieden werden. Im September 2013 ließen die Beklagten an der Hofseite ihrer Wohnungen Außenjalousien anbringen. Die Kläger verlangen die Beseitigung der Jalousien. Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen, auch das Landgericht verneinte die Erfolgsaussichten und hat die Berufung zurückgewiesen. Der Bundesgerichtshof hebt das Urteil des Landgerichtes auf und verweist die Angelegenheit an das Berufungsgericht zurück. Der Bundesgerichtshof beanstandet die Feststellung, dass die Voraussetzungen einer baulichen Veränderung nach § 22 WEG, welche Voraussetzung eines Beseitigungsanspruches gemäß § 1004 BGB ist, nicht feststünden. Das Landgericht hat diese Voraussetzung nämlich mit der Begründung verneint, die Verschattungsanlage sei zur Herstellung eines ordnungsgemäßen Erstzustandes der Anlage erforderlich gewesen.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes liegt eine bauliche Veränderung nach § 22 Abs. 1 WEG nicht vor, wenn die Maßnahme der erstmaligen plangerechten Herrichtung des Gemeinschaftseigentums dient. Hierbei handelt es sich nämlich um eine Instandhaltungsmaßnahme, welche von jedem Wohnungseigentümer verlangt werden kann und welche einen Beseitigungsanspruch gemäß § 1004 Absatz 1 S. 1 BGB ausschließt.

Für die Bestimmung des ordnungsmäßigen Anfangszustandes des Gemeinschaftseigentums ist in erster Linie der Teilungsvertrag i.V.m. dem Aufteilungsplan maßgebend. Der Aufteilungsplan soll sicherstellen, dass dem Bestimmtheitsgrundsatz Rechnung getragen wird, indem er die Aufteilung des Gebäudes sowie die Lage und Größe des Sondereigentums und der im gemeinschaftlichen Eigentum stehenden Gebäudeteile ersichtlich macht. Wenn die tatsächliche Bauausführung von dem Aufteilungsplan abweicht, muss die eindeutige sachenrechtliche Abgrenzung des Sondereigentums hergestellt werden. Dies geschieht dadurch, indem die Bauausführung an den Aufteilungsplan angeglichen wird oder – wenn dies nicht zumutbar ist – der Aufteilungsplan geändert wird. Auf die eine oder die andere Weise können und müssen die Bauausführung und der Aufteilungsplan zur Übereinstimmung gebracht werden.

Zur erstmaligen Herstellung des Gemeinschaftseigentums gehört auch die Erfüllung öffentlich-rechtlicher Anforderungen des gemeinschaftlichen Eigentums. Dazu zählt z.B. die bauordnungsrechtlich vorgeschriebene Herstellung eines zweiten Rettungsweges. Zu solchen öffentlich-rechtlichen Anforderungen zählt aber nicht allein eine „allgemeine Baubeschreibung“ als Bestandteil der Baugenehmigung, in welcher zu lesen ist, dass es „im vorgelagerten Stahlrahmen noch Jalousien zur Verschattung gibt“. Denn das Berufungsgericht hat keine Feststellungen dazu getroffen, ob die Anbringung der Jalousien tatsächlich nach öffentlich-rechtlichen Vorschriften bzw. nach der Baugenehmigung erforderlich war. Da die Parteien des Rechtsstreites nicht die Baugenehmigung selbst nebst allen relevanten weiteren Anlagen vorgelegt haben, konnte der Bundesgerichtshof hierzu keine Feststellungen treffen, weshalb die Verweisung an das Berufungsgericht erfolgte.

Der Bundesgerichtshof stellt auch fest, dass die Klage derzeit noch nicht wegen des Beschlusses der Wohnungseigentümer vom 01.06.2012 unbegründet ist. Aus diesem Beschluss können die Beklagten bislang keine Duldung der Anbringung der Jalousien ableiten. Denn es fehlen Feststellungen dazu, ob der Beschluss tatsächlich wirksam zustande gekommen und unanfechtbar geworden ist. Sollte dies festgestellt werden, würden die Kläger allerdings dann zur Duldung verpflichtet sein. Denn in diesem Beschluss ist den Eigentümern gestattet worden, an ihren Türen und Fenstern hofseitig fachgerecht Jalousien anzubringen. Zwar wurde am 01.06.2012 die konkrete Ausführung noch nicht beschlossen. Es wurde aber das „Ob“ des Anbringens einer Verschattungsanlage und damit eine verbindliche Regelung getroffen, die Duldungspflichten auslöst und damit Beseitigungsansprüche ausschließt. Auch diese Frage der Wirksamkeit dieses Beschlusses wird das Landgericht zu klären haben. Demnach wird die Klage auf Beseitigung keinen Erfolg haben, wenn die Kläger aufgrund des Beschlusses vom 01.06.2012 zur Duldung verpflichtet sind. Wird dies dagegen verneint, wird das Landgericht die öffentlich-rechtliche Erforderlichkeit der Anbringung der Jalousien zu überprüfen haben. Wird die Erforderlichkeit bejaht, so entfällt ebenfalls ein Beseitigungsanspruch.

Wenn auch die öffentlich-rechtliche Erforderlichkeit verneint wird, hat dies jedoch noch nicht den Erfolg eines Beseitigungsanspruches zur Folge. Denn dann müsste noch festgestellt werden, ob ein Nachteil im Sinne von § 14 Nr. 1 WEG vorliegt. Denn nach § 1004 BGB i.V.m. § 22 Abs. 1 WEG kann nur die Beseitigung von nachteiligen baulichen Veränderungen verlangt werden. Nachteilig ist jede nicht ganz unerhebliche Beeinträchtigung. Entscheidend ist, ob sich nach der Verkehrsanschauung ein Wohnungseigentümer in der entsprechenden Lage sich verständlicherweise beeinträchtigt fühlen kann. Bei dieser Beurteilung können auch bauliche Besonderheiten der Wohnanlage zu berücksichtigen sein.

Im Ergebnis reicht es somit nicht aus, dass baulich am Gebäude etwas verändert wird, um Beseitigungsansprüche auszulösen. Vielmehr ist die Erfüllung vielschichtiger Voraussetzungen erforderlich, um etwaige Ansprüche tatsächlich durchzusetzen.