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Bundesgerichtshof, Urteil vom 03.02.2021 – VIII ZR 68/19 – “Hohes Alter allein genügt nicht


Das hohe Alter eines Mieters begründet ohne weitere Feststellungen zu den sich hieraus ergebenden Folgen einer Räumung für den betroffenen Mieter im Falle eines erzwungenen Wohnungswechsels grundsätzlich noch keine Härte im Sinne des § 574 Abs. 1 Satz 1 BGB, wie der Bundesgerichtshof im Februar 2021 entschieden hat. Auch eine langjährige Mietdauer lässt für sich genommen noch nicht auf eine tiefe Verwurzelung des Mieters am Ort der Mietsache schließen. Maßgebend hängt die Entstehung der Verwurzelung von der individuellen Lebensführung des jeweiligen Mieters ab, wozu auch das Pflegen sozialer Kontakte in der Nachbarschaft gehört.

Die 1932 geborene Beklagte mietete im Jahr 1997 eine im 4. Obergeschoss gelegene Zweizimmerwohnung in Berlin. Die Klägerin, welche 2015 die Wohnung erworben hat, hat das Mietverhältnis wegen Eigenbedarfs gekündigt. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass die Klägerin zusammen mit ihrem erwachsenen Sohn nicht mehr zur Miete sondern stattdessen allein in einer in ihrem Eigentum stehenden Wohnung leben möchte. Die Beklagte widersprach dieser Kündigung gemäß § 574 BGB und verwies auf ihr hohes Alter und den beeinträchtigten Gesundheitszustand und langjährige Verwurzelung vor Ort. Sie verlangte auf dieser Grundlage die Fortsetzung des Mietverhältnisses.

Der Bundesgerichtshof widerspricht der Rechtsauffassung der Vorinstanzen, welche der Ansicht gewesen sind, dass die beklagte Mieterin einen Anspruch auf Fortsetzung des Mietverhältnisses für einen unbestimmten Zeitraum habe. Denn die Rechtsauffassung beruht auf Rechtsfehlern. Allein das hohe Alter eines Mieters rechtfertigt noch keine Härte im Sinne des § 574 Abs. 1 S. 1 BGB. Denn ein hohes Alter eines Menschen wirkt sich je nach Persönlichkeit und körperlicher sowie psychischer Verfassung unterschiedlich aus. Ohne weitere Feststellungen ist damit ein hohes Alter keine Härte. Vielmehr müssen andere Umstände hinzutreten. Insbesondere kann eine Härte zu bejahen sein, wenn zu Umständen wie hohes Alter, Verwurzelung aufgrund langer Mietdauer oder Erkrankungen des Mieters hinzukommen, aufgrund derer im Falle einer Aufgabe der Wohnung eine Verschlechterung seines gesundheitlichen Zustandes zu erwarten ist. Wenn der gesundheitliche Zustand des Mieters einen Umzug nicht zulässt oder wenn im Fall eines Wohnungswechsels zumindest die ernsthafte Gefahr einer erheblichen Verschlechterung der gesundheitlichen Situation eines schwer kranken Mieters besteht, kann dies bereits einen Härtegrund darstellen. Solche Feststellungen haben die Vorinstanzen nicht getroffen. Insbesondere wurden keinerlei tragfähigen Feststellungen zur Verwurzelung des beklagten Mieters am Ort getroffen. Eine solche Verwurzelung hängt davon ab, ob beispielsweise soziale Kontakte in der Nachbarschaft gepflegt werden, Einkäufe für den täglichen Lebensbedarf in der näheren Umgebung erledigt werden, an kulturellen, sportlichen oder religiösen Veranstaltungen in der Nähe der Wohnung teilgenommen wird und/oder medizinische oder andere Dienstleistungen in der Wohnungsumgebung in Anspruch genommen werden. Allein die Mietdauer reicht demnach für eine Verwurzelung nicht aus. Auch haben die Vorinstanzen keinerlei Feststellungen zu den Folgen getroffen, welche sich aus einem Wechsel der Wohnung trotz Verwurzelung ergeben.

Daneben lagen in der Beurteilung durch die Vorinstanzen Rechtsfehler dahingehend vor, als nicht die vom Vermieter beabsichtigte Lebensführung respektiert worden ist. Denn durch die  Annahme, das hohe Alter des Mieters gebiete unter Würdigung der berechtigten Interessen des Vermieters in der Regel die Fortsetzung des Mietverhältnisses, hat das Gericht den Interessen des Mieters den Vorrang gegenüber dem berechtigten Erlangungsinteresse des Vermieters eingeräumt. Die Vorinstanzen haben damit unzulässige Kategorisierungen vorgenommen, ohne ausreichende Feststellungen im Einzelfall hierzu zu treffen und ohne die Interessen gegeneinander abzuwägen. Im Ergebnis verbietet sich bei einer Prüfung eines Härtefalls im Sinne des § 574 BGB jede pauschale Kategorisierung, vielmehr müssen die Umstände im Einzelfall festgestellt und im Anschluss daran die Interessen gegeneinander abgewogen werden. Das muss nunmehr die Vorinstanz nachholen.